VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 166

5oth Birthdan box 39/1
., St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
Pilsner Tagblatt
vom: 16 K 1912
Vernichtung dei Drmt vermäden wird.
Theater und Konzerte.
Prager Premiere.
Aus Prag wird uns unter dem 14. ge¬
schrieben: In Neuen Theater wurde heute
Schnitzlers „Der einsame Weg“ zum
erften=Mal gegebenEs ist ein schweres, düste¬
res, reifes und reiches Stück. Beklemmende
Trauer liegt darüber und die Melancholie der
großen Stille strömt ergreifend aus. Wenn man
den Inhalt erzählt, hat man nur ein dürres
Skelett hingestellt. Das Unsagbare, das mit tiefen
Tönen mitschwingt, ist hier das Wesentliche.
Julian Fichtner, der geniale Künstler, der in der
Jugend Gabriele, die Braut seines Freundes
Wegrath heimlich verführt und verlassen hat, sucht
jetzt, da er das Alter nahen fühlt, seinen mit Ga¬
briele gezeugten Sohn, den jungen Leutnant Felix,
der bisher als Wegraths Kind gegolten hat, als
Gefährten seiner Einsamkeit zu gewinnen. Felix
aber schließt sich dem Manne an, in dessen Haus
er aufgewachsen ist und den er so lange für seinen
Vater gehalten hat. Ja, das gemeinsame Unglück
führt ihn seinem Herzen noch näher. Denn auch
Wegrath hat seinen Lebenspfad in Einsamkeit zu¬
3 Stial
—.—
rücklegen müssen. Die Gattin, die soeben verstor¬
bene, und die Freunde haben ihn betrogen. Die
Kinder blieben ihm fremd: Felix fühlte sich mehr
zu der lebensfrischen, imponierenden Künstler¬
natur Fichtners, als zu dem stillen, opferfreudigen
Wegrath hingezogen, und Johanna, die Tochter,
trankt an einer hysterischen Sehnsucht nach fernen,
märchenhaften Gefilden des Glückes. Sie wirft
sich schließlich dem kühlen, egoistischen Lebens¬
künstler Stephan von Salta in die Arme und endet
durch Selbstmord, den Geliebten in den Tod nach
sich ziehend. Alle haben sie ihr Glück verscherzt,
indem sie sich in törichter Vermessenheit allein auf
sich selbst zu stellen suchten und zu spät erkannten,
wie sehr sie der anderen bedürften. Nur der arme
Wegrath, den das Schicksal mitten unter die Ein¬
samen verbannt hatte, findet schließlich in dem,
den er für seinen Sohn hält, einen mitfühlenden
Freund und Gefährten. Die sympathische und
von dem Dichter mit den feinsten und originell¬
sten Zügen ausgestaltete Gestalt des Stückes ist
die der Schauspielerin Irene Herms. Für die
eigentliche Handlung erscheint sie fast ohne Be¬
lang, sie zeigt nur, welche Glücksmöglichkeiten der
vom Schicksal so verschwenderisch bedachte Egoist
Fichtner leichtsinnig verscherzen konnte. Irene
hat ihn geliebt, und den Mittelpunkt ihres Lebens,
ihre Mutterhoffnung, in ihn gesetzt. Er wies sie
von der Tür, und auch sie mußte eine Einsame
werden. Dies ist das Drama, vielmehr dask
Aeußerliche der Handlung, deren innerer Reich¬
tum schwerflüssig im Untergrunde der Dunkel ge¬
färbten Vorgänge ruht. Die einfachen, klaren,
guten Menschen, der alte Wegrath, Felix, auch der
Hausarzt Raumann und Irene Herms, über
deren Schicksal Fichtner einstmals hinweggeschrit¬
teu, die können lieben und geliobt werden, aber
Fichtner und Sala müssen einsame Wege gehen.
Was sie lieben, können sie nicht halten, denn nie¬
mals hätten sie sich aufgeben und hingeben kön¬
nen. Die Darstellung der Novität gehörte zu den
besten Leistungen, die das Prager Theater auf¬
zuweisen hat. Herr Rittigsals Fichtner war“
vortrefflich, ebenso Herr Huttig als Stephan
von Salta. Herr Tiller schuf mit dem Leut¬
nant Franz eine Glanzleistung und Frl. Me¬
delsky stattete die Schauspielerin Herms mit
der ganzen Charme ihrer sympathischen Persön¬
lichkeit aus und nur selten störte die allzu merk¬
bare Jugendlichkeit des Wortes und der Gebärdes
Herr Manning als Wegrath, Herr Frie¬
berg als Dr. Raumann und Frau Monaxi¬
chs Gabriele waren durchwegs ohne Tadel; yur
Frl. Hackelberg fand für die, allerdings
schwierige Rolle der Johanna nicht immer die
Aichtigen Töne. — Das ausverkaufte Haus nahm:
das Stück mit viel Beifall auf und rief Actur¬
Schnitzler, der der Aufführung beiwohnte,
nach jedem Aktschluß unzähligemale.
N. J.