VII, Verschiedenes 2, 50ster und 55ster Geburtstag, Seite 68

5oth and 55th Birthday box 3972
Anfang an eine gewisse Atmosphäre von Vertrauen, die auch in der Literatur beibehalten? Autoren sind oft nur
spricht nicht über Men¬
Patienten.
sich jedem mitteilt, der in seine Nähe tritt. Selbst¬
un seinen Geist glänzen
beherrschung, die ihn auch als Künstler adelt, ist seine
Es ist beliebt, auch eine andere Eigentümlichkeit des
Menschenkenntnis zu para¬
hervortretendste Eigenschaft. Aus ihr und einer gewissen
Schnitzlerschen Wesens, jenes innige Vertrautsein mit dem
, weil es ihn interessiert,
inneren Gutmütigkeit ergibt sich seine besondere Art von
deres interessiert, und er
Tode, der in allen seinen Werken einen Platz für sich in
Vornehmheit, die sich niemals kalt abschließt, aber ihre
ftlich ernst und doch mit
Anspruch nimmt, mit dem früheren ärztlichen Beruf in
Abgeschlossenheit auch in der Wärme behauptet. Seine
rkeit. Diese Methode be¬
Verbindung zu bringen. Jedoch ist anzunehmen, daß
Maxime im Verkehr mit Menschen ist die Aufrichtigkeit,
Schnitzler, auch wenn er in seiner Jugend Ingenieur oder
nur daß ihm dann seine
aber es ist die gedämpfte Aufrichtigkeit des Arztes, der,
mehr kombinatorisch als
Schullehrer gewesen wäre, in vielen Augenblicken seines
was er zu sagen hat, auf eine schonende Art mitteilt.
bindet und Schicksale ver¬
Lebens an den Tod hätte denken müssen. Die Melan¬
Schnitzler lügt nie (von wie wenigen Menschen kann man
ng ist Menschenkenntnis,
cholie ist die Krankheit der großen Männer, sagt ein altes
das sagen!) und er weiß die Wahrheit fast immer in eine
innis seines Dialogs, der
Wort, und Hypochonder gibt es auch unter den Juristen,
angenehme Form zu bringen. Ich erinnere mich in diesem
sihmt, in seinem eigent¬
nicht nur unter den Medizinern. Schnitzlers Grübeleien
Zusammenhang eines kleinen, persönlich erlebten Zuges.
ird. Denn nicht die An¬
über den Tod sind nur ein Korrelat seiner Lebenslust,
Es war bei der Generalprobe eines neuen Stückes von
auch der für Schnitzler
ein notwendiges, das sein Talent vor Leichtfertigkeit be¬
Max Burckhard. Das Stück war schlecht, das wußten wir
eine seltene Wortkultur
hütet hat. In Wahrheit neigt seine Natur, trotz aller
alle, die wir zuhörten, die Schauspieler wußten es, der
aus, sondern die tiefe
Grübelsucht und Selbstquälerei, eher zur Heiterkeit, das
Direkior, vermutlich auch der allverehrte Antor selbst.
die liebenswürdigste Art
fühlt jeder, der ihn einmal lachen gesehen hat. Er lacht
Nichtsdestoweniger wendete er sich nach dem letzten Akt,
t, in der ihm eigentüm¬
wie ein Kind, bezaubert und bezaubernd, herzhaft und
der, wie es schon bei schlechten Stücken zu gehen pflegt,
kes, einen besseren Dialog
herzerquickend. Und auch in seinen Werken nimmt dieses
der schlechteste war, an den neben ihm sitzenden Schnitzler,
Autor, weil er diese seine
Lachen, das zu seiner Natur gehört, immer mehr Platz
der in ruhiger Haltung höflich zugehört hatte. „Wie ge¬
von ihnen weiß als
ein. Je mehr er sich über die Sphäre der Leidenschaft er¬
fällt Ihnen der Akt?“ fragte Burckhard etwas ängstlich;
seine besondere Kunst,
hebt und zu einer freien Betrachtung aufsteigt, desto
und Schnitzler, nach einer ganz kleinen Pause, sehr freund¬
ität ausgebildet hat, das
heitecer wid sein literarischer Gesichtsausdruck. Wer weiß,
lich, sehr artig: „Er hat mich nicht überzeugt.“
das Gespräch einzu¬
vielleicht schenkt er der deutschen Bühne schließlich doch
Ein anderer hätte vielleicht gesagt: „Sehr hübsch!“,
kenntnis, auf den ein¬
noch das Lustspiel, das viele seiner Freunde und Ver¬
es hätte wie eine Beleidigung geklungen,
und
einheit angewandt, das
ehrer von ihm erwarten. Seine tiefe Menschenkenntnis,
ein zweiter: „Interessant!“ und man hätte ihm die Lüge
ein virtuoses Charakterisierungsvermögen, Güle, Ver¬
vom Gesicht abgelesen; ein dritter hätte grob: „Gar nicht!“
stand und das Produkt dieser beiden: Humor — über
ller Erfahrung und aller
gesagt, und viele, die der Hofrat allerdings nicht fragte,
all das verfügt er in einem Maße, wie heute kein anderer
Dichten nie leicht gemacht
hätten mit einer coulanten Verbeugung erwidert: „Ausge¬
in Deutschland, und er hat diese seine Fähigkeiten auch
er ist, wenn er nicht
zeichnet, Herr Hofrat!“ Schnitzler neigte den Kopf und
schon wiederholt in heiteren Dialogen und kürzeren Stücken
Mensch lernt Menschen
sagte: „Er hat mich nicht überzeugt.“ Das war die volle
spielen lassen. Daß er noch kein größeres geschrieben hat,
d es. Schnitzlers reifes
Wahrheit, auf die liebenswürdigste Form gebracht. Wozu
würde nichts beweisen, denn das Lustspieltaient reift auch
hinen Schriften anspricht,
verletzen? So antwortet ja auch der Arzt, wenn er es mit
bei den Berufenen spät und entwickelt sich langsam. Artur
haftig entgegen; wir
einem unheilbaren Kranken zu tun hat, auf seine besorgte
Schnitzler, der Fünszigjährige, wäre gerade jung genug,
it Künstlern nicht all¬
Frage nicht direkt mit einem Todesurteil, sondern er
um mit dem Lustspiel Ernst zu machen.
Leben und Kunst sich
sagt: „Sie sind recht krank!“ oder: „Sie müssen sich
ehen. Das erzeugt von
Raoul Auernbeimer.
schenen!“... Warum sollte man diese milden Sitten nicht