—.—
5
box 39/2
5oth and sth Birthdav
erschrak denn Dr. Schlesinger derart über das Märchen von den Gefallenen,
daß er die Aufführung verbot. Seither durfte ich oft und oft die Werke
Schnitzlers kennen lernen, mich an seinen Erfolgen freuen und seine per¬
sönliche Freundschaft gewinnen. Und seither behaupte ich auch, daß man es
aus der Welt schaffen müsse, das Märchen von den Dramaturgen, die die
eingereichten Stücke nicht lesen und die das Talent nicht aufkommen
lassen.
Ich bin nun Direktor des Königlichen Deutschen Landestheaters in
Prag und in diesem ersten Jahre meiner Direktion habe ich Gelegenheit,
mein Verhältnis zu Arthur Schnitzler zu bestätigen. An seinem So. Geburts¬
tag beginne ich einen Zyklus seiner Werke — 14 Schnitzlerabende. Und
diesen Zyklus eröffne ich mit der ersten Aufführung des inzwischen von der
Zensur freigegebenen „Märchen“.
SILHOUETTE. VON JAKOB WASSERMANN,
sie Antithese von lokaler Gebundenheit und geistiger Freiheit gibt der
dichterischen Welt Arthur Schnitzlers ihre Prägung. Durch jene ist ihm
Erde verliehen, Besitz, Begrenzung, Realität, ein Reichtum, der sich nicht
— leicht verringern kann, weil er auf einem natürlichen Verhältnis zu den
Elementen, zur Nation und zur Heimat beruht; diese befähigt ihn, das Un¬
scheinbare, Zufällige und Alltägliche symbolisch zu erhöhen. Er hat so
wenig von einem Literaten, wenn ich den Literaten als einen Abhängigen,
Formen-Umbildner, Formen-Erweiterer bezeichnen darf, daß er, nur auf sich
selbst und die Hilfsquellen seines Bodens angewiesen, niemals jene stürmische
Zuversicht an den Tag legen konnte, welche bei vielen nur in einer
Verwechslung eigener Potenz mit überlieferten Möglichkeiten begründet ist,
und daß am Anfang seiner Laufbahn ein Werk steht, dessen Schlichtheit
und echte Melodik an Volkslieder erinnert. Er besitzt für einen Deutschen
ungewöhnlich viel Esprit und ungewöhnlich viel Welt, Gaben, die das Publi¬
kum und die Kritik stets ermunterten, gewisse schädliche und unvertilgbare
Schlagworte an seine Produktion zu heften, die aber in seinen Gebilden,
wo sie nicht allzuweit ins Problematische entrückt sind, als eine reizvolle
Mischung von Sarkasmus und Melancholie auftreten und insbesondere den
dramatischen Dialogen den Zauber einer Originalität geben, die Verwunderung
und Entzücken hervorruft, weil sie das Leben gleichsam zum ersten Male
zur Erscheinung bringt. Es ist eine heitere Luft um seine Gestalten, eine
zarte und delikate Führung in den Linien ihrer Schicksale, eine spirituelle
Macht in ihrer sittlichen Haltung und eine nicht mühelos durchschaubare
sozusagen metaphorische Konsequenz in ihrem Spiel und Widerspiel. Ist es
auch nicht das Feuer der Dämonie, das sie erfüllt und treibt, so ist es
348
8200
5
box 39/2
5oth and sth Birthdav
erschrak denn Dr. Schlesinger derart über das Märchen von den Gefallenen,
daß er die Aufführung verbot. Seither durfte ich oft und oft die Werke
Schnitzlers kennen lernen, mich an seinen Erfolgen freuen und seine per¬
sönliche Freundschaft gewinnen. Und seither behaupte ich auch, daß man es
aus der Welt schaffen müsse, das Märchen von den Dramaturgen, die die
eingereichten Stücke nicht lesen und die das Talent nicht aufkommen
lassen.
Ich bin nun Direktor des Königlichen Deutschen Landestheaters in
Prag und in diesem ersten Jahre meiner Direktion habe ich Gelegenheit,
mein Verhältnis zu Arthur Schnitzler zu bestätigen. An seinem So. Geburts¬
tag beginne ich einen Zyklus seiner Werke — 14 Schnitzlerabende. Und
diesen Zyklus eröffne ich mit der ersten Aufführung des inzwischen von der
Zensur freigegebenen „Märchen“.
SILHOUETTE. VON JAKOB WASSERMANN,
sie Antithese von lokaler Gebundenheit und geistiger Freiheit gibt der
dichterischen Welt Arthur Schnitzlers ihre Prägung. Durch jene ist ihm
Erde verliehen, Besitz, Begrenzung, Realität, ein Reichtum, der sich nicht
— leicht verringern kann, weil er auf einem natürlichen Verhältnis zu den
Elementen, zur Nation und zur Heimat beruht; diese befähigt ihn, das Un¬
scheinbare, Zufällige und Alltägliche symbolisch zu erhöhen. Er hat so
wenig von einem Literaten, wenn ich den Literaten als einen Abhängigen,
Formen-Umbildner, Formen-Erweiterer bezeichnen darf, daß er, nur auf sich
selbst und die Hilfsquellen seines Bodens angewiesen, niemals jene stürmische
Zuversicht an den Tag legen konnte, welche bei vielen nur in einer
Verwechslung eigener Potenz mit überlieferten Möglichkeiten begründet ist,
und daß am Anfang seiner Laufbahn ein Werk steht, dessen Schlichtheit
und echte Melodik an Volkslieder erinnert. Er besitzt für einen Deutschen
ungewöhnlich viel Esprit und ungewöhnlich viel Welt, Gaben, die das Publi¬
kum und die Kritik stets ermunterten, gewisse schädliche und unvertilgbare
Schlagworte an seine Produktion zu heften, die aber in seinen Gebilden,
wo sie nicht allzuweit ins Problematische entrückt sind, als eine reizvolle
Mischung von Sarkasmus und Melancholie auftreten und insbesondere den
dramatischen Dialogen den Zauber einer Originalität geben, die Verwunderung
und Entzücken hervorruft, weil sie das Leben gleichsam zum ersten Male
zur Erscheinung bringt. Es ist eine heitere Luft um seine Gestalten, eine
zarte und delikate Führung in den Linien ihrer Schicksale, eine spirituelle
Macht in ihrer sittlichen Haltung und eine nicht mühelos durchschaubare
sozusagen metaphorische Konsequenz in ihrem Spiel und Widerspiel. Ist es
auch nicht das Feuer der Dämonie, das sie erfüllt und treibt, so ist es
348
8200