VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 156

Soth Birthday
box 39/1
ischnitt aus: PFARE
n:
Trmng 1912
Fheater und Kunst.
SchniglerS#ils 1.—
„Das Märchen“.

Der Schnitzler=Zyklus hat gestern mit dem
„Märchen“ eingesetzt, das für unsere Bühne übri¬
gens neu ist, mit dem im „Anatol“=Jahre er¬
schienenen, aber von der Anatol=Stimmung so ganz
fernen Thesenstück. Mit einem bitteren Ernst, wie
man ihn spater nur noch, selten bei Schnitzler findet,
sicht er gegen das gesellschaftliche Vorurteil, das
„Märchen“, welches der Gefallenen die einstige Ver¬
fehlung nicht vergißt und den Weg zu späterem Glück
versperrt. Ueber dem Stück waltet der Geist einer
Zeit und einer Richtung, der der ältere Schnitzler
immer fremder geworden ist, die feelischen Konflikt¬
stosse, die er später findet, liegen in ganz anderen
Regionen. Heute muten diese drei Akte wie die Ar¬
heit eines talentvollen Jünglings an, der sich mit:
altklugen Reflexionen in einen Kampf mit der Ge¬
sellschaft einläßt, die er, mit ihren Vorzügen und
Fehlern, mit ihren ernsten und heiteren Seiten im
tiefsten Herzensgrund gar nicht tadelnswert findet.
Darum vielleicht ist der Held dieses Dramas so ab¬
sonderlich geraten. Fedor Denner spricht mit Feuer
und nicht ohne Phrasen gegen, „die gewisse banale
Verachtung für das Mädchen mit dem zweifelhaften
Ruf. Noch immer, in irgend einem Winkel unseres
Verstandes kauern diese alten, sterbensmüden
Ideen .. nur ein Hauch braucht uns anzuwehen aus
dieser kindischen Welt, die wir ja alle verachten —
und schon regt es sich wieder in diesem Winkel ..
und diese alten Ideen werden wieder frech und
lebendig und jung.“ Er verwirft die Unterscheidung
von anständigen und unanständigen Frauen. „Wir
kommen mit der fertigen Schablone doch nicht aus.
Die sind für die Mittelmäßigen gut, welche die große
Eilfertigkeit des Schematisierens haben. Wir brau¬
chen die alten Vorurteile nicht mehr. Wir wollen!
nicht wie Kinder sein, die mit den Krücken ihrer
Väter spielen. Dieser selbe Mann aber, der ge¬#
radeswegs von Ibsen herzukommen scheint, i
schon im folgenden Akt der erbärmlichste Sklave des
Vorurteils, das er eben noch bekämpfte. Er gucht
das Mädchen, das sich ihm in demütigster Liebe naht,
in der brutalsten Weise und quält sie solange, bis
sie sich darauf besinnt, daß sie nicht schlechter ist als
er und mit raschem Entschluß fortgeht. Dieses
Mädchen, die Schauspielerin Fanny Theren, ist die
liebenswürdigste, lebendigste Person des Schauspiels
und der rührende Ausdruck ihrer die eigene Persön¬
lichkeit verleugnenden Liebe bildet, am Schluß des
ersten und des zweiten Aufzugs, die dichterisch stärk¬
sten Stellen des Werkes. Ein kleinbürgerliches
Milien ist, wie später in der „Liebelei“ gemütvoll
gezeichnet, schon treten Lebemänner auf, die freilich
nur zynisch und gar nicht witzig sind, ein streng¬
gesinnter Beamter wird ohne Ironie charakterisiert,
die Künstler und Halbkünstler finden einen nüchter¬
nen, zweifelnden Beurteiler.
Die Aufführung, verdienstvoll schon um des
Prinzips der Vollständigkeit willen, das in die¬
sem Zyklus angestrebt wird, stellte das Werk in
einen durchaus würdigen Rahmen. Fanny Theren
war eine Debütantin, Fräulein Dahlmann,
die für die Sentimentalität dieser leidenden Heldin
einen rührend wehmutsvollen Ausdruck fand. Ihre
besten Momente hatte Frl. Dahlmann in den Sze¬
neu, da sich Fanny dem Geliebten blindlings unter¬
wirft. Weniger stark und durch Sprödigkeit ge¬
hemmt war sie in den wenigen, wirklich heldischen
Augenblicken, die Fanny hat. Den Fedor Denner
gab Herr Tiller mit dem leisen Fanatismus
des Wahrheitssuchers, Herr Frieberg stattete
den Wandel mit zurückhaltender Korrektheit aus,
die Herren Huttig und Balder verkörperten
glaubhaft die Mischung von Bohème und Philoso¬
phie, elegant war Herr Rittig, als Gecken sehr
lustig die Herren Romanowsky und Kaden,
zu loben die Damen Monati, Niedt, Stein¬
heil. Sehr sorgfältig und geschmackvoll war die
Regie; hier hat der junge Regisseur Fritz Bondy
das beachtenswerte Probestück einer starken Bega¬
bung und tüchtigen Sachkenntnis abgelegt, Das
zahlreiche Publikum begrüßte Schnitzlers Jugend¬
drama mit achtungsvollem Beifall.
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