VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 162


Zwei Welten stehen gegeneinander, und der Dich¬
per läßt keinen Zweifel darüber, welche er für die
menschlichere, sittlich höhere, zukunftreichere hält
„ODSEKTER
Ein Problem, das uralt und unerschöpflich ist —
die Grundfrage lautet: Freiheit oder Befestigung,
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausechnitte
Verantwortungslosigkeit oder Pflichterfüllung? —
Wien, I., Concordiaplatz 4.
wird hier in der empfindsam nachdenklichen Art
Vertretungen
Hieses Dichters mit schonungsvollstem Takt aber in
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania¬
hittlicher Entschiedenheit abgehandelt. Feine, gut¬
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolls.
kgeschliffene Pointen durchleuchten den elegant ge¬
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
führten Dialog und werfen ihre Blitzlichter bis tief
burg, Toronto.
in die Falten der menschlichen Seelen. Die Schwächen
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
lim dramatischen Bau sind hier von so viel lebendigem
Wissen und echtem Gefühl überwachsen, daß sich das
Ausschnitt aus: BOHEMIA, PRAG
schöne Gleichgewicht der inneren Werte, das jedes
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große Kunstwerk auszeichnet, wie von selbst wieder¬
vom:
herstellt. Edleres, Harmonischeres hat Schnitzler
nie geschrieben.
Noblesse und Zartheit sind die Grunderfor¬
dernisse, die eine zulängliche Aufführung dieses
Theater und Musik.
Stückes erfüllen muß. An unserem Theater waren
denn auch alle Kräfte nach dieser Richtung hin
langespannt. Die Inszenierung (Oberregisseur Dr.
„Der einsame Weg“.
[Eger) schuf gut abgetönte, eindrucksvolle Bühnen¬
* (Shauspiel in fünf Alten von Arthur Schnitle und hielt die Stimmung der Szene durch¬
Erstaufführung am Neuen deutschen —heäler.)
aus im richtigen Ton. In den einzelnen Leistun¬
gen war viel Schönes, wenn auch nicht ganz gleich¬
Auf seinen vielverschlungenen Pfaden durch die
mäßig. Mit gemessenem Takt und einem künstle¬
#Verstece und Veduten im Gehege kultivierter Men¬
rischen Verständnis, dem keines Wortes Bedeutung
sckenseelen kommt Schnitzler des öfteren auch an
entging, spielte Herr Huttig die geistig hervor¬
diesem schattenüberdeckten Weg vorbei, den er hier
ragendste Figur des Stückes, den hochmütig resig¬
den einsamen nennt. Es ist der Weg derjenigen, die
nierten in Todesnähe noch verschlossenen Herrn
sich aus dem Leben schleichen, weil sie dem Leben
nichts geben wollten; die ihre Einsamkeit wie eine von Sala. Herrn Tiller gelang auf das über¬
zeuge##ie die edel bescheidene Haltung und der
Schuld zu tragen und zu bezahlen haben. Das
herzenswarme Ton des jungen Menschen, der im
Motiv klingt im Werk des Dichters immer wieder
Namen der Zukunft und des sittlichen Rechtes
an, von den ersten Regungen im „Anatol“, über die
zwischen zwei Vätern zu entscheiden hat. Den einen
verschiedenartigen Puppenspieler hin, die er da und
von ihnen, den unsteten, einsam gewordenen Künstler
dort agieren läßt, bis zur letzten, schon ganz morali¬
spielte Herr Rittig bewegt und mit sympathischer
sierenden Wendung und Verarbeitung des Themas
Wärme, den stillen gütigen Pflichtmenschen Herr¬
im „Weiten Land“.
Manning in seiner einfachen und verständigen Art
Hier aber — im „Einsamen Weg“ — ist ihm der
Die Rolle einer dauerhaft Liebenden, die nur mit dem
Gedanke zu einer wunderbaren Fülle ausgereift, und
Herzen denkt, erfüllte Fräulein Medelsky mit
die Betrachtung noch so ruhig und furchtlos, daß
prächtiger Echtheit und Frische, Fräulein Hackel¬
die vornehme Klarheit der Figuren unter dem ethi¬
berg hatte für die junge Geliebte des Sala einen
schen Urteil des Dichters keineswegs leidet swie es
Ton von interessanter Herbheit, der nur stellen¬
dann später doch im „Weiten Land“ geschah). Die
weise etwas haltbarer hätte sein müssen. In kleis
Unmittelbarkeit des eben Durchlebten stärkt und
neren Rollen schlossen sich Frau Monati und¬
stützt hier auch diejenigen Erscheinungen die der
Herr Frieberg dem Ensemble gleichwertig ans
tiefere Wille ihres Schöpfers verneint. Wem der
Stück und Aufführung wirkten auf unser
Name Schnitzler nicht nur den gelegentlichen Genuß
Publikum mit der sicheren, eindringlichen Krafts#
irgendwelcher modernen Literatur, sondern die wert¬
die von Schnitzlers Dichtungen unfehlbar ausgeht.
volle Erkenntnis eines besonders feinen Geistes be¬
Arthur Schnitzler selbst, der der Vorstellung die
deutet, der wird erkennen müssen, daß gerade dieses
Ehre seiner Anwesenheit erwies, mußte wiederholte
Werk eine ganz wichtige Wendung seiner Entwicklung
an der Rampe erscheinen, um an der Seite der#
anzeigt. Hier ist zum ersten Male die Abkehr vom
Hauptdarsteller für den lebhaften und warmen
spielerischen Leben, von der Anbetung des Augen¬
Beifall zu danken.

blicks verkündet, hier wird mit dem Gespenst des
Of.P J.
Todes — das ja durch alle Dichtungen Schnitzlers
geistert — nicht mehr in kokett höflichen Manieren
sondern auf eine ernste Art und im Namen einer
verbündeten Menschheit gesochten. Hier wird für
Mannheit und Haltung, gegen den selbstherrlich
losgebundenen Geist entschieden. Und ohne morali¬
sches Gezeter, versteht sich, in würdigster Vornehm¬
heit, unter freigebigster Anerkennung der Größe und
Höhe dieser Verdammten. Die Beiden, die Schnitz¬
ler in seinem Drama den schmerzvollen Weg der
Einsamkeit gehen läßt, sind ohne Zweifel die bedeu¬
tendsten Persönlichkeiten des Stückes. Zwei Künstler,
die ihr Leben wie ein ewiges Spiel gelebt haben, —
ein Spiel mit hohen und edlen Dingen freilich, aber
ohne den geringsten Einsatz an eigener Persönlich¬
keit. Sie haben der Welt nichts von sich zu geben
vermocht, haben immer nur empfangen und immer
nur die Schätze ihres Lebens hergezeigt; niemanden
gibt es, dem sie von ihrer tiefsten Menschlichkeit zu¬
geteilt hätten, niemanden, den sie sich durch ihr selbst¬
loses Opfer dauernd zu eigen gemacht hätten. Ihnen
steht ein schlichter stiller Mensch gegenüber, dem
alles Glück des Lebens aus Pflichterfüllung und
inniger Wärme erblüht. Für ihn entscheidet sich die
Jugend — die Zukunft. Denn die Kraft seiner vor##
bildlichen Menschlichkeit hat an der jungen Seeke,
die sich unter seinen Augen entfaltet hat, größeren und
gerechteren Teil, als die zu spät erwachte Liebe jenes
Einsamen, der seine Vaterschaft erst offenbart, wenn
ihn das Grauen vor den menschenverlassenen Abend¬
stunden des Lebens antritt. Der andere der beiden
Beziehungslosen, weniger wehleidig und konsequenter
in seinem Hochmut, tritt den einsamen Weg gefaßt
und ohne sentimentalen Seufzer an; aber seine