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5oth and 55th Birthday
lichkeiten der Landschaft und der geistigen Atmosphäre; aber in Wahrhei:
hat sich kaum einer weniger wiederholt als er, ist kaum einer so entschieden
aus engstem Kreis ins Weite geschritten. Sein Hauptwerk? Der „Medardus“
— vielleicht; hier sind alle Elemente seines Wesens am reinsten beisammen.
Aber kaum ist dies ausgesprochen, so drängen sich als Einwände seine
anderen Stücke und seine Erzählungen heran und zeugen für anderen Reichtum.
Er hat begonnen wie ein Franzose, der zufällig in Wien geboren war,
Hat all diese pikante Dialoggrazie bald weggestreift, ist aus den Bezirken
enger und kleinbürgerlicher Erotik (die er freilich in der „Liebelei“ in
wundervolles Allgemein-Menschliches hinaufzutreiben wußte) ins weite Land
gegangen, in dem nur mehr die Wichtigkeiten des Menschentums Gesetz
sind. Von den Anatolabenteuern und all' den großen und kleinen Schmerzen
der Liebe — die er in Meisterwerken von Maupassantscher Klarheit und
Reife dargestellt hat — ist er längst fort, hat nach allen bedeutsamen
Problemen des gesellschaftlichen Lebens gegriffen, hat die Fragen des Duells
(Freiwild), des Militarismus (Leutnant Gustl), des gebildeten Großstadtjuden
(„Der Weg ins Freie“ — sein persönlichstes und anziehendstes Bekenntnis)
ebenso scharf gepackt, wie manche Fragen der Ehe (Zwischenspiel), hat
von allen möglichen Verlogenheiten und Grausamkeiten den Schleier gehoben
(„Vermächtnis“, „Reigen“), hat in der „Beatrice“ seinen großartigsten Dichter¬
und Schönheitstraum geträumt, hat das bedenkliche Verhältnis des Schaffenden
zu seinen Anlässen, anders als Ibsen in seinem „Epilog“ in den „Lebendigen
Stunden“ mit bestrickendem Geist und unbarmherziger Offenheit gestaltet
und ist im „Einsamen Weg“, im „Ruf des Lebens“ in den „Marionetten“
zu den tiefsten Aufschlüssen vom Puppenspiel des Lebens gelangt. Uberall
ganz er selbst und doch überall anders, von neuen Perspektiven aus die
alten Gesichter betrachtend. Aber keines dieser Werke spricht seine Totalität
aus. Nicht einmal sein erstes: während die großen Dichter sonst gerade in
ihren Anfängen ihr ganzes Ich in ihr Werk pressen, hypertrophisch, über¬
laden und übertrieben, aber aufschlußreich für ihr ganzes späteres Sein, hat
Schnitzler schon im „Anatol“ genau so artistisch gearbeitet, wie zur Zeit
seiner schönsten Meisterschaft, hat in ungemein besonnener Gewissenhaftigkeit
alles aufdringliche ausgeschieden, hat fast altklug alles vermieden, was sein
eigentliches Wesen verkünden könnte, hat sich in diesen anmutvoll geist¬
reichen, melancholisch skeptischen Szenen in die reinste Form und in eine
kühle Ironie geflüchtet, die nichts von der Wärme der nachfolgenden Werke
hatte. Niemals geht sein Temperament hier mit ihm durch; alles selbst¬
verräterische fehlt. Woher kommt, daß alles was er nachher gemacht hat,
jugendlicher wirkt, als gerade seine ersten Sachen: der „Anatol“, das
„Märchen“. Jugendlicher, voller — auch voller von ihm selbst. Er hat eine
Reihe von Meisterwerken vollendet. Aber sein eigentliches Erstlingswerk ist
er noch schuldig geblieben.
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lichkeiten der Landschaft und der geistigen Atmosphäre; aber in Wahrhei:
hat sich kaum einer weniger wiederholt als er, ist kaum einer so entschieden
aus engstem Kreis ins Weite geschritten. Sein Hauptwerk? Der „Medardus“
— vielleicht; hier sind alle Elemente seines Wesens am reinsten beisammen.
Aber kaum ist dies ausgesprochen, so drängen sich als Einwände seine
anderen Stücke und seine Erzählungen heran und zeugen für anderen Reichtum.
Er hat begonnen wie ein Franzose, der zufällig in Wien geboren war,
Hat all diese pikante Dialoggrazie bald weggestreift, ist aus den Bezirken
enger und kleinbürgerlicher Erotik (die er freilich in der „Liebelei“ in
wundervolles Allgemein-Menschliches hinaufzutreiben wußte) ins weite Land
gegangen, in dem nur mehr die Wichtigkeiten des Menschentums Gesetz
sind. Von den Anatolabenteuern und all' den großen und kleinen Schmerzen
der Liebe — die er in Meisterwerken von Maupassantscher Klarheit und
Reife dargestellt hat — ist er längst fort, hat nach allen bedeutsamen
Problemen des gesellschaftlichen Lebens gegriffen, hat die Fragen des Duells
(Freiwild), des Militarismus (Leutnant Gustl), des gebildeten Großstadtjuden
(„Der Weg ins Freie“ — sein persönlichstes und anziehendstes Bekenntnis)
ebenso scharf gepackt, wie manche Fragen der Ehe (Zwischenspiel), hat
von allen möglichen Verlogenheiten und Grausamkeiten den Schleier gehoben
(„Vermächtnis“, „Reigen“), hat in der „Beatrice“ seinen großartigsten Dichter¬
und Schönheitstraum geträumt, hat das bedenkliche Verhältnis des Schaffenden
zu seinen Anlässen, anders als Ibsen in seinem „Epilog“ in den „Lebendigen
Stunden“ mit bestrickendem Geist und unbarmherziger Offenheit gestaltet
und ist im „Einsamen Weg“, im „Ruf des Lebens“ in den „Marionetten“
zu den tiefsten Aufschlüssen vom Puppenspiel des Lebens gelangt. Uberall
ganz er selbst und doch überall anders, von neuen Perspektiven aus die
alten Gesichter betrachtend. Aber keines dieser Werke spricht seine Totalität
aus. Nicht einmal sein erstes: während die großen Dichter sonst gerade in
ihren Anfängen ihr ganzes Ich in ihr Werk pressen, hypertrophisch, über¬
laden und übertrieben, aber aufschlußreich für ihr ganzes späteres Sein, hat
Schnitzler schon im „Anatol“ genau so artistisch gearbeitet, wie zur Zeit
seiner schönsten Meisterschaft, hat in ungemein besonnener Gewissenhaftigkeit
alles aufdringliche ausgeschieden, hat fast altklug alles vermieden, was sein
eigentliches Wesen verkünden könnte, hat sich in diesen anmutvoll geist¬
reichen, melancholisch skeptischen Szenen in die reinste Form und in eine
kühle Ironie geflüchtet, die nichts von der Wärme der nachfolgenden Werke
hatte. Niemals geht sein Temperament hier mit ihm durch; alles selbst¬
verräterische fehlt. Woher kommt, daß alles was er nachher gemacht hat,
jugendlicher wirkt, als gerade seine ersten Sachen: der „Anatol“, das
„Märchen“. Jugendlicher, voller — auch voller von ihm selbst. Er hat eine
Reihe von Meisterwerken vollendet. Aber sein eigentliches Erstlingswerk ist
er noch schuldig geblieben.
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