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Heim, das er draußen im gartengrünen Cottage¬
viertel, jern vom Großstadtgetriebe, bewohnt, und
seine Kinder, ein kleiner Junge und ein Mädchen,
zwitschern die fröhliche Begleitmusik. Schnitzler ist
heiterer geworden, weil ja reife Menschen meist froher
sind als junge, voll unerfüllter Sehnsucht und voll
Konflikten.“
Daneben fällt manch feines Wort tiefer greifender
Charakteristik des Künstlers: „Die Begriffe Seele',
„Liebe', Sterben“ gehören zum Hauptinventar von
Schnitzlers Schaffen. Es gibt welche, die darüber
lächeln. Nun ja: die Seele ist ein weites Land; die
Liebe höret nimmer auf; sterben müssen wir alle. In
diesen Begriffen erschöpft sich schließlich alle Dicht¬
kunst. Nur daß sie keiner in so gedankenreicher und
anmutiger Form abwandelt wie Schnitzler. Jede
Seele ist ihm ein neues Erlebnis, jede Liebe eine
neue Offenbarung, jedes Sterben ein neues Schicksal.
Seine Erkenntnisse weisen ihn eigentlich auf die Epil.
Aber es ist merkwürdig, wie sehr er auf dem Theater
seine Menschen meist ebenso scharf umrissen hinstellt
wie im Roman und in der Novelle.“ (N. Wiener
Journal 6663.) „Arthur Schnitzler, als Wiener ein
feinstes Zuchtwahlprodukt überreifer, herbstlicher
Kultur; als deutscher Denker und Schwärmer ein
Problematiler, der, wenn es Rätsel zu lösen gibt,
sein mildee Gemüt, sein eigenes Mitleid nicht schonen
kann; als Jude mit einem unendlichen Heimweh, mit
dem melancholischen Zweifel begabt, der selbst seine
unruhige Sinnlichkeit, selbst die Stunde des Taumels
und Genusses trübt: dieser aus kostbaren Elementen
zu einer Eigenheit ohnegleichen erwachsene Dichter
hat selten in seinen Schöpfungen die robusten, gesund¬
animalischen Menschen gesucht. Traf sie sein Auge.
so wußte sie sein scharfer Blick auch zu umfassen, und
hinter dem leichten Schleier einer gütigen Ironie
leben sie sich aus. Aber Fleisch und Blut von Schnitz¬
lers Seele sind die feinbenervten melancholischen
Naturen, die Fragen ohne Antwort, die Untreuen,
die die Treue suchen, die vom Tod Geküßten, die
das Leben allein lieben.“ (Hermann Kienzl, N.
Tagebl., Stuttgart, 120.) — „Seine Welt enthält
merkwürdige Verknüpfungen. Schon in der „Liebelei¬
zeigt sich diese merkwürdige Art, weit auseinander
lebende Existenzen durch unsichtbare Fäden zu ver¬
binden. Der junge Mann, der das kleine Vorstadt¬
mädchen liebt, stirbt für eine mondäne Frau, die er
gar nicht mehr lieb hat. Christine sieht den Mann,
dem sie ihre erste Neigung geschenkt hat, für eine
andere in den Tod gehen. An die Rache eines Eifer¬
süchtigen und an die Delirien eines sterbenden Greises
sind im „Ruf des Lebens' alle Schicksale des jungen
Menschen des Dramas gebunden. Der Professor im
Einsamen Weg“ sieht seine Frau sterben, seine
Tochter in Selbstmord enden, sein ganzes Dasein
stürzt zusammen, und da erst, am Ende aller Dinge,
hört er sich von seinem Sohn Vater“ angerufen,
mit einem Klang der Echtheit, mit einem Akzent der
Seele, als habe er das Wort Vater' nie vernommen.
Hört es von seinem Sohn, der gar nicht sein Sohn
ist. Der Komödiant in der Schenke zum „Grünen—
Kakadu“ tragiert vor dem noblen Publikum seine
Eifersucht, wird vom Spiel zur Wirklichkeit blutig
hingerissen und ermordet den Prinzen von Chartres,
der ihn betrogen hat. Aber im selben Augenblick
bricht auch von der Straße her die Brandung der
Revolution in die Schenke. Dort draußen ist soeben
die Bastille erz#rmt worden. Jener Komödiant hat
also nicht in Finzelter Raserei den Degen geführt.
Die Auflehnung, die unter den Bedrückten umher¬
ging, hat in ihm ihre Hand erhoben wie draußen in ∆#
den vielen, vielen anderen. Und der Komödiant hal
zuges #h#n, sicht so sehr, weil er den Zorn der Eifer¬
sucht empfand, sondern weil die Stunde erfüllt war.
—.—
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Dieser Dichter hat mit jugendlich=erotischen Einfach¬
heiten begonnen und enthüllt Schicksalswege, bei
deren Verschlungenheit man sich der tiefsinnigen
Traumbilder in Hebbels Tagebüchern erinnert.“
(Felix Salten, Fremdenbl., Wien. 129.) Vgl. auch:
Naoul Auernheimer (N. Fr. Presse. Wien, 17140);
Ludwig Steiner (Tagebl., Prag, 133); W. Fred
(Hannov. Courier 29886); Robert Hirschfeld (N.
Tagebl., Wien, 132); Alexander v. Weilen (Abend¬
post, Wien, 111); Willi Handl (Bohemia, Prag,
133); Fritz Droop (Danziger Ztg. 227); Hans
Wantoch (Generalanz., Frankfurt, 113 u. a. O.);
Marie Holger (Magdeb. Ztg. 247); Gustav Werner
Peters (N. Bad. Landesztg. 224); Stefan Gro߬
mann (Berl. Tagebl. 243); Wiener Allg. Ztg.
(10229); Vorwärts, Unterh.=Beil. (93); Wiener
Mittagsztg. (15. 5.); Österr. Volksztg., Wien (132);
N. Fr. Presse, Wien (17143).
Zahlreich sind die Besprechungen, die Schnitzlers
neuem Werk „Masken und Wunder“ (S. Fischer,
Verlag) zuteil geworden sind. Paul Zifferer schreibt
(N. Fr. Presse, Wien, 17147): „Der neue Novellen¬
kranz von Schnitzler gibt uns nicht das Leben selbst,
sondern das Prinzip des Lebens. Das wirkliche
Leben dünkt uns abgerückt, in stolzer Distanz ge¬
halten. All diese Erzählungen gefallen sich in
einem sanften, zarten Märchenton, wie durch einen
Schleier hindurch folgen wir den Geschehnissen. Jul.
Philipp Heergesell urteilt (Hamb. Corresp. 248):
„Wenn Schnitzler selber zugibt, daß Wunder in
seinem Buche geschehen, so wollen wir es ihm nichts¬
destoweniger bestreiten. Gehört es denn nicht gerade
zu den feinsten Reizen all seiner Arbeiten, daß alle
Geschehnisse, selbst die unerhörtesten und abenteuer
lichsten, vollkommen gesetzmäßig vor sich gehen?
Was tut es, daß es die Gesetze des Traumes, die
Gesetze einer fremden überirdischen Welt sind? In
dieser schnitzlerschen Welt sind sie keine Wunder, son¬
dern Ereignisse von innerster Wahrhaftigkeit; ein
dämonischer Zwang steckt in ihnen. — Dazu fällt ins
Gewicht, was Alfred Klaar (Voss. Ztg. 246) fest¬
stellt: „Aber da ist auch etwas Neues, was in der
bisherigen Produktion Schnitzlers, vielleicht nur im
Schleier der Beatrice vorbereitet scheint: eine düstere
Phantastik, die, mit großer Virtuosität zur Wirklich¬
keit erhoben, bei aller Milde des Vortrags den Ein¬
druck der Trostlosigkeit macht, ein fast grausames
Vergnügen, durch Märchen und Halbmärchen, die
kondensiertes Leben enthalten, das Mysterium der
Erotik, zumal das der Weiblichkeit psychologisch und
physiologisch derart bloßzulegen, daß das Elemen¬
tarische des Unterbewußtseins die Oberhand behält
und daß aus allen Geschichten zuletzt das letzte
Wort des schillerschen Talbot herauszutönen scheint:
„die Einsicht in das Nichts und die herzliche Ver¬
achtung alles dessen, was uns erhaben scheint und
wünschenswert“. Vgl. auch: Norbert Falk (B. Z.
a. Mittag 113); Robert Sandek (N. Wiener Jour¬
nal 6666).
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Heim, das er draußen im gartengrünen Cottage¬
viertel, jern vom Großstadtgetriebe, bewohnt, und
seine Kinder, ein kleiner Junge und ein Mädchen,
zwitschern die fröhliche Begleitmusik. Schnitzler ist
heiterer geworden, weil ja reife Menschen meist froher
sind als junge, voll unerfüllter Sehnsucht und voll
Konflikten.“
Daneben fällt manch feines Wort tiefer greifender
Charakteristik des Künstlers: „Die Begriffe Seele',
„Liebe', Sterben“ gehören zum Hauptinventar von
Schnitzlers Schaffen. Es gibt welche, die darüber
lächeln. Nun ja: die Seele ist ein weites Land; die
Liebe höret nimmer auf; sterben müssen wir alle. In
diesen Begriffen erschöpft sich schließlich alle Dicht¬
kunst. Nur daß sie keiner in so gedankenreicher und
anmutiger Form abwandelt wie Schnitzler. Jede
Seele ist ihm ein neues Erlebnis, jede Liebe eine
neue Offenbarung, jedes Sterben ein neues Schicksal.
Seine Erkenntnisse weisen ihn eigentlich auf die Epil.
Aber es ist merkwürdig, wie sehr er auf dem Theater
seine Menschen meist ebenso scharf umrissen hinstellt
wie im Roman und in der Novelle.“ (N. Wiener
Journal 6663.) „Arthur Schnitzler, als Wiener ein
feinstes Zuchtwahlprodukt überreifer, herbstlicher
Kultur; als deutscher Denker und Schwärmer ein
Problematiler, der, wenn es Rätsel zu lösen gibt,
sein mildee Gemüt, sein eigenes Mitleid nicht schonen
kann; als Jude mit einem unendlichen Heimweh, mit
dem melancholischen Zweifel begabt, der selbst seine
unruhige Sinnlichkeit, selbst die Stunde des Taumels
und Genusses trübt: dieser aus kostbaren Elementen
zu einer Eigenheit ohnegleichen erwachsene Dichter
hat selten in seinen Schöpfungen die robusten, gesund¬
animalischen Menschen gesucht. Traf sie sein Auge.
so wußte sie sein scharfer Blick auch zu umfassen, und
hinter dem leichten Schleier einer gütigen Ironie
leben sie sich aus. Aber Fleisch und Blut von Schnitz¬
lers Seele sind die feinbenervten melancholischen
Naturen, die Fragen ohne Antwort, die Untreuen,
die die Treue suchen, die vom Tod Geküßten, die
das Leben allein lieben.“ (Hermann Kienzl, N.
Tagebl., Stuttgart, 120.) — „Seine Welt enthält
merkwürdige Verknüpfungen. Schon in der „Liebelei¬
zeigt sich diese merkwürdige Art, weit auseinander
lebende Existenzen durch unsichtbare Fäden zu ver¬
binden. Der junge Mann, der das kleine Vorstadt¬
mädchen liebt, stirbt für eine mondäne Frau, die er
gar nicht mehr lieb hat. Christine sieht den Mann,
dem sie ihre erste Neigung geschenkt hat, für eine
andere in den Tod gehen. An die Rache eines Eifer¬
süchtigen und an die Delirien eines sterbenden Greises
sind im „Ruf des Lebens' alle Schicksale des jungen
Menschen des Dramas gebunden. Der Professor im
Einsamen Weg“ sieht seine Frau sterben, seine
Tochter in Selbstmord enden, sein ganzes Dasein
stürzt zusammen, und da erst, am Ende aller Dinge,
hört er sich von seinem Sohn Vater“ angerufen,
mit einem Klang der Echtheit, mit einem Akzent der
Seele, als habe er das Wort Vater' nie vernommen.
Hört es von seinem Sohn, der gar nicht sein Sohn
ist. Der Komödiant in der Schenke zum „Grünen—
Kakadu“ tragiert vor dem noblen Publikum seine
Eifersucht, wird vom Spiel zur Wirklichkeit blutig
hingerissen und ermordet den Prinzen von Chartres,
der ihn betrogen hat. Aber im selben Augenblick
bricht auch von der Straße her die Brandung der
Revolution in die Schenke. Dort draußen ist soeben
die Bastille erz#rmt worden. Jener Komödiant hat
also nicht in Finzelter Raserei den Degen geführt.
Die Auflehnung, die unter den Bedrückten umher¬
ging, hat in ihm ihre Hand erhoben wie draußen in ∆#
den vielen, vielen anderen. Und der Komödiant hal
zuges #h#n, sicht so sehr, weil er den Zorn der Eifer¬
sucht empfand, sondern weil die Stunde erfüllt war.
—.—
box 39/2
Dieser Dichter hat mit jugendlich=erotischen Einfach¬
heiten begonnen und enthüllt Schicksalswege, bei
deren Verschlungenheit man sich der tiefsinnigen
Traumbilder in Hebbels Tagebüchern erinnert.“
(Felix Salten, Fremdenbl., Wien. 129.) Vgl. auch:
Naoul Auernheimer (N. Fr. Presse. Wien, 17140);
Ludwig Steiner (Tagebl., Prag, 133); W. Fred
(Hannov. Courier 29886); Robert Hirschfeld (N.
Tagebl., Wien, 132); Alexander v. Weilen (Abend¬
post, Wien, 111); Willi Handl (Bohemia, Prag,
133); Fritz Droop (Danziger Ztg. 227); Hans
Wantoch (Generalanz., Frankfurt, 113 u. a. O.);
Marie Holger (Magdeb. Ztg. 247); Gustav Werner
Peters (N. Bad. Landesztg. 224); Stefan Gro߬
mann (Berl. Tagebl. 243); Wiener Allg. Ztg.
(10229); Vorwärts, Unterh.=Beil. (93); Wiener
Mittagsztg. (15. 5.); Österr. Volksztg., Wien (132);
N. Fr. Presse, Wien (17143).
Zahlreich sind die Besprechungen, die Schnitzlers
neuem Werk „Masken und Wunder“ (S. Fischer,
Verlag) zuteil geworden sind. Paul Zifferer schreibt
(N. Fr. Presse, Wien, 17147): „Der neue Novellen¬
kranz von Schnitzler gibt uns nicht das Leben selbst,
sondern das Prinzip des Lebens. Das wirkliche
Leben dünkt uns abgerückt, in stolzer Distanz ge¬
halten. All diese Erzählungen gefallen sich in
einem sanften, zarten Märchenton, wie durch einen
Schleier hindurch folgen wir den Geschehnissen. Jul.
Philipp Heergesell urteilt (Hamb. Corresp. 248):
„Wenn Schnitzler selber zugibt, daß Wunder in
seinem Buche geschehen, so wollen wir es ihm nichts¬
destoweniger bestreiten. Gehört es denn nicht gerade
zu den feinsten Reizen all seiner Arbeiten, daß alle
Geschehnisse, selbst die unerhörtesten und abenteuer
lichsten, vollkommen gesetzmäßig vor sich gehen?
Was tut es, daß es die Gesetze des Traumes, die
Gesetze einer fremden überirdischen Welt sind? In
dieser schnitzlerschen Welt sind sie keine Wunder, son¬
dern Ereignisse von innerster Wahrhaftigkeit; ein
dämonischer Zwang steckt in ihnen. — Dazu fällt ins
Gewicht, was Alfred Klaar (Voss. Ztg. 246) fest¬
stellt: „Aber da ist auch etwas Neues, was in der
bisherigen Produktion Schnitzlers, vielleicht nur im
Schleier der Beatrice vorbereitet scheint: eine düstere
Phantastik, die, mit großer Virtuosität zur Wirklich¬
keit erhoben, bei aller Milde des Vortrags den Ein¬
druck der Trostlosigkeit macht, ein fast grausames
Vergnügen, durch Märchen und Halbmärchen, die
kondensiertes Leben enthalten, das Mysterium der
Erotik, zumal das der Weiblichkeit psychologisch und
physiologisch derart bloßzulegen, daß das Elemen¬
tarische des Unterbewußtseins die Oberhand behält
und daß aus allen Geschichten zuletzt das letzte
Wort des schillerschen Talbot herauszutönen scheint:
„die Einsicht in das Nichts und die herzliche Ver¬
achtung alles dessen, was uns erhaben scheint und
wünschenswert“. Vgl. auch: Norbert Falk (B. Z.
a. Mittag 113); Robert Sandek (N. Wiener Jour¬
nal 6666).