box 39/1
Soth Birthday
OR
—
nosrseens
——
Nachdruck verboten.
Bahr hat einmal vor langem, der Artikel hieß Wesens muß auch diese erste und kräftigste hergezeigt
„Naturalismus im Frack“, den Satz aufgeschrieben, und untersucht werden, will man nur halbwegs wissen
Arthur Schnitzler. unsere jungen Dichter seien nur deshalb zur Psycho= können, wovon seine Kunst lebt. Er ist ein Jude. Die
logie gekommen, weil sie, einmal arriviert und aus uralte Erbschaft schmerzvollster Widersprüche hat
(Zum beginnenden Zyklus.)
ihm sein Stamm auf die Seele geladen: Unstetigkeit
der Bohéme in die gute Gesellschaft gebracht, die
Von der Bourgevisie hat die deutsche Moderne
Gelegenheit zur Beobachtung anderer Miliens ver= in der Welt und festeste Treue zum Haus; die Kraft
loren und nichts als den kleinen Kreis der Frack= der schnellen Anpassung und ewige Fremdheit gegem
kfast nichts zu sagen gehabt. Ein paar Karikaturen in
menschen zur Hand gehabt hätten. In diese mußten sie die Fremden; sanatische Liebe zum Leben und eine
den Erstlingen Sudermanns, die Tendenzfigur des
sich nun, um neues Dichtermaterial #n holen, ver= unfrohe Schen vor allem stark Lebendigen; und end¬
Dreißiger) + das war so ziemlich alles. Erst war
lich die quälende Lust am unstillbaren Zweifel, das
tiefen, und so wurden sie Psychologen. Ob er das da¬
die Zeit, da die jungen Dichter jede Wirklichkeit
kranke Kind einer Jahrtaufende alten Gedanken=In¬
mals ernst gemeint hat oder nicht, weiß heute wahr¬
interessierte, nur nicht die eigene, gegenwärtige; und
zucht, die gefährliche Frucht einer Logik und Dialektik,
scheinlich kein Mensch mehr; aber erprobt man es an
sie wollten, gute Bürgerssöhne, von der Bourgeoisie
die durch lange, lange, dumpfig finstere Zeiten keine
nichts wiffen. Dann aber galt überhaupt nichts mehr,
Schnitzler, so muß man wohl sagen, daß dieser eine
andere Nahrung gohabt haben, als sich selbst.
was greisbar wirklich war, und der Stil erschuf sich
schon von Anfang her für den Frack und die Psycho¬
Vor seiner Unstetigkeit im großen Leben flüchteb
aus Traum, Ferme, Kostüm. Und so könnte das
logie geschaffen war. Er kam nie anders als gut ge¬
er früh in den umhegten Bezirk der Familie. Anatol,
Drama von heute den künftrgen Monschen über unsere
kleidet und gepflegt in die Literatur. Und ihn hat
ein ruheloser Spaziergänger durch Wiener Aben¬
Proletarier und Bauern, über unsere Kleinbürger
kaum je etwas anderes, nie etwas höher interessiert,
teuer: auf der Gasse, im Restaurant, in verschwie¬
und Zigeuner, über unsere Anarchisten und Erotiker,
als gerade die Fragen, die zwischen zwei solchen Men¬
genen Zimmern, die für den Moment der Liebe ein¬
Träume und Märchen, Weltanschauungen und
schen, in manierlichem Ernst und in bewußter Ergrif¬
gerichtet sind; niemals zuhause, nie eigentlich bei sich,
Wünsche alles Entscheidende sagen, und nur nichts,
fenheit, erlebt werden.
immer unstet. Die „Liebelei", ins Tragische gewen¬
gar nichts Anschauliches über die Klasse der Men¬
Die gutgekleideten Personen, die wohlgepflegten
det, aber noch immer Abenteuer, von außen geholt —
schen, deren Blut es doch zumeist in sich hat, über die
Seelen bilden ihm die Welt. Ihre stilistischen Kon¬
das ist ja der Sinn des Stückes; und dabei merk¬
Klasse des ökonomisch, geistig und kulturell konsoli¬
turen find von wienerischem Ausdruck, in aller
würdigerweise ein flüchtig bedauernder Blick auf eine
dierten Bürgertums. Dies könnte das moderne
Sicherheit noch lässig gezogen, ohne schneidende
Familie — aber auf eine fremde, in der man nicht
Drama nicht, wenn nicht der eine, der einzige Arthur
Schärfen, diskret und schmeichlerisch leicht. Die hef¬
verweilen kann, und die im Grunde nichts ist, als
Schnitzler wäre, der das Wesen und den Stil dieser
tigste, die tiefste, die wahrste Bewegung seiner Men¬
eine — ziemlich verzeichnete — Staffage zur Kahlen¬
Bourgeoisie künstlerisch angeschaut und aufgebaut hat.
schen verliert doch niemals den Geschmack seiner
berglandschaft und zum Volksgarten=Abentener. Nun
Nun soll zur Feier seines fünfzigsten Geburtstages
Klasse und seiner Stadt. Das ist bekannt und oft be¬
kommt aber ein ernsthafter Schritt in die offene Welt
die ganze dramatische Arbeit seines Lebens anschaulich
sprochen. Aber es erschöpft ihn nicht. Zu diesen kultu¬
hinaus, in die Feindseligkeit des Lebens. Das ist
vor uns erstehen. Das lockt zu dem Versuch, aus den
rellen Werten oder Hemmnissen, die seinen Werken
„Freiwild“, die Ausoinandersetzung mit der Frage des
einprägsamsten Zügen seines reichen und mannigfal¬
Gewicht und Grenzen, Ton und Farben geben, tritt,
tigen Werkes die Grundlinien der dichterischen Per= stärker und ewiger als sie, die Besonderheit des jüdi¬ Duells. Und nirgends, in keinem anderen seiner.
sönlichkeit zu lösen.
schen Blutes. Mit den anderen Wurzeln seines Stücke, war Schnitzler so sehr genötigt, den Impuls
Soth Birthday
OR
—
nosrseens
——
Nachdruck verboten.
Bahr hat einmal vor langem, der Artikel hieß Wesens muß auch diese erste und kräftigste hergezeigt
„Naturalismus im Frack“, den Satz aufgeschrieben, und untersucht werden, will man nur halbwegs wissen
Arthur Schnitzler. unsere jungen Dichter seien nur deshalb zur Psycho= können, wovon seine Kunst lebt. Er ist ein Jude. Die
logie gekommen, weil sie, einmal arriviert und aus uralte Erbschaft schmerzvollster Widersprüche hat
(Zum beginnenden Zyklus.)
ihm sein Stamm auf die Seele geladen: Unstetigkeit
der Bohéme in die gute Gesellschaft gebracht, die
Von der Bourgevisie hat die deutsche Moderne
Gelegenheit zur Beobachtung anderer Miliens ver= in der Welt und festeste Treue zum Haus; die Kraft
loren und nichts als den kleinen Kreis der Frack= der schnellen Anpassung und ewige Fremdheit gegem
kfast nichts zu sagen gehabt. Ein paar Karikaturen in
menschen zur Hand gehabt hätten. In diese mußten sie die Fremden; sanatische Liebe zum Leben und eine
den Erstlingen Sudermanns, die Tendenzfigur des
sich nun, um neues Dichtermaterial #n holen, ver= unfrohe Schen vor allem stark Lebendigen; und end¬
Dreißiger) + das war so ziemlich alles. Erst war
lich die quälende Lust am unstillbaren Zweifel, das
tiefen, und so wurden sie Psychologen. Ob er das da¬
die Zeit, da die jungen Dichter jede Wirklichkeit
kranke Kind einer Jahrtaufende alten Gedanken=In¬
mals ernst gemeint hat oder nicht, weiß heute wahr¬
interessierte, nur nicht die eigene, gegenwärtige; und
zucht, die gefährliche Frucht einer Logik und Dialektik,
scheinlich kein Mensch mehr; aber erprobt man es an
sie wollten, gute Bürgerssöhne, von der Bourgeoisie
die durch lange, lange, dumpfig finstere Zeiten keine
nichts wiffen. Dann aber galt überhaupt nichts mehr,
Schnitzler, so muß man wohl sagen, daß dieser eine
andere Nahrung gohabt haben, als sich selbst.
was greisbar wirklich war, und der Stil erschuf sich
schon von Anfang her für den Frack und die Psycho¬
Vor seiner Unstetigkeit im großen Leben flüchteb
aus Traum, Ferme, Kostüm. Und so könnte das
logie geschaffen war. Er kam nie anders als gut ge¬
er früh in den umhegten Bezirk der Familie. Anatol,
Drama von heute den künftrgen Monschen über unsere
kleidet und gepflegt in die Literatur. Und ihn hat
ein ruheloser Spaziergänger durch Wiener Aben¬
Proletarier und Bauern, über unsere Kleinbürger
kaum je etwas anderes, nie etwas höher interessiert,
teuer: auf der Gasse, im Restaurant, in verschwie¬
und Zigeuner, über unsere Anarchisten und Erotiker,
als gerade die Fragen, die zwischen zwei solchen Men¬
genen Zimmern, die für den Moment der Liebe ein¬
Träume und Märchen, Weltanschauungen und
schen, in manierlichem Ernst und in bewußter Ergrif¬
gerichtet sind; niemals zuhause, nie eigentlich bei sich,
Wünsche alles Entscheidende sagen, und nur nichts,
fenheit, erlebt werden.
immer unstet. Die „Liebelei", ins Tragische gewen¬
gar nichts Anschauliches über die Klasse der Men¬
Die gutgekleideten Personen, die wohlgepflegten
det, aber noch immer Abenteuer, von außen geholt —
schen, deren Blut es doch zumeist in sich hat, über die
Seelen bilden ihm die Welt. Ihre stilistischen Kon¬
das ist ja der Sinn des Stückes; und dabei merk¬
Klasse des ökonomisch, geistig und kulturell konsoli¬
turen find von wienerischem Ausdruck, in aller
würdigerweise ein flüchtig bedauernder Blick auf eine
dierten Bürgertums. Dies könnte das moderne
Sicherheit noch lässig gezogen, ohne schneidende
Familie — aber auf eine fremde, in der man nicht
Drama nicht, wenn nicht der eine, der einzige Arthur
Schärfen, diskret und schmeichlerisch leicht. Die hef¬
verweilen kann, und die im Grunde nichts ist, als
Schnitzler wäre, der das Wesen und den Stil dieser
tigste, die tiefste, die wahrste Bewegung seiner Men¬
eine — ziemlich verzeichnete — Staffage zur Kahlen¬
Bourgeoisie künstlerisch angeschaut und aufgebaut hat.
schen verliert doch niemals den Geschmack seiner
berglandschaft und zum Volksgarten=Abentener. Nun
Nun soll zur Feier seines fünfzigsten Geburtstages
Klasse und seiner Stadt. Das ist bekannt und oft be¬
kommt aber ein ernsthafter Schritt in die offene Welt
die ganze dramatische Arbeit seines Lebens anschaulich
sprochen. Aber es erschöpft ihn nicht. Zu diesen kultu¬
hinaus, in die Feindseligkeit des Lebens. Das ist
vor uns erstehen. Das lockt zu dem Versuch, aus den
rellen Werten oder Hemmnissen, die seinen Werken
„Freiwild“, die Ausoinandersetzung mit der Frage des
einprägsamsten Zügen seines reichen und mannigfal¬
Gewicht und Grenzen, Ton und Farben geben, tritt,
tigen Werkes die Grundlinien der dichterischen Per= stärker und ewiger als sie, die Besonderheit des jüdi¬ Duells. Und nirgends, in keinem anderen seiner.
sönlichkeit zu lösen.
schen Blutes. Mit den anderen Wurzeln seines Stücke, war Schnitzler so sehr genötigt, den Impuls