VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 195

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1. Soth Birthdar
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Feuikleton. 7/8
Wmer
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Artur Schnitzler.
unne
Zu seinem Jubiläum.
Die Menschen nennen es die Feier eines Dichters,
der fünfzig Jahre alt geworden ist. Die Wissenschaft hat
für derlei Vorgänge den Ausdruck „Vivisektion“ gefunden.
Sie muß mit Zergliederungen und experimentellen
Reizungen am Lebendigen arbeiten, denn ihr Ziel ist,
daraus Heilungserkenntnisse zu gewinnen. Sie zerstückelt,
um zu erhalten. Wenn dies aber geschieht, so geschieht es
auf einsame, verschlossene Art. So prüft, so forscht und
ringt jeder für sich um das Wissen, welches ihm
erfahrungswert gilt. Vivisektionen für das Publikum aber
gibt es nicht. Man ist in der Wissenschaft schamhafter
als in der Literatur.
Weil Artur Schnitzler zufällig gerade fünfzig Jahre
alt wird, so heißt es nun plötzlich, ihn untersuchen, ihn
werten, ihn einreihen, heißt es ihm einen numerierten Platz
anweisen, als wäre sein Werk getan, sein Bilden abge¬
schlossen, als wäre sein Schaffen in die Distanz des Ge¬
wesenen gerückt. Er dient einer experimentellen Neugierde
der Oberflächenfeststellungen. Er wird zum Objekt. Zu
einem hundertfach abgetasteten, verliehenen, entliehenen, zu
einem Wanderzyklusobjekt. Jeder Verein muß seinen Artur
Schnitzler=Vortrag haben, jede Revuc ihr Schnitzler=Essay,
jede Zeitung ihr Schnitzter=Feuilleton. Zweifellos gibt es
in der Literatur Erscheinungen, die für eine derartige ex¬
hibitionistische Schaustellung geschaffen sind. Deren fest¬
konturierte Einmaligkeit und Unwandelbarkeit den versierten
Putzlespielen der Literatur=Zusammenlegspiele es ermög¬
licht, diese genau in den ausgesperrt gelassenen Raum ein¬
zupassen. Aber was unserer Zeit eben noch so kläglichen
Kulturmangel dokumentiert, ist die Undifferenziertheit ihrer
Aeußerungen und ihrer Eingriffe. Sie spürt als Allge¬
meinheit noch lange nicht, was im besonderen von Menschen
zu Menschen doch schon ins Bewußtsein sich geschlichen hat.
Daß es Nuancen gibt und Anpassungen, wenn es gilt, bei
einem besonderen Anlaß einen Edelmenschen zu ehren.
Gerade bei Artur Schnitzler hätte man seinem Wesen nach,
seiner Weltanschauung nach, und dem innersten Sing
—.—
finden. Dazu ist es natürlich ni
nn n. une un den Seheice
sich zu sehen, in seine verbor
dokumentierten Lebensabschnitt die scharfen Grenzlinien
zuleuchten. Den Mut zu seiner
der historischen Einreihung geben sollen. Diesen Dichter,
Sich nicht beirren zu lassen.
der so tief am Leben leidet, der so schmerzvoll das Ver¬
Gebet jedes anständigen Mensch
gehen jeder Minute als ein Sterben empfindet, der so
angstvoll Unendlichkeit und Nichtigkeit des Seins in sich
Einsamkeit und Unbeirrt
schließt, ihn hätte man nicht aufstören sollen mit Feier¬
seines Schaffens, hat Schnitzle
tags=Böllerschüssen. Man hätte das Kontobuch nicht prä¬
richtet. Durch sie ist die Einzig
sentieren dürfen, wenn auch der darin eingetragene Ab¬
worden. Diese Durchtränktheit
schluß noch so erfreulich lautet. Weil Abschlüsse irgend
lebnis, jede Gestalt, jeden Geb
einer Art so gar nicht dem Raum und dem Zeitempfinden
einem unverkennbaren Eigenzei
dieses Dichters entsprechen. Er kennt keinen Abschluß der
Abgeschlossenheit hat des Dich
Entwicklungen, keinen. Abschluß der Schicksale. Er weiß
finden zu einer erworbenen ben
nur von einem endlosen Ineinandergreifen, Incinander¬
friedet. So nur entging er der
strömen, von ewigem Wandel und immerwährendem Ver¬
wie kein zweiter bedroht war.
wandeln, er weiß nur von fließendem Leben zu sagen.
prägnanten Einsatz des Beginne
Traum und Wirklichkeit, Wahrheit und Spiel, Leben und
zu werden; an dem schöpferisch
Tod sind ihm eins, ein untrennbares Ganzes. Er kennt
und des „Süßen Mädel“=Ty
keine Grenzen, er kennt nur Zusammenhänge.
schrillen Sinnen=Neuklang des
verbluten. Ihn rettete nur sein
Daß ich nun „Auch Einer“ sein muß, der sich den
Die nach innen gerichtete, w
Bleistist spitzt und das Schreibpapier zurechtrückt, das tut
zurückwich, keiner Lockung erlag
mir ordentlich weh. Ich möchte am liebsten an diesem
den reinen Ausdruck aller echten
Tag auf den Fußspitzen vorbeischleichen. An diesem
erkannte. Und die Abwehr de
redaktionell angesetzten Tag, wo „das Verhältnis end¬
Einer Außenwelt, die wieder
gültig festgestellt werden muß“, nämlich Artur Schnitzlers
Schnitzlers Themen dunkler wur
zu der Zeitdichtung im allgemeinen und zu dem Schnitzler¬
sie, über den Einzelfall hinau
Beleuchter im besonderen. Nun soll man den Weg künden,
logischen Zusammenhänge meusch
den ein Dichter sich noch bahnt, den er selbst noch nicht
Klangbildung suchten, als Sch
rückwärts schauend schreitet, weil noch so unendlicher Reich¬
einfachen Bau einer Kammer
tum ihn weiterlockt. Man soll gerade diesem Sänger aller
Steigerung seiner Lebensdarste
Einsamkeiten, diesen sich selbst Geheimnisvollen, der über
langten die einen ungeduldig se
sich und sein Schaffen, wie über alles, was im Weltall
Während die anderen skeptisch,
sich regt, den Willen eines höberen Zwanges fühlt, seine
Dichter, der, wie zu Beginn, au
Inhaltsangabe mit sauberen Kapiteküberschriften prä¬
und vom Sterben (nur, daß
sentieren. Wäre es nicht kultivierter gerade an solchen
vom Leben und vom Tode i
offiziellen Erkenntnistagen im Werk des Dichters nach
dir nichts. Du meinst, nur wa
der Weisung zu suchen, die er über den Stil seiner Da¬
wir glauben dir doch nur den
seinsauffassung gibt? „Ich glaube nicht (sagt Schnitzler
Schnitzler zuzuhören pflegt,
irgendwo von Menschen, die ihre Wahrheit suchen), daß
haben. Mit dem höflich und
solche Wanderungen ins Froie sich gemeinsam unter¬
Kopf und den weitabschweifen
nehmen lassen ... Denn die Straßen dorthin Klausen
Menschen vorbei oder durch sie
Es
ja nicht im Lande draußen, sohdem in uns sgöst.
kommt nun für jeden darauf anz seinen innere# Weg zu Chorus glitt an der Eigenst#
9.1