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Soth and 55th Birthdar
in Wien zu sagen. Ich liebe Arthur Schnitzlers Kunst; ob er Dramatiker,
Novellist oder was anderes aus dem literarischen Zettelkatalog ist, mögen
zu diesem Handwerk Berufene herausfingern — ich freue mich, daß er
da ist!
SEELISCHE GEOGRAPHIE. VON THADDAUS RITTNER.
lien wächst und wächst, wie andere Städte, wird aber nie er¬
wachsen sein. Darauf beruht sein Reiz. Auch der Dichter wird
älter wie andere Menschen, bleibt aber immer ganz jung.
(A Daraut beruht ein Talent.
Es ist kein Zufall, daß sich in Paris so viele spannende Romane er¬
eignen, während sie in Wien immer nur erwartet werden. Paris ist größer.
Für den Durchschnittswiener sind „unbegrenzte Möglichkeiten“ am Graben
oder Kohlmarkt ausgeschlossen
— Für Schnitzler sind sie trotz allem
vorhanden. Zu seinen dichterischen Taten gehört vor allem die Stilisierung
seiner Vaterstadt. Er schenkte ihr einen Zauberspiegel und sie sieht sich
darin „als die schönste“ nicht nur „im ganzen Land“. Und an dieses Spiegel¬
bild glaubt auch das übrige Europa — so überzeugend ist es; so quasi
„realistisch“
Nur Poeten bereichern so die seelische Geographie um neue, seltene Städte.
Denn ihren Augen ist alles neu, alles seltsam, wie den ganz jungen Leuten —
Ich wünsche dem fünfzigjährigen Dichter unzählige Freuden und Tor¬
heiten der frühen Jugend. Alle ihre bittersüßen Räusche, Enttäuschungen,
Träume — Er möge immer und alles zum ersten Male sehen, die Liebe, den
Kampf der Menschen, den Frühling und — Wien, seine Vaterstadt.
ZWEI STADTE. VON WILHELM SCHMIDTBONN.
an müßte verzagen, wenn es in der deutschen Dichtung nicht außer
Berlin ein Wien gäbe. Es ist vor allem nicht richtig, wenn Berlin sich
für moderner hält. Das leicht berührbare, schnell aufgreifende, bis
(EAA ins tiefste durchfühlende und das Letzte leidenschaftlich sondernde
Gehirn, das den neuen Künstler macht, findet sich beim Wiener wie beim Berliner.
Nur daß der Wiener dazu den Urgrund seiner alten, zeithabenden Liebe zu
den Dingen, zu allem Denkbaren und Fühlbaren behält; nur daß beim
Wiener die erregte Schwingung unserer merkwürdigen Zeit von seit alters
gedünnten und empfindlich gewordenen Nerven aufgenommen wird, während
Berlin die gröbere Schnellkraft des Ankömmlings hat. Wien verbindet das
Ohr mit der großen Zeit: Mozart. Wien liebt man, wenn Berlin einem
imponiert. Wien
wenn man Wien sagt, denkt man ja fast zuerst:
Arthur Schnitzler.
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Soth and 55th Birthdar
in Wien zu sagen. Ich liebe Arthur Schnitzlers Kunst; ob er Dramatiker,
Novellist oder was anderes aus dem literarischen Zettelkatalog ist, mögen
zu diesem Handwerk Berufene herausfingern — ich freue mich, daß er
da ist!
SEELISCHE GEOGRAPHIE. VON THADDAUS RITTNER.
lien wächst und wächst, wie andere Städte, wird aber nie er¬
wachsen sein. Darauf beruht sein Reiz. Auch der Dichter wird
älter wie andere Menschen, bleibt aber immer ganz jung.
(A Daraut beruht ein Talent.
Es ist kein Zufall, daß sich in Paris so viele spannende Romane er¬
eignen, während sie in Wien immer nur erwartet werden. Paris ist größer.
Für den Durchschnittswiener sind „unbegrenzte Möglichkeiten“ am Graben
oder Kohlmarkt ausgeschlossen
— Für Schnitzler sind sie trotz allem
vorhanden. Zu seinen dichterischen Taten gehört vor allem die Stilisierung
seiner Vaterstadt. Er schenkte ihr einen Zauberspiegel und sie sieht sich
darin „als die schönste“ nicht nur „im ganzen Land“. Und an dieses Spiegel¬
bild glaubt auch das übrige Europa — so überzeugend ist es; so quasi
„realistisch“
Nur Poeten bereichern so die seelische Geographie um neue, seltene Städte.
Denn ihren Augen ist alles neu, alles seltsam, wie den ganz jungen Leuten —
Ich wünsche dem fünfzigjährigen Dichter unzählige Freuden und Tor¬
heiten der frühen Jugend. Alle ihre bittersüßen Räusche, Enttäuschungen,
Träume — Er möge immer und alles zum ersten Male sehen, die Liebe, den
Kampf der Menschen, den Frühling und — Wien, seine Vaterstadt.
ZWEI STADTE. VON WILHELM SCHMIDTBONN.
an müßte verzagen, wenn es in der deutschen Dichtung nicht außer
Berlin ein Wien gäbe. Es ist vor allem nicht richtig, wenn Berlin sich
für moderner hält. Das leicht berührbare, schnell aufgreifende, bis
(EAA ins tiefste durchfühlende und das Letzte leidenschaftlich sondernde
Gehirn, das den neuen Künstler macht, findet sich beim Wiener wie beim Berliner.
Nur daß der Wiener dazu den Urgrund seiner alten, zeithabenden Liebe zu
den Dingen, zu allem Denkbaren und Fühlbaren behält; nur daß beim
Wiener die erregte Schwingung unserer merkwürdigen Zeit von seit alters
gedünnten und empfindlich gewordenen Nerven aufgenommen wird, während
Berlin die gröbere Schnellkraft des Ankömmlings hat. Wien verbindet das
Ohr mit der großen Zeit: Mozart. Wien liebt man, wenn Berlin einem
imponiert. Wien
wenn man Wien sagt, denkt man ja fast zuerst:
Arthur Schnitzler.
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