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sothand 55th Birthdar
300 Dr. Heinrich Ritter v. Wittek, Die Wiener Musikfestwoche 1912.
ist als die Kunst selbst, in der Müdigkeit und Blasiertheit seiner Helden, der
Sorglosigkeit seiner Mädchen — überall spricht der Wiener zu uns, der all
die schmeichelnde Weichheit, aber auch die entnervende Schwüle der Kaiserstadt
in sich gesogen. Daß es ihm gelungen ist, seine komplizierte Individualität
und die aus ihr entspringenden modernen Probleme in eine künstlerische Form
zu kleiden, die bodenständig und zugleich literarisch ist, darin liegt seine Be¬
deutung für Österreich und für das deutsche Geistesleben der Gegenwart über¬
haupt. Gerade jetzt, wo ein bedeutsames äußeres Datum ihm die Marke der
männlichen Vollreife aufdrückt, sehen wir mit Freude, wie wenig abgeschlossen
noch sein Schaffen ist. Seine letzten Werke sind es, die in ihrer Überfülle an
Gedanken und Motiven, ihren Ungleichheiten und Sprüngen beweisen, wie
der Dichter noch lange nicht mit sich selbst fertig geworden. Einem Aus¬
gleich strebt er entgegen zwischen seiner immer nachdenklicheren Inner¬
lichkeit und dem durchgebildeten Naturalismus seiner scharfen Beobachtung.
Er hat ihn bisher in keinem seiner größeren Werke gefunden. Aber gerade
in seiner Sehnsucht, den „Weg ins Freie“ nicht zu verfehlen, liegt der Reiz
seiner Dichtung, liegt die Gewähr einer Weiterentwicklung. Aus der Schar
der beschäftigten Müßiggänger, die sich Künstler nennen und von Kunst schön
reden oder sich von ihr umschmeicheln lassen, hebt sich Georg Wergenthin
empor, in dem sich Schnitzler bemüht, den Dilettantismus zum Berufe werden
zu lassen, auf dem Boden der Renaissance hat er den Mann der Tat, den er
in seiner Umgebung vergebens suchte, entdeckt. Mit strengster Gewissenhaftigkeit
hat er unermüdlich an sich gearbeitet, langsam und zögernd stellte sich der
Erfolg ein, er hal sich weder durch laue Aufnahme noch durch jubelnden
Beifall beirren lassen, jedes seiner Werke ist ein Produkt angestrengtester
Arbeit und gewissenhafter Durchdringung. Er hat es verstanden, einsam zu
sein und doch eine Schule zu bilden, in der Naoul Auernheimer die leichten,
Felix Salten die skeptisch=scharfen Seiten seines Wesens weiterbilden. So
darf eine Betrachtung seines Werkes an seinem fünfzigsten Geburtstage nicht
sagen: Es warl sondern: Es wird!
Die Wiener Musikfestwoche 1912.
Von Dr. Heinrich Ritter v. Wittek.
Allbekannt sind die neuestens lebhaft hervortretenden Bestrebungen, die
nach dem Derby Ende Mai oder anfangs Juni jäh abbrechende Wiener Saison
zu verlängern, auch zur Sommerszeit in Wien Attraktionen zu schaffen und
das Reisepublikum des Auslandes zu häufigeren Besuchen der Reichshaupt¬
stadt anzuregen. Den zu diesem Zwecke ins Leben gerufenen Veranstaltungen
wird gemeiniglich auch die für die Zeit vom 21. Juni bis 1. Juli d. J. vor¬
bereitete Musikfestwoche 1912 beigezählt. So gern nun das große Wiener
Musikfest sich in den Dienst der vorerwähnten Bestrebungen stellt, denen es
eine namhafte materielle Förderung verdankt, so erhebt es sich doch nach seinem
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sothand 55th Birthdar
300 Dr. Heinrich Ritter v. Wittek, Die Wiener Musikfestwoche 1912.
ist als die Kunst selbst, in der Müdigkeit und Blasiertheit seiner Helden, der
Sorglosigkeit seiner Mädchen — überall spricht der Wiener zu uns, der all
die schmeichelnde Weichheit, aber auch die entnervende Schwüle der Kaiserstadt
in sich gesogen. Daß es ihm gelungen ist, seine komplizierte Individualität
und die aus ihr entspringenden modernen Probleme in eine künstlerische Form
zu kleiden, die bodenständig und zugleich literarisch ist, darin liegt seine Be¬
deutung für Österreich und für das deutsche Geistesleben der Gegenwart über¬
haupt. Gerade jetzt, wo ein bedeutsames äußeres Datum ihm die Marke der
männlichen Vollreife aufdrückt, sehen wir mit Freude, wie wenig abgeschlossen
noch sein Schaffen ist. Seine letzten Werke sind es, die in ihrer Überfülle an
Gedanken und Motiven, ihren Ungleichheiten und Sprüngen beweisen, wie
der Dichter noch lange nicht mit sich selbst fertig geworden. Einem Aus¬
gleich strebt er entgegen zwischen seiner immer nachdenklicheren Inner¬
lichkeit und dem durchgebildeten Naturalismus seiner scharfen Beobachtung.
Er hat ihn bisher in keinem seiner größeren Werke gefunden. Aber gerade
in seiner Sehnsucht, den „Weg ins Freie“ nicht zu verfehlen, liegt der Reiz
seiner Dichtung, liegt die Gewähr einer Weiterentwicklung. Aus der Schar
der beschäftigten Müßiggänger, die sich Künstler nennen und von Kunst schön
reden oder sich von ihr umschmeicheln lassen, hebt sich Georg Wergenthin
empor, in dem sich Schnitzler bemüht, den Dilettantismus zum Berufe werden
zu lassen, auf dem Boden der Renaissance hat er den Mann der Tat, den er
in seiner Umgebung vergebens suchte, entdeckt. Mit strengster Gewissenhaftigkeit
hat er unermüdlich an sich gearbeitet, langsam und zögernd stellte sich der
Erfolg ein, er hal sich weder durch laue Aufnahme noch durch jubelnden
Beifall beirren lassen, jedes seiner Werke ist ein Produkt angestrengtester
Arbeit und gewissenhafter Durchdringung. Er hat es verstanden, einsam zu
sein und doch eine Schule zu bilden, in der Naoul Auernheimer die leichten,
Felix Salten die skeptisch=scharfen Seiten seines Wesens weiterbilden. So
darf eine Betrachtung seines Werkes an seinem fünfzigsten Geburtstage nicht
sagen: Es warl sondern: Es wird!
Die Wiener Musikfestwoche 1912.
Von Dr. Heinrich Ritter v. Wittek.
Allbekannt sind die neuestens lebhaft hervortretenden Bestrebungen, die
nach dem Derby Ende Mai oder anfangs Juni jäh abbrechende Wiener Saison
zu verlängern, auch zur Sommerszeit in Wien Attraktionen zu schaffen und
das Reisepublikum des Auslandes zu häufigeren Besuchen der Reichshaupt¬
stadt anzuregen. Den zu diesem Zwecke ins Leben gerufenen Veranstaltungen
wird gemeiniglich auch die für die Zeit vom 21. Juni bis 1. Juli d. J. vor¬
bereitete Musikfestwoche 1912 beigezählt. So gern nun das große Wiener
Musikfest sich in den Dienst der vorerwähnten Bestrebungen stellt, denen es
eine namhafte materielle Förderung verdankt, so erhebt es sich doch nach seinem