VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 198

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1. 50th Birthdar
hnitt Fagesbote aus Mähren und Schlosien
Brünn.
11. MAl. 1912

—*
Abendblatt
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Hier ist er geboren und aufgewachsen, Sohn eines
Arztes, Bruder eines Professors der Medizin und selber
Zu Artur Schnitzlers So. Geburtstag.
ein Arzt, der selber einmal von sich gesagt, er hätte ohne
Von Dr. Hans Wautoch.
diese wissenschaftliche Kenntnis nie sein „Sterben“ und nie
Ein Stück Wien ist in seine Werke versponnen. The¬
„Die letzten Masken“ dichten können. Wo die Stadt ins
resianische Zärtlichkeiten singen in seinem Blut, und von
Land verrinnt und die sanften Hügelketten des Kahlen¬
der Darstellung des modernen Lebens weicht er immer
gebirges den Menschen in die Fenster schauen, dort ist sein
mehr im „Medardus“, im „Ruf des Lebens“ in jene still
Heim, von dem ein bestrickendes Aroma Altwiener Patri¬
verrinnenden Zeiten zurück, in denen sich der Begriff
ziertums, mit einem Schuß Makartbukett und Perser¬
österreichisch und der Begriff wienerisch durch Schubert¬
teppich, ausgeht. Die ganze Längswand des Arbeitszimmers,
weisen und Grillparzer=Dichtungen am besten erfüllt hat,
dreifach hintereinandergereiht, nehmen die Bücher und Foli¬
in denen das harte, feste, kantige Dasein in Versonnen¬
anten ein, unter denen historische Werke die Üüberzahl!
heit, in Traum und Märchen vergleitet. Denn es sind
bilden; deren Geschichte ist nun die Lieblingslektüre und
immer Märchen gewesen, was Schnitzler geschrieben hat.
das intensivste Studium des Arztes von einst. Da vergehen
Auch dort, wo er den Vibrationen der allergegenwärtigsten
ihm täglich viele Stunden ernster Arbeit, die den Wienern,
Seele nachgespürt hat, im „Zwischenspiel“ etwa, da drang
die ihn immer noch als den Schöpfer des „süßen Mädels“
er so tief und so innig ins heimliche Fühlen, daß es ihm
als den Schnitzler der Liebelei, des Reigen, des Anatol
langsam und sacht ins Ungewisse, ins Unwahrscheinliche
sehen, höchst verwunderlich wären; er aber sagt mit einer
und Märchenhafte verflimmerte. Ein Märchen vom Lieben
seltsam zusammengerafften Energie: „Man muß sich zur
und vom Sterben ist sein ganzes Werk. „Anatol“ war sein
Arbeit manchmal zwingen, jeden Tag sein Pensum; wenn
erstes Buch, das Buch eines soignierten Flaneurs, eines
man einmal eine Sache hat, dann durch! Denn es ist wie
homme à femwe, und „Sterben“, diese melancholische!
Nachdenklichkeit, sein zweites. Er hat wundervoll tiefe bei dem Astronomen, der zu lange durchs Fernrohr schaut:
das Firmament beginnt plötzlich zu flimmern.“
Dinge über die Liebe gesagt und erstaunlich lässige, frap¬
Und diese Arbeitsmethode mag es auch sein, die den
pierend vornehme, gleichsam manikurte über den Tod,
Werken Schnitzlers jenes Mühelose und Leichte, das Selbst¬
und er hat, ganz früh schon, im „Anatol“ bereits, jene
verständliche und Zwingende gibt. Die Wiener freilich sehen
Formulierung gefunden, in der uns das Märchen zeitlich
in ihm weniger den Nachspürer letzter seelischer Essenzen,
näher gerückt, moderner und — wenn man so sagen darf
als den lächelnden, tändelnden Anatol=Flaneur, sie nehmen
— realistischer erscheint: den Somnambulismus, die Tele¬
die Tragik seiner Werke nicht recht ernst, wie sein kleiner
pathie, die Suggestion, deren rätselhaftes Wesen die Ge¬
Bub, dem er den Inhalt von „Der Schleier der Pierette“
liebte des Herrn v. Sala auf seinem „Einsamen Weg“
erzählt hat und der, als er auf die Frage nach dem Schluß
erfüllt und die ganz in samtene Dunkelheit gehüllten letz¬
die Antwort bekam, „Zum Schluß sind alle tot“ — gesagt
#ten Novellen.
hat: „Das sieht dir wieder einmal ähnlich, Papa“. Die
Vielleicht ließe sich der Tonfall, der Rhythmus, die
Wiener haben sich bis auf den heutigen Tag jenen mon¬
Melodie, in der all das auf weiche, wienerische Art gesagt
dänen jungen Mann nicht aus dem Gedächtnis gewöhnt,
— vielleicht ließe sich auch über die Dichtung Schnitz¬
der ganze und halbe Tage lang wie andere mondäne junge
lers der Titel schreiben, der uns von Grillparzer her ge¬
Herren im Café Griensteidl saß, tief in die Stirn die
läufig ist: Leben und Traum; denn ein unbändiges Leben¬
Heinische Schnitzlerlocke, die beinahe so populär geworden
Wollen ist in allen Gestalten Schnitzlers, eine schwelge¬
ist, wie die rote Weste Gautiers. Noch durch ein anderes
#rische Daseinsfreude und ein kennerisches Genießen des
Werk neben der Liebelei ist er hier populär und berühmt,
Seins, wie es in den Rebengeländen rings um die Stadt
durch die Geschichte vom „Leutnant Gustl“ die ihm die
der Phäaken erblüht und daheim ist. Schon in dem wun¬
Offizierscharge gekostet und für lange den Weg ins Hof¬
dervollen einen Akt der „Lebendigen Stunden“, da spricht
theater versperrt hat.
es diese Vormärzgestalt des Anton Haushofer gegen den
Sohn, dem der Tod der Mutter zum Gedicht wird, aus:
Erst Max Burckhard legte ihn frei, und „Der junge
„Was ist denn deine ganze Schreiberei, und wenn du das
Medardus“: das war im vergangenen Jahre ein verblüffend
größte Genie bist: was ist sie denn gegen so eine Stunde,
grandioser Beweis von dem Können des längst totgesagten
so eine lebendige Stunde, in der deine Mutter hier auf
Burgtheaters. Aber immer noch spielt das Deutsche Reich
die Dichtungen Schnitzlers den Wienern zuvor. Man hat
dem Lehnstuhl gesessen ist und zu uns geredet hat, oder
auch geschwiegen — aber da ist sie gewesen — da! Und sie
den „Ruf des Lebens“ in Berlin drei Jahre früher sehen
hat gelebt, gelebt!“ Und Schnitzler hat in diesem Kleinod
können als in seiner Heimat und hat den „Einsamen Weg“¬
seiner Kunst ein wenig gegen sich selber polemisiert, hat
nur an jenen Gastspielabenden genießen dürfen, an deuen
mit der souveränen Allüre der Ganz=Großen sich seiber in
Sauer und Bassermann, die Lehmann und Reicher auf der
die Feder und über den Papierrand geschaut und hat in
Szene des Theaters an der Wien standen. Und wenn die
diesem Einakter zum ersten Male jene leise Heinische Selbst¬
Zeitungsmeldungen recht behalten, dann wird anp/15. Mail
Artur Schnitzler, ein Stück verkörperten Wieny auf dem
äronie gewonnen, die als Kontrapunkt in den meisten
letzten deutschen Provinztheater durch Auffüfrung eines
seiner späteren Werke mitschwingt und in dem letzten,
dem „Weiten Land“ eine prickelnde Kontrastierung zwischen
seinerStücke gefeiert und geehrt sein.
weithin hallender Bezeichnung und engbrüstigem Inhalt
gibt. Auch da ist wiederum — freilich in den ungeistigsten,
animalischen Formen — solch ein Stück Wille zum Leben
gestaltet, in dem Fabrikanten Hofreiter (dünkt er euch nicht
der minder liebenswürdige, weil ältere Bruder Ayätols
zu sein; denn einen Flaneur mit 40 oder 45 Jahren/einen
Mann jenseits der Schaffensmitte, der immer yür den
Schürzenschleifen und Automobilschleiern nachlänft, den
können wir fünf Akte hindurch nicht ertragen). Aber
immerhin: er bleibt Repräsentant der Schnitzlerschen Welt,
CRGEL