VII, Verschiedenes 2, 50ster und 55ster Geburtstag, Seite 45

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Sothand 55t1 Birthdar
Georg v. Skal
Er hat in den Massen das Bewußtsein geweckt, daß
Der Kampf um die Delegaten zum republi= die Gerichte, die die Verfassung auslegen und dar¬
kanischen Parteitage ist in diesem Jahre fast hef= über entscheiden, ob neue Gesetze mit ihr im Ein¬
Der Kaiser und die Elsaß=Lothringer
tiger, als unter gewöhnlichen Umständen eine klang stehen, sich zu sehr an den Buchstaben halten
Präsidentenwahl. Seit einigen Monaten zieht und der neuen Entwicklung keine Rechnung tra¬
*Der Kaiser weilt seit gestern im Elsaß, um
gen. Seine Haltung ist durchaus revolutio¬
Roosevelt durch das Land und setzt den Leuten
übe
wie in jedem Jahre, der Hohkönigsburg einen
auseinander, weshalb Präsident Taft nicht wieder
Ber
när, obgleich ihm selbst das wohl kaum zum
Besuch abzustatten. Diesen Anlaß benützt der
als Kandidat aufgestellt werden sollte. Der wohl¬
Bewußtsein kommt. Er erkennt die tiefgehende
Pariser „Matin“, um sich ein Märchen über die
Unzufriedenheit der Massen und macht sie sich zu¬
beleibte und gemütliche Präsident mit dem herz¬
Stellung des Kaisers zu den Elsaß=Lothringern!
nutze, indem er ihnen erzählt, daß alle seine Geg¬
gewinnenden Lächeln ließ sich das ruhig gefallen,
aus Straßburg melden zu lassen. Am Montag
ner, die für die Beibehaltung der vorhandenen po¬
bis Roosevelt einen Staat nach dem anderen
vormittag hat der Kaiser bei Staatssekretär
litischen Einrichtungen wirken, Reaktionäre,
eroberte und es klar wurde, daß etwas getan wer¬
Zorn v. Bulach in Straßburg das Frühstück
Freunde der Trusts und Feinde des Volkes seien.
den müsse, wenn der Rauhreiter nicht ohne große
eingenommen. Dabei soll sich, wie der Matin
Die Gefahr für das Land besteht aber nicht in der
Mühe die Kandidatur erhalten sollte. Tafts
li
„aus bester Quelle“ erfahren haben will, die Un¬
Persönlichkeit Roosevelts, der unzweifelhaft wie¬
und
Freunde drängten ihn, sich die Angriffe nicht
terhaltung auch auf die zahlreichen Zwischenfälle
der ganz konservativ werden würde, wenn er noch
länger gefallen zu lassen, und so verkündeten die
im elfaßelothringischen Landtag seit Einführung
einmal zum Präsidenten gewählt werden sollte,
Zeitungen, der Präsident werde nach Massa¬
der Verfassung bezogen hahen. Dies habe den
sondern in den Lehren, die er ausstreut.
chusetts reisen, wo am 30. April die Vorwahlen
Kaiser zu folgenden Bemerkungen veranlaßt:
stattfinden, und dort seinen einstigen Freund und
Es kann für das amerikanische Volk gewiß nur
Wenn das so weiter fortgeht, schlage ich die

jetzigen Gegner derart vermöbeln, daß dieser kein
vorteilhaft sein, wenn es endlich aufhört, die 125
ganze Verfassung von Elsaß=Lothringen in
Wort mehr zu sagen wagen würde.
Jahre alte Verfassung als ein Heiligtum zu be¬
Scherben. Bis jetzt kennen sie mich nur von
sein
Wir genießen also jetzt wirklich das erhebende trachten, an dem bei Todesstrafe nicht gerührt!
die
meiner guten Seite, man kann mich aber auch
wollen, aber, er bewunderte und beneidete alle
ich den damals erschienenen „Schleier der
Beg
Perfönliches über Artur Schnitzler
Beatrice“ bewundernd las und besonders
starken schönen Menschen, die nicht von des Ge¬
schöne Stellen angestrichen hatte, nahm er mir den
dankens Blässe angekränkelt, nicht die tausend
Zu seinem 50. Geburtstage
Her
Stimmungen und Zweifel des Schaffenden kennen.
Band aus der Hand und blätterte in ihm. Da
Von Hermine Hauel
Mittelgroß, eher zur Fülle neigend, mit einem
lächelte er zustimmend und fortan plauderten wir
In
und
etwas weichen Gesicht, gütigen Augen und nach¬
über seine Arbeiten, wie es ihm und mir beliebte.
* Ich lernte Schnitzler in Ischl kennen, wo er
durch
denklich liebenswürdigem Lächeln leicht feminin,
Die Familie Schnitzler ist eine Aerztedynastie.
früher gern den Sommer verbrachte, er war da¬
kann
Der Vater war eine bekannte Kapazität, der ältere
ist Schnitzler durch und durch Wiener und in
mals 35 Jahre alt und hatte sich vor allem durch
der
Sohn zählt zu den berühmtesten Chirurgen Wiens,
seinen Lebensgewohnheiten der etwas verwöhnte
„Anatol“ und „Liebelei“ einen Namen ge¬
die einzige Schwester vermählte sich mit einem
Mann aus gutem Haus. Nux in Wien fühlt er
fühl
macht. Die Frauen interessierten sich sehr für
sich dauernd heimisch, wenn er auch gern in Berlin
Arzt. Auch Artur Schnitzler wählte die medi¬
den Schilberer der eleganten Liaisons, den Schöp¬
zinische Laufbabn, doch ist er wohl immer mehr
weilt, wo er vielfache interessante Beziehungen
fer des Süßen Mädels, sie meinten, er sei ein
hat und in dem auregenden Kreise seines Ver¬
Künstler gewesen, und das viele Traurige, Hä߬
Verführer und Lebemann voll geheimnissüßer
liche und Krankhafte, das er kennen lernte, hat
legers „Fischer“ verkehrt. Oesterreicher und
Erlebnisse. Ich glaube nicht, daß er jemals zu
ihn bedrückt. Er sagte, der Einblick in mensch¬
Jude, von jener seinen, alten Kultur, wie man sie
den Genießenden und Eroberernaturen zählte. Ihm
liches Elend habe ihm viel Lebensfreude geraubt
unter Oesterreichs Juden zuweilen findet, ist er
fehlte die Naivität und kritiklose Unbefangenheit,
und er müsse nun bei allen Leuten etwas Krankes
vielleicht gerade seiner Abstammung wegen dop¬
er war stets ein Denker, ein Grübler, satirischer
suchen; anderseits hat gewiß sein Arztberuf seinen
pelt empfindsam und zurückhaltend, mit Unrecht
Melancholiker, und das Leben hat ihm gewiß mehr
wurde ihm seine Exklusivität manchmal für Hoch¬
Blick für die Tiefen geschärft. An seine Künstler¬
wehmütig erkenntnisreiche, als übermütig frohe
mut ausgelegt.
mission glaubend, hat er schon vor dem Erfolg die
Stunden gebracht.
Als „Leutnant Gustl“ unliebsames Auf¬
Karriere vernachlässigt, nur einige Privatgratis¬
Damals glaubte er nicht an die weibliche Treue

patienten behandelt und sich der Dichtkunst hinge¬
sehen erregte und im „Freiwild“ das Duell
und Verläßlichkeit, er war sehr mißtrauischer Na¬
graß
geben.
der Offiziere getadelt wurde, da hat man dem
tur und sah vor allem in der Frau das verant¬
die
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Dichter, der nur ein Problem künstlerisch ohne
Nebea seiner täglichen, angestrengten, schrift¬
wortungslose Triebwesen, das jedem Impulse der
Tendenz gestalten wollte, mit Unrecht vorgewor¬
stellerischen Arbeit bildet er sich weiter, liest viel
unruhigen Sinne und der schweifenden Phantasie
deln
fen, er sei antimilitärisch gesinnt. Dieses Urteil
und lernt immer wieder an Goethe, Keller und
gehorcht. Auch schilderte er mehr das Weibchen
der
hat ihn gekränkt weil er stets eine starke Sym¬
anderen Meistern des Stils. Mit Vorliebe be¬
als das Weib und er mag wohl gerade bei einem
gera
trieb er damals in der Jahrhundertwende histo¬
pathie für die frische, unmittelbare Art des Sol¬
Teil der Wienerinnen mit ihrem südländischen
grau
datenstandes gehegt und mit Vorliebe des eigenen
rische Studien, vertiefte sich in die Zeit der italie¬
Temperament recht haben. Als wahren, uneigen¬
aufzs
Militärjahres gedachte. Die teils dummen Ur¬
nischen Renaissance, als er den „Schleier der
nützigen Liebesbeweis der Hingabe ließ er eigent¬
ein
Beatrice“ schuf, und plante an einem großen ge¬
teile über seinen vielumstrittenen „Reigen“, die
lich nur das Kind gelten und die freiwillige Dul¬
Bast
schichtlichen Werke, vielleicht unbewußt, schon an
erotischen Skizzen, waren ihm auch unlieb — aur
derschaft der unehelichen Mutter.
dem „Jungen Medardus“ der im Jahre
dem Drängen seiner Freunde war er gefolgt, als
Er rühmte die Herzlichkeit und Wärme des Wie¬
gleich
1910 das Burgtheater, das die „Beatrice“ abge¬
er das in kleiner numerierter Zahl erschienene
ner Vorstadtmädels, solch schlichter Naturen, wie
gen
lehnt, erobern sollte. Er wollte nicht nur als der
Bändchen, der Oeffentlichkeit übergab; ich be¬
er sie in der „Liebelei“ geschildert, und war auf
habe
Dichter der Liebe und des Süßen Mädels gelten,
sitze noch ein solches Widmungsexemplar dieser
die halbgebildeten Frauen der Gesellschaft schlecht
einsch
und, vierzig Jahre alt, sagie er: „Ich fühle meine
Skizzen, die gewiß nicht freier sind, als eine große
zu sprechen. Eher schüchtern und zurückhaltend,
Hüg
beste Zeit vor mir, ich wage mich jetzt auf weites,
Zahl gern gelesener, französischer Arbeiten dieser
fast ungesellig und durchaus nicht Salonheld, gab
wen
Art.
historisches Gebiet!“ Der in der französischen
er sich im Gespräch nicht unbefangen hin, sondern
verh
Revolution spielende Einakter „Der grüne
Ein echter Wiener ist Schnitzler auch in seiner
beobachtete sich selbst und andere. Wie Lenbach
mit
Kakadu“ gehört zu seinen Lieblingsschöpfungen,
Begabung für Musik. Er hat als Junggeselle
während einer Unterhaltung ausrufen konnte:
Gürt
ein genialer Einfall, in drei Tagen beinahe ohne
viele Jahre auf derselben Etage mit seiner Mut¬
„Bleiben Sie still, da die Linie will ich festhalten,
Korrektur vollendet — wie schade, daß er so selten
Geli
ter eine behagliche Garconwohnung innegehabt
diesen Lichtreflex!“ so sucht der Dichter in den
mehr auf dem Spielplan erscheint!
und jeden Tag mit der von ihm verehrten, alten
was der Maler in der
verb
Zügen des Charakters
Schnitzler wäre kein Künstler, kein Sehnsüch¬
Dame vierhändig musiziert. In Konzerten ist er
leben
äußeren Form erforscht.
tiger, Unbefriedigter, wenn er nicht das ersehnte,
ein oft gesehener Gast und als er Anfang der
Nichts war ihm unangenehmer als die Ge¬
lasset
was er nicht besitzt, und so sprach er oft davon, daß
Vierziger heiratete, da führte er eine Frau heim,
spräche der Modedamen über Literatur im all¬
Leich
er lieber ein eleganter, schneidiger Herrnreiter
die eine schöne Stimme hat. So singt und klingt
gemeinen und seine Werke im speziellen, da konnte
ihren
sein möchte mit viel Muskelkraft und wenig Denk¬
es in dem hübschen Heim, das er draußen im
der sonst Höfliche unnahbar werden und kurz ab¬
vermögen, der das Leben unbefangen genießt, und
gartengrünen Cottageviertel, fern vom Großstadt¬
sein
brechen. Ich hielt mich natürlich auch an
Ange
dem schöner Frauen Gunst holder lächelt, als dem
actriebe, bewohnt und seine Kinder, ein kleiner
Gebot und sprach nicht über seine Arbeit, und
Dichter. Gewiß würde er nicht ernstlich tauschen Junge und ein Mädchen, zwitschern die fröhliche dem
als er mir dann einige seiner Bücher schenkte und
Muenn
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