VII, Verschiedenes 2, 50ster und 55ster Geburtstag, Seite 29

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durchwühltes Staunen darüber, daß zwei Menschen, die so nahe beisammen
gewesen, so endlos weit voneinander abgleiten können; daß fremd zu werden
vermag, was jemals eins war. Ein erschüttertes Staunen darüber, daß die
Fülle des Daseins in ewiger Leere endigt, daß dieses strahlende Licht ewiger
Finsternis nur als kurze Einleitung voraufgeht; daß dieser tiefwehende
jauchzende Akem der Lebendigkeit in uns zu jeder Minute ausgeblasen und
erstickt werden kann. Dieses doppelte Staunen, aus dem der Jüngling
einst vor sich selbst, vor sein Schicksal und vor die Wele trat, ist in all den
Jahren nicht gemindert noch beschwichtigt worden, und der Fünfzigjährige
steht heute sich selbst, dem Schicksal und der Welt gegenüber, voll Staunen,
wie nur je; in lächelnder Anmut des Geistes, in lyrisch=nachdenklicher Me¬
lancholie des Herzens, voll Entzücken und trunkener Daseinslust dem Leben
dahingegeben, voll sanfter Weisheit das Leben gütig belächelnd.
In dieser Bilderreihe immer wiederkehrender und immer wieder schwin¬
dender Liebe, in dieser beständig über allem Erblühen schwebenden Drohung
des Welkens, in diesem Umkreis einer Welt, der abgesteckt ist von Wonne
des Seins und Grauen des Todes, liegt freilich eine Dagewesenheit, die so
ewig ist, und beinahe so alt, wie das Leben selbst. Arthur Schnitzler aber hat
mit diesen Dingen, die jedem gegeben sind, nur gespielt. Sein Spiel gespielt.
Er hat auf diesem Hintergrund, vor den wir alle treten, sein Profil
gezeichnet. Sein eigenes. Und aus diesem Erdenlehm, der jeder formen¬
den Hand willig ist, hat er seine Gestalten geschaffen. In seinem Ebenbild.
Eine kleine Welt von Menschen lebt nun mit uns, führt in unserm Ge¬
dächtnis, in unserer Kenntnis von der Welt und in unseren Erkenntnissen
eine lebendige Existenz von erhöhter Wirklichkeit. Anatol, der verwöhnte
Melancholiker des Genusses, die einfache, süße Christine aus der Liebelei, der
edel komplizierte Herr von Sala aus dem „Einsamen Weg“, die Herzogin
aus dem „Grünen Kakadu“, der junge Kavalieraus „Literatur“; und alle tragen
die Züge Schnitzlerschen Geistes, alle haben an ihrer Gestalt vom Griff und
Druck seiner formenden Hand die Spur. Alle reden so, daß man nach
ihren ersten drei Worten schon wissen muß: sie sind von Schnitzler. Alle
sind in Erlebnisse, in Konflikte, in Schicksale, in eine Atmosphäre gestellt,
die vollkommen Schnitzlers Wesen und Eigenart spiegelt. Wie sie jetzt einer
nach dem andern an mir vorüberziehen, fällt es mir auf: von einer merk¬
würdigen Milde und Reinheit sind sie alle. Auf keinem von ihnen hat ein
trüber Blick des Hasses geruht. Schuldlose sind sie alle. Oder Entschuldigte.
Von Schuld befreit.
(Der Generation, die jetzt die reifen Mannesjahre lebt, die jetzt sacht schon
— dem Alter entgegenschreitet, ist Arthur Schnitzler innig verbunden.
Er ist eines ihrer stärksten künstlerischen Ereignisse, ist eines ihrer suggessiven
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