1
box 39
SothBirthdar
ausschnitt aus:
17 6, 197
tagsb uus Söhlmen, Prag
vom:
Theater und Musik.
Schnitzler=Zoklus.
Der einsame Weg. (Erstaufführung). Dies ist ein
Drama der Erinnerungen. Bei Beginn dieses ernsten
Spieles ist die Vergangenheit in dunkle, mehrfache Schleier
gehüllt. Langsam und zögernd fallen die Schleier Stück
für Stück von ihrem Leibe, lassen seine Umrisse erst nur
schattenhaft erscheinen, dann immer schärfer hervortreten,
bis der nackte Körper in blendendem Lichte auf der Szene
steht. Die Handlung dieses merkwürdigen Schauspiels
strebt so, entgegen den Regeln der dramatischen Wirksam¬
keit, nicht nach vorwärts, sie schreitet gleichsam feierlichen
Schritts langsam nach rückwärts, steht plötzlich still, setzt
zum Sprunge an und — sinkt wuchtig zu Boden. Durch
hingeworfene Worte, aufleuchtende Blicke, deutende Ge¬
bärden, vielsagende Pausen, entschleiert sich die dreiund¬
zwanzigjährige Lüge der Ehe zwischen Professor Wegrath
und seiner nun totkranken Gattin Gabriele, schimmert das
kurze Liebesglück Gabriels unmittelbar vor ihrer Ehe mit
dem unsteten Maler Julian Fichtner herauf, enthüllt sich,
daß der junge Leutnant Felix Wegrath nicht dem Gatten
seiner Mutter, sondern Julian entstammt, taucht der spätere
Bund Julians mit der Schauspielerin Irene Herms empor,
verdichtet sich die schattenhafte, geheimnisvolle Verbindung
der jungen, hellseherischen Johanna Wegrath mit dem
alternden durchgeistigten Egoisten Stephan von Sala, dem
wahren Helden des Stückes. Sie alle, auch der resig¬
nierende Arzt Reumann, gingen und gehen den einsamen
Weg der Schmerzen und des Todes, sei es durch wal¬
kendes Verhängnis (aber nicht ohne Schuld), sei es in
freiwilliger Buße. — Aus dem rückschauenden Wesen
dieses Dramas ergibt sich, wie es zu spielen ist — mit
äußerster Feinheit, in gedämpsten Tönen und Farben, wo¬
möglich in einem intimen Raume. Soweit dies Raum
und Kräste zuließen, wurde unsere Bühne diesem tiefsten
Werke des Dichters gerecht. Und es zeugt von starker
Liebe zum Dichter und warmer Hingabe, wenn dieses
weniger für die Bühne, als für die stille Stube des Le¬
sers gestimmte Schauspiel ein überaus lebhaftes Interesse
zeitigte, das sich in von zu Akt steigendem Beifall und
vom zweiten Akte an in immer wieder erneuerten Hervör¬
rufen des anwesenden Dichters und der Darsteller ver¬
körperte. Unter diesen ist zunächst Frl. Hackelberg
rühmend zu nennen, die mit eindringendem Verständnis
die schwierige Rolle der Johanna gestaltete; mehr Deut¬
lichkeit ist aber notwendig, besonders bei der leidigen Un¬
ruhe des Publikums. Herr Huttig stand auf einem ver¬
lorenen Posten; diese Rolle ist seiner trefflichen Eigenart
durchaus fremd. Es mußte ein Fehlschlag werden, aber
er ist nicht ihm zuzuschreiben. Herr Rittig war als
Julien charakteristisch und vortrefflich, wie immer, Herr
Tiller als Felix dämpfte seine jugendliche Kraft ganz
auf die Absichten des Dichters, Herr Manning bewährte
sich als Wegrath wieder als unser bester Sprecher, sym¬
pathisch war der Arzt Herrn Friebergs, auch Frau
Monati wurde ihrer kleinen Rolle als Gabriele voll¬
kommen gerecht. Ganz vorzüglich aber war Frl. Me¬
delsky als Irene, in der richtigen Mischung von Ernst
und Scherz; nur ihre Jugendlichkeit wäre bei dieser Rolle
zu rügen, aber dieser Tadel wird wohl verziehen werden.
zu einem geschlossenen Drama zusammengehämmert. Die
Heldin Helene von Valois wurde diesmals von Else
Wolgemuth als Gastin dargestellt; einer glänzenden
Sprecherin mit hinreißenden Gebärden, unterstützt durch
Adel der Gestalt und Schönheit des Antlitzes. Das volle
Haus dankte ihrem glanzvollen Spiele durch immer wieder
hervorbrechende Beifallsstürme. An den Hervorrufen hatten
unsere Darsteller, besonders die Herren Tiller, Schütz,
Faber, Fischer, Huttig und die Damen John,
F.
Monati und Kausmann redlichen Anteil.“
Alfred Piceaver
hat Samstag in einer Aufführung von Puccinis
„Boheme“ Abschied von den Pragern genommen, deren
Liebling er fünf Jahre lang gewesen ist. Die Ovationen,
die das vollständig ausverkaufte Haus dem Scheidenden
bereitete, nahmen an diesem Abend Formen an, die zu
den ungewöhnlichsten gehören, was in Prag auf diesem
Gebiete je geleistet worden ist. Nach jedem Akte wurde
Piccaver ungezähltemale vor die Rampe gestürmt, immer
wieder mußte er vor dem wie rasend sich gebergenden
Publikum erscheinen, eine Anzahl von Kränzen und an¬
deren Blumengewinden wurden auf die Bühne geschleppt
und am Schlusse des dritten Aktes mußte Piccaver reden.
Aber er konnte nicht: aus Rührung. Schließlich gelang
es ihm doch, einen Dank und „Auf Wiedersehen“ zu
stammeln, und dann ging der „Eiserne“ in die Höhe.
Der aber mußte wieder runter. Und das Publikum ruhte
nicht eher. als bis Piccaver zu den Klängen des Dirigier¬
klaviers die unermüdlich wie toll applaudierenden jungen
Damen und die älterer Semester versichert hatte, daß
Frauenherzen betrügerisch sind. So sehr hatten sich zum
Schluß die Bande frommer Scheu gelockert. Und als
Piccaver beim Bühnenausgang auf die Straße trat, mußte
durch Wache die Ordnung aufrecht erhalten werden. Als
blutiger Anfänger ist Piccaver anno Domini 1907 zu uns
nach Prag gekommen, als fertiger Künstler verläßt er uns.
Wie ein König geehrt, verläßt er die Stadt, die ihn in
seiner Kunst liebevoll wachsen sah. Reiche Stunden des
Genusses dankt man dem Gold seiner Kehle und daß die
Prager dafür dankbar zu sein verstehen, haben sie Samstag
in einer Weise gezeigt, die überdeutlich ist. Als Gast auf
Engagement zeigte sich in dieser denkwürdigen Vorstellung
Herr Bara aus Brünn, der die Rolle des Malers sang.
Mon lernte in Herrn Bara einen sehr gewandten, liebens¬
würdigen Schauspieler kennen, dessen sehr hell gefärbter
Baryion keinen üblen Eindruck machte. Doch wird man
sich ein sicheres Urteil über den Sänger Bara erst bilden
wollen, bis er in einer kantablern Partie aufgetreten sein
wird. Frl. Jicha hat sich als Musette brav gehalten.
Vy.
Neues Deutsches Theater.
Als 201. Abv. I. Serie geht heute Artur Schnitzlers er¬
folgreiche Neuheit „Der einsame Weg“ zum zweiten¬
male in Szene. Dienstag den 18. findet eine Wiederholung
von Wagners „Tristan und Isolde“ statt, für Mittwoch
ist die Blechsche Oper „Versiegelt“ am Repertoir. Mit
Ausnahme des Frl. Jicha, die die Rolle der Frau Ger¬
trud zum erstenmale singt, wurde die frühere Besetzung
beibehalten. Anschließend wird die Pantomime „Der
Schleier der Vierrette“ von Arthur Schnitzler und Ernst
von Dohnanyi (204. Abv. IV. Serie) gegeben. Die Pier¬
rette“ spielt diesmal Frl. Nigrini, die sie bereits vor zwei
Jahren mit größtem Erfolg dargestellt hat. Für Donners¬
tag wird der Operettenschlager der Saison, Lehars „Eva“.
vorbereitrt (205. Abv. I. Serie.) Freitag wird diese Neu¬
heit zum erstenmale wiederholt. Samstag findet die Pre¬
miere der Verbrecherkomödie „Büxl“ statt, deren Autoren,
Arno Holz und Oskar Jerschke durch ihre erfolgreiche
Arbeit „Traumulus“ dem hiesigen Publikum auf das beste
bekannt sind. Für Sonntag wird Goldmarks „Königin von
Saba“ neu einstudiert.
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SothBirthdar
ausschnitt aus:
17 6, 197
tagsb uus Söhlmen, Prag
vom:
Theater und Musik.
Schnitzler=Zoklus.
Der einsame Weg. (Erstaufführung). Dies ist ein
Drama der Erinnerungen. Bei Beginn dieses ernsten
Spieles ist die Vergangenheit in dunkle, mehrfache Schleier
gehüllt. Langsam und zögernd fallen die Schleier Stück
für Stück von ihrem Leibe, lassen seine Umrisse erst nur
schattenhaft erscheinen, dann immer schärfer hervortreten,
bis der nackte Körper in blendendem Lichte auf der Szene
steht. Die Handlung dieses merkwürdigen Schauspiels
strebt so, entgegen den Regeln der dramatischen Wirksam¬
keit, nicht nach vorwärts, sie schreitet gleichsam feierlichen
Schritts langsam nach rückwärts, steht plötzlich still, setzt
zum Sprunge an und — sinkt wuchtig zu Boden. Durch
hingeworfene Worte, aufleuchtende Blicke, deutende Ge¬
bärden, vielsagende Pausen, entschleiert sich die dreiund¬
zwanzigjährige Lüge der Ehe zwischen Professor Wegrath
und seiner nun totkranken Gattin Gabriele, schimmert das
kurze Liebesglück Gabriels unmittelbar vor ihrer Ehe mit
dem unsteten Maler Julian Fichtner herauf, enthüllt sich,
daß der junge Leutnant Felix Wegrath nicht dem Gatten
seiner Mutter, sondern Julian entstammt, taucht der spätere
Bund Julians mit der Schauspielerin Irene Herms empor,
verdichtet sich die schattenhafte, geheimnisvolle Verbindung
der jungen, hellseherischen Johanna Wegrath mit dem
alternden durchgeistigten Egoisten Stephan von Sala, dem
wahren Helden des Stückes. Sie alle, auch der resig¬
nierende Arzt Reumann, gingen und gehen den einsamen
Weg der Schmerzen und des Todes, sei es durch wal¬
kendes Verhängnis (aber nicht ohne Schuld), sei es in
freiwilliger Buße. — Aus dem rückschauenden Wesen
dieses Dramas ergibt sich, wie es zu spielen ist — mit
äußerster Feinheit, in gedämpsten Tönen und Farben, wo¬
möglich in einem intimen Raume. Soweit dies Raum
und Kräste zuließen, wurde unsere Bühne diesem tiefsten
Werke des Dichters gerecht. Und es zeugt von starker
Liebe zum Dichter und warmer Hingabe, wenn dieses
weniger für die Bühne, als für die stille Stube des Le¬
sers gestimmte Schauspiel ein überaus lebhaftes Interesse
zeitigte, das sich in von zu Akt steigendem Beifall und
vom zweiten Akte an in immer wieder erneuerten Hervör¬
rufen des anwesenden Dichters und der Darsteller ver¬
körperte. Unter diesen ist zunächst Frl. Hackelberg
rühmend zu nennen, die mit eindringendem Verständnis
die schwierige Rolle der Johanna gestaltete; mehr Deut¬
lichkeit ist aber notwendig, besonders bei der leidigen Un¬
ruhe des Publikums. Herr Huttig stand auf einem ver¬
lorenen Posten; diese Rolle ist seiner trefflichen Eigenart
durchaus fremd. Es mußte ein Fehlschlag werden, aber
er ist nicht ihm zuzuschreiben. Herr Rittig war als
Julien charakteristisch und vortrefflich, wie immer, Herr
Tiller als Felix dämpfte seine jugendliche Kraft ganz
auf die Absichten des Dichters, Herr Manning bewährte
sich als Wegrath wieder als unser bester Sprecher, sym¬
pathisch war der Arzt Herrn Friebergs, auch Frau
Monati wurde ihrer kleinen Rolle als Gabriele voll¬
kommen gerecht. Ganz vorzüglich aber war Frl. Me¬
delsky als Irene, in der richtigen Mischung von Ernst
und Scherz; nur ihre Jugendlichkeit wäre bei dieser Rolle
zu rügen, aber dieser Tadel wird wohl verziehen werden.
zu einem geschlossenen Drama zusammengehämmert. Die
Heldin Helene von Valois wurde diesmals von Else
Wolgemuth als Gastin dargestellt; einer glänzenden
Sprecherin mit hinreißenden Gebärden, unterstützt durch
Adel der Gestalt und Schönheit des Antlitzes. Das volle
Haus dankte ihrem glanzvollen Spiele durch immer wieder
hervorbrechende Beifallsstürme. An den Hervorrufen hatten
unsere Darsteller, besonders die Herren Tiller, Schütz,
Faber, Fischer, Huttig und die Damen John,
F.
Monati und Kausmann redlichen Anteil.“
Alfred Piceaver
hat Samstag in einer Aufführung von Puccinis
„Boheme“ Abschied von den Pragern genommen, deren
Liebling er fünf Jahre lang gewesen ist. Die Ovationen,
die das vollständig ausverkaufte Haus dem Scheidenden
bereitete, nahmen an diesem Abend Formen an, die zu
den ungewöhnlichsten gehören, was in Prag auf diesem
Gebiete je geleistet worden ist. Nach jedem Akte wurde
Piccaver ungezähltemale vor die Rampe gestürmt, immer
wieder mußte er vor dem wie rasend sich gebergenden
Publikum erscheinen, eine Anzahl von Kränzen und an¬
deren Blumengewinden wurden auf die Bühne geschleppt
und am Schlusse des dritten Aktes mußte Piccaver reden.
Aber er konnte nicht: aus Rührung. Schließlich gelang
es ihm doch, einen Dank und „Auf Wiedersehen“ zu
stammeln, und dann ging der „Eiserne“ in die Höhe.
Der aber mußte wieder runter. Und das Publikum ruhte
nicht eher. als bis Piccaver zu den Klängen des Dirigier¬
klaviers die unermüdlich wie toll applaudierenden jungen
Damen und die älterer Semester versichert hatte, daß
Frauenherzen betrügerisch sind. So sehr hatten sich zum
Schluß die Bande frommer Scheu gelockert. Und als
Piccaver beim Bühnenausgang auf die Straße trat, mußte
durch Wache die Ordnung aufrecht erhalten werden. Als
blutiger Anfänger ist Piccaver anno Domini 1907 zu uns
nach Prag gekommen, als fertiger Künstler verläßt er uns.
Wie ein König geehrt, verläßt er die Stadt, die ihn in
seiner Kunst liebevoll wachsen sah. Reiche Stunden des
Genusses dankt man dem Gold seiner Kehle und daß die
Prager dafür dankbar zu sein verstehen, haben sie Samstag
in einer Weise gezeigt, die überdeutlich ist. Als Gast auf
Engagement zeigte sich in dieser denkwürdigen Vorstellung
Herr Bara aus Brünn, der die Rolle des Malers sang.
Mon lernte in Herrn Bara einen sehr gewandten, liebens¬
würdigen Schauspieler kennen, dessen sehr hell gefärbter
Baryion keinen üblen Eindruck machte. Doch wird man
sich ein sicheres Urteil über den Sänger Bara erst bilden
wollen, bis er in einer kantablern Partie aufgetreten sein
wird. Frl. Jicha hat sich als Musette brav gehalten.
Vy.
Neues Deutsches Theater.
Als 201. Abv. I. Serie geht heute Artur Schnitzlers er¬
folgreiche Neuheit „Der einsame Weg“ zum zweiten¬
male in Szene. Dienstag den 18. findet eine Wiederholung
von Wagners „Tristan und Isolde“ statt, für Mittwoch
ist die Blechsche Oper „Versiegelt“ am Repertoir. Mit
Ausnahme des Frl. Jicha, die die Rolle der Frau Ger¬
trud zum erstenmale singt, wurde die frühere Besetzung
beibehalten. Anschließend wird die Pantomime „Der
Schleier der Vierrette“ von Arthur Schnitzler und Ernst
von Dohnanyi (204. Abv. IV. Serie) gegeben. Die Pier¬
rette“ spielt diesmal Frl. Nigrini, die sie bereits vor zwei
Jahren mit größtem Erfolg dargestellt hat. Für Donners¬
tag wird der Operettenschlager der Saison, Lehars „Eva“.
vorbereitrt (205. Abv. I. Serie.) Freitag wird diese Neu¬
heit zum erstenmale wiederholt. Samstag findet die Pre¬
miere der Verbrecherkomödie „Büxl“ statt, deren Autoren,
Arno Holz und Oskar Jerschke durch ihre erfolgreiche
Arbeit „Traumulus“ dem hiesigen Publikum auf das beste
bekannt sind. Für Sonntag wird Goldmarks „Königin von
Saba“ neu einstudiert.