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Soth Birthdav
durch Dialektik zu ersetzen, das Geschehnis durch Ge= in der „Gefährtin“; nach dem Bestand der Schönheit seinen Menschen die raffinierte Vertiefung in sich
danken zu erzeugen, wie eben hier, wo der Feind von und des gewollten Genusses im „Schleier der Bea= selbst, die bis zur äußeren Unbeweglichkeit entartet.
außen, aus der Welt derjenigen Anschauungen und trice“; nach der Wirklichkeit und dem Bestand des Sie wissen von sich, ihrem Leben und Lebenwollen
Instinkte kommt, in der der Dichter niemals wirklich
erotischen Erlebnisses im „Reigen“. Und im „Einsamen
so erstaunlich, so unaushörlich viel, daß dieses Wis¬
Zuhause war. Und nun geht seine Kunst, selbstsicher
Weg“ endlich, dem reichsten und bedeutendsten seiner
sen ihre Instinkte fast ganz verzehrt und keinen An¬
und voll wärmster Zärtlichkeit, immer lieber, immer
Dramen, werden die höchsten Lebenswerte dieses zu
trieb zur Aktion übrig läßt. Nur einmal hat ihn, wie
ausschließlicher, auf den Kreis der Wenigen, der
Ende kultivierten Bürgertums gegeneinander abge¬
in bewußtem Widerspruch gegen seine innerste Natur,
Gleichfühlenden und Gleichgebildeten zu, in dem sie
wogen; bange Zweisel prüfen jedes Glück und finden
der „Ruf des Lebens“ verlockt, seine Kunst in die
ähre eigensten Probleme, ihre heiligsten Schmerzen, iedes zu leicht, das nicht auf der warmen Nähe guter
Hitze und den Feuerschein vulkanisch ausbrechender
ähr nächstverwandtes Glück findet. Das Besie und
Menschen ruht. Eine grausame Angst vor der Ver¬
dramatischer Wirkungen zu stellen. Und wie in
Tiefste, was Schnitzler seither geschaffen hat, ist in
lassenheit, vor den Tücken eines ungreifbaren Schick¬
zwangvoller Bestätigung seiner innersten Natur ent¬
dieser Atmosphäre reicher und gebildeter Bürger¬
sals entflieht da in den erträumten Schutz eines ide¬
quillt auch da wiederum das reinere Licht und die
häuser gereift. Wie ein Symbol dieser Entwicklung
alen Zusammenseins. Die Unstetigkeit in der Welt
lebendigere Wärme nur den zarten, schüchtern schweig¬
sieht es aus, daß im „Vermächtnis“ die fremde Ge¬
und die Treue zum Haus, diese Erbschaft der jüdi¬
samen Menschlichkeiten; alles andere bleibt Theater¬
liebte aus der Welt der Abenteuer in die gute Familie
schen Seele, spricht hier, in Schnitzlers tiefster Dich¬
feuer. Was sich, in anderer Form, aber mit derselben
hineingeworfen wird und da vergeht und erstickt, wie
tung, mit der stärksten und klarsten Stimme.
beweisenden Kraft, in seinem „Medardus“ wieder¬
eine Flamme ohne Luft. Das ist wie eine letzte, mit¬
Was er, als assimilierter Wiener, seiner Kraft
holt, dieser so wunderlich aus feinster Genrezeichnung,
leidige Abrechnung mit den Menschen einer anderen
der Anpassung und wieder seiner Fremdheit gegen die
tatfremder Psychologie und bombastischem Puppen¬
Kultur. Denn von jetzt ab geht seine Kunst, auch im
„Fremden“ dankt, ist klar: zunächst den Stil und
spiel zusammengefügten Historie.
Kostüm ferner Zeiten, nur mehr den Problemen nach,
Ton seiner Werke, dieses sublimierte Wienertum;
Aber mit seiner Gabe, auf dem schmalen Gebiet
die in dem verfeinerten Leben seiner Klasse aus den
dann aber, auf der anderen Seite, die un¬
einer bewegungsarmen Handlung möglichst tief und
beklemmend vielfältigen Instinkten seiner Art aus¬
verrückbare Distanz, die ihn erst befähigt, die¬
möglichst scharf in die Seelen der Handelnden schauen
blühen. Es sei denn, daß es sich um den glitzernden
sen Stil zu bilden, dieses Wienertum zu subli¬
zu lassen, ist Schnitzler auch der geborene Novellist.
Wurf eines Witzes handelt, wie in „Literatur", oder
mieren. Nur als Wiener eines anderen Stam¬
Und in der Tat wird ihn heute kaum ein Meister der
um den meisterlich verschränkten Bau einer hoch¬
mes war er imstande, der Dichter der Wiener Bour¬
psychologischen Erzählung übertreffen. Nur schade,
gipfeluden Antithese, wie im „Grünen Kakadu“. Das
geoisie zu werden; denn unsere echtgeborene Bour¬
daß auch seine Dramen fast durchaus diesen novellisti¬
sind freie Turnübungen, die sich der genialische Witz,
geoisie hat, wie fast jede andere, die sonderbare Eigen¬
schen Zug beibehalten, wo nicht die Kraft des Witzes
dieser liederliche Bruder der scharfen Dialektik, ein
schaft, daß sie sich selbst nicht künstlerisch sehen und oder der Dialektik die Vehemenz der Aktion ersetzen
wenig abseits vom Zentrum der Probleme gestattet.
empfinden kann. Und wer weiß, wie mächtig und kann. Das geht so weit, daß er, wo die Fabel reicher,
Sonst aber wird immer, in Angst oder Zweifeln oder
umgreisend er das, wofür er geschaffen zu sein scheint,
das äußere Leben bewegter werden soll, den Stoff,
Trauer, nach der Wirklichkeit und dem Bestand alles erfüllen könnte, wäre nicht, als eine weitere satale
ganz wie im Roman, von verschiedenen Seiten zu¬
dessen gefragt, was diesen Menschen teuer und süß ist Erbschaft seines Blutes, die fanatische Liebe zum
gleich angreifen die Motive nebeneinander ordnen
im Leben. Nach der Wirklichkeit der Treue im „Para=Leben der Person und doch auch die unfrohe Schen muß, bevor er sie dramatisch verknotet. Das sind die
relsus“; nach der Wirklichkeit der verliebten Freude vor allem stark Lebendigen in ihm. Das gibt allenlentscheidenden Mängel im „Schleier der Beatrice“
und im „Einsamen Weg“; sie haben seinerzeit den
Erfolg bei der unvorbereiteten Zuschauermenge be¬
einträchtigt. Und sie haben naturgemäß den Erfolg
seines großen Romanes „Der Weg ins Freie“ ent¬
schieden; in dieser schrankenlosen Auseinandersetzung
des Dichters mit seinen tiefsten Zweiseln und Beun¬
ruhigungen triumphiert endlich mit aller Entschieden=
heit die üppig wuchernde Dialektik, drängt die Hand¬
lung und selbst die Piychologie hinter sich und gibt
sich so frei und notwendig und eigenberechtigt, daß
sie — wunderbarerweise — wie ein Stück Natur er¬
scheint. In der kühnen Offenbarung seiner Schwä¬
chen liegt die erstaunliche Stärke dieses Romanes.
Stark ausschreiten und in gerader Linie die
Bahn vollenden, das kann die sorgsam tastende Nach¬
denklichkeit dieses Dichters nicht. So bleibt es zumeist##
bei Feinheit, Stille und Tiefe; die gewaltige Span¬#
nung der Kraft, die das Drama wie ein selbständiges
nalurgeborenes Stück Leben aus sich herausschleudert,
die fehlt fast immer. Sie fehlt auch in seiner seinsten
Komödie, dem „Zwischenspiel“. Ja, hier rücken die
Perionen noch ängstlicher, noch näher als sonst zu¬
sammen, verkehren sozusagen nur Seele an Seele
miteinander; jedes äußere Geschehen ist bis auf ge¬
ringste Spuren verwischt und ausgelöscht. Dieses
Drama ist zweifellos eines der subtilsten der ganzen
modernen Literatur. Von seinen anderen Stücken!
mag eines reicher, eines stärker, manches lebendiger,
vielleicht selbst tiefer sein. Dieses ist sicherlich sein
durchsichtigstes, reinstes und vornehmstes. Man wird
an ihm — wenn an keinem anderen — erkennen müs¬
sen, daß heute kaum ein deutscher Dichter es wie
Schnitzler versteht, aus dem ungreifbarsten Material,
aus den Bewegungen wohlgebildeter Seelen, Kunst¬
werke aufzubauen.
Willi Handl.
Soth Birthdav
durch Dialektik zu ersetzen, das Geschehnis durch Ge= in der „Gefährtin“; nach dem Bestand der Schönheit seinen Menschen die raffinierte Vertiefung in sich
danken zu erzeugen, wie eben hier, wo der Feind von und des gewollten Genusses im „Schleier der Bea= selbst, die bis zur äußeren Unbeweglichkeit entartet.
außen, aus der Welt derjenigen Anschauungen und trice“; nach der Wirklichkeit und dem Bestand des Sie wissen von sich, ihrem Leben und Lebenwollen
Instinkte kommt, in der der Dichter niemals wirklich
erotischen Erlebnisses im „Reigen“. Und im „Einsamen
so erstaunlich, so unaushörlich viel, daß dieses Wis¬
Zuhause war. Und nun geht seine Kunst, selbstsicher
Weg“ endlich, dem reichsten und bedeutendsten seiner
sen ihre Instinkte fast ganz verzehrt und keinen An¬
und voll wärmster Zärtlichkeit, immer lieber, immer
Dramen, werden die höchsten Lebenswerte dieses zu
trieb zur Aktion übrig läßt. Nur einmal hat ihn, wie
ausschließlicher, auf den Kreis der Wenigen, der
Ende kultivierten Bürgertums gegeneinander abge¬
in bewußtem Widerspruch gegen seine innerste Natur,
Gleichfühlenden und Gleichgebildeten zu, in dem sie
wogen; bange Zweisel prüfen jedes Glück und finden
der „Ruf des Lebens“ verlockt, seine Kunst in die
ähre eigensten Probleme, ihre heiligsten Schmerzen, iedes zu leicht, das nicht auf der warmen Nähe guter
Hitze und den Feuerschein vulkanisch ausbrechender
ähr nächstverwandtes Glück findet. Das Besie und
Menschen ruht. Eine grausame Angst vor der Ver¬
dramatischer Wirkungen zu stellen. Und wie in
Tiefste, was Schnitzler seither geschaffen hat, ist in
lassenheit, vor den Tücken eines ungreifbaren Schick¬
zwangvoller Bestätigung seiner innersten Natur ent¬
dieser Atmosphäre reicher und gebildeter Bürger¬
sals entflieht da in den erträumten Schutz eines ide¬
quillt auch da wiederum das reinere Licht und die
häuser gereift. Wie ein Symbol dieser Entwicklung
alen Zusammenseins. Die Unstetigkeit in der Welt
lebendigere Wärme nur den zarten, schüchtern schweig¬
sieht es aus, daß im „Vermächtnis“ die fremde Ge¬
und die Treue zum Haus, diese Erbschaft der jüdi¬
samen Menschlichkeiten; alles andere bleibt Theater¬
liebte aus der Welt der Abenteuer in die gute Familie
schen Seele, spricht hier, in Schnitzlers tiefster Dich¬
feuer. Was sich, in anderer Form, aber mit derselben
hineingeworfen wird und da vergeht und erstickt, wie
tung, mit der stärksten und klarsten Stimme.
beweisenden Kraft, in seinem „Medardus“ wieder¬
eine Flamme ohne Luft. Das ist wie eine letzte, mit¬
Was er, als assimilierter Wiener, seiner Kraft
holt, dieser so wunderlich aus feinster Genrezeichnung,
leidige Abrechnung mit den Menschen einer anderen
der Anpassung und wieder seiner Fremdheit gegen die
tatfremder Psychologie und bombastischem Puppen¬
Kultur. Denn von jetzt ab geht seine Kunst, auch im
„Fremden“ dankt, ist klar: zunächst den Stil und
spiel zusammengefügten Historie.
Kostüm ferner Zeiten, nur mehr den Problemen nach,
Ton seiner Werke, dieses sublimierte Wienertum;
Aber mit seiner Gabe, auf dem schmalen Gebiet
die in dem verfeinerten Leben seiner Klasse aus den
dann aber, auf der anderen Seite, die un¬
einer bewegungsarmen Handlung möglichst tief und
beklemmend vielfältigen Instinkten seiner Art aus¬
verrückbare Distanz, die ihn erst befähigt, die¬
möglichst scharf in die Seelen der Handelnden schauen
blühen. Es sei denn, daß es sich um den glitzernden
sen Stil zu bilden, dieses Wienertum zu subli¬
zu lassen, ist Schnitzler auch der geborene Novellist.
Wurf eines Witzes handelt, wie in „Literatur", oder
mieren. Nur als Wiener eines anderen Stam¬
Und in der Tat wird ihn heute kaum ein Meister der
um den meisterlich verschränkten Bau einer hoch¬
mes war er imstande, der Dichter der Wiener Bour¬
psychologischen Erzählung übertreffen. Nur schade,
gipfeluden Antithese, wie im „Grünen Kakadu“. Das
geoisie zu werden; denn unsere echtgeborene Bour¬
daß auch seine Dramen fast durchaus diesen novellisti¬
sind freie Turnübungen, die sich der genialische Witz,
geoisie hat, wie fast jede andere, die sonderbare Eigen¬
schen Zug beibehalten, wo nicht die Kraft des Witzes
dieser liederliche Bruder der scharfen Dialektik, ein
schaft, daß sie sich selbst nicht künstlerisch sehen und oder der Dialektik die Vehemenz der Aktion ersetzen
wenig abseits vom Zentrum der Probleme gestattet.
empfinden kann. Und wer weiß, wie mächtig und kann. Das geht so weit, daß er, wo die Fabel reicher,
Sonst aber wird immer, in Angst oder Zweifeln oder
umgreisend er das, wofür er geschaffen zu sein scheint,
das äußere Leben bewegter werden soll, den Stoff,
Trauer, nach der Wirklichkeit und dem Bestand alles erfüllen könnte, wäre nicht, als eine weitere satale
ganz wie im Roman, von verschiedenen Seiten zu¬
dessen gefragt, was diesen Menschen teuer und süß ist Erbschaft seines Blutes, die fanatische Liebe zum
gleich angreifen die Motive nebeneinander ordnen
im Leben. Nach der Wirklichkeit der Treue im „Para=Leben der Person und doch auch die unfrohe Schen muß, bevor er sie dramatisch verknotet. Das sind die
relsus“; nach der Wirklichkeit der verliebten Freude vor allem stark Lebendigen in ihm. Das gibt allenlentscheidenden Mängel im „Schleier der Beatrice“
und im „Einsamen Weg“; sie haben seinerzeit den
Erfolg bei der unvorbereiteten Zuschauermenge be¬
einträchtigt. Und sie haben naturgemäß den Erfolg
seines großen Romanes „Der Weg ins Freie“ ent¬
schieden; in dieser schrankenlosen Auseinandersetzung
des Dichters mit seinen tiefsten Zweiseln und Beun¬
ruhigungen triumphiert endlich mit aller Entschieden=
heit die üppig wuchernde Dialektik, drängt die Hand¬
lung und selbst die Piychologie hinter sich und gibt
sich so frei und notwendig und eigenberechtigt, daß
sie — wunderbarerweise — wie ein Stück Natur er¬
scheint. In der kühnen Offenbarung seiner Schwä¬
chen liegt die erstaunliche Stärke dieses Romanes.
Stark ausschreiten und in gerader Linie die
Bahn vollenden, das kann die sorgsam tastende Nach¬
denklichkeit dieses Dichters nicht. So bleibt es zumeist##
bei Feinheit, Stille und Tiefe; die gewaltige Span¬#
nung der Kraft, die das Drama wie ein selbständiges
nalurgeborenes Stück Leben aus sich herausschleudert,
die fehlt fast immer. Sie fehlt auch in seiner seinsten
Komödie, dem „Zwischenspiel“. Ja, hier rücken die
Perionen noch ängstlicher, noch näher als sonst zu¬
sammen, verkehren sozusagen nur Seele an Seele
miteinander; jedes äußere Geschehen ist bis auf ge¬
ringste Spuren verwischt und ausgelöscht. Dieses
Drama ist zweifellos eines der subtilsten der ganzen
modernen Literatur. Von seinen anderen Stücken!
mag eines reicher, eines stärker, manches lebendiger,
vielleicht selbst tiefer sein. Dieses ist sicherlich sein
durchsichtigstes, reinstes und vornehmstes. Man wird
an ihm — wenn an keinem anderen — erkennen müs¬
sen, daß heute kaum ein deutscher Dichter es wie
Schnitzler versteht, aus dem ungreifbarsten Material,
aus den Bewegungen wohlgebildeter Seelen, Kunst¬
werke aufzubauen.
Willi Handl.