VII, Verschiedenes 2, 50ster und 55ster Geburtstag, Seite 67

es
50th and 55th Birthday
das gütigste Verstehen. Denn er spricht nicht über Men¬
schen, um sie zu verlachen, oder um seinen Geist glänzen
zu lassen, oder um mit seiner Menschenkenntnis zu para¬
dieren, sondern er spricht über sie, weil es ihn interessiert,
weil ihn, im Grunde, nichts anderes interessiert, und er
tut es ruhig, gelassen, wissenschaftlich ernst und doch mit
einer gewissen akademischen Heiterkeit. Diese Methode be¬
hält er auch im Literarischen bei, nur daß ihm dann seine
Phantasie zu Hilfe kommt, die, mehr kombinatorisch als
frei schöpferisch, Charaktere verbindet und Schicksale ver¬
knüpft. Das Herz seiner Dichtung ist Menschenkenntnis,
und sie ist auch das letzte Geheimnis seines Dialogs, der
oft, aber meist gedankenlos gerühmt, in seinem eigent¬
lichen Wesen nur selten ersußt wird. Denn nicht die An¬
mut, die auch andere haben, noch auch der für Schnitzler
charakteristische gutartige Witz und eine seltene Wortkultur
machen den Wert dieses Dialogs aus, sondern die tiefe
Menschenkenntnis, die sich auf die liebenswürdigste Art
darin aufschließt. Schnitzler schreibt, in der ihm eigentüm¬
lichen Sphäre des Gesellschaftsstückes, einen besseren Dialog
als irgend ein anderer deutscher Autor, weil er diese seine
Menschen besser kennt und mehr von ihnen weiß als
irgend ein anderer Dichter. Es ist seine besondere Kunst,
die er nachgerade bis zur Virtuosität ausgebildet hat, das
ganze Leben eines Menschen in das Gespräch einzu¬
beziehen. Angewandte Menschenkenntnis, auf den ein¬
zelnen und auch auf die Allgemeinheit angewandt, das
ist sein Dialog.
Schnitzler wäre jedoch, trotz aller Erfahrung und aller
Bemühung — er hat sich das Dichten nie leicht gemacht
nicht der Menschenkenner, der er ist, wenn er nicht
selbst ein Mensch wäre. Nur ein Mensch lernt Menschen
kennen und nur die wenigsten sind es. Schnitzlers reifes
Menschentum, das uns aus seinen Schriften anspricht,
tritt uns auch im Leben leibhaftig entgegen; wir
haben bei ihm das im Verkehr mit Künstlern nicht all¬
tägliche Gefühl, daß es stimmt, daß Leben und Kunst sich
d decken, ohne Rest ineinander aufgehen. Das erzeugt von
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Anfang an eine gewisse Atmosphäre von Vertrauen, die; auch in der Literatur be behalten?
Patienten.
sich jedem mitteilt, der in seine Nähe tritt. Selbst¬
Es ist beliebt, auch eine ander
beherrschung die ihn auch ils Künstler adelt, ist seine
Schnitzlerschen Wesens, jenes innig
hervortretenoste Eigenschaft. Aus ihr und einer gewissen
Tode, der in allen seinen Werken
inneren Gutmütigkeit ergibt sich seine besondere Art von
Anspruch nimmt, mit dem früher
Vornehmheit, die sich niemals kalt abschließt, aber ihre
Verbindung zu bringen. Jedoch
Abgeschlossenheit auch in der Wärme behauptet. Seine
Schnitzler, auch wenn er in seiner
Maxime im Verkehr mit Menschen ist die Aufrichtigkeit,
Schullehrer gewesen wäre, in viele
aber es ist die gedämpfte Aufrichtigkeit des Arztes, der,
Lebens an den od hätte denken
was er zu sagen hat, auf eine schonende Art mitteilt.
cholie ist die Krankheit der großen
Schnitzler lügt nie (von wie wenigen Menschen kann man
Wort, und Hypochonder gibt es a
das sagen!) und er weiß die Wahrheit fast immer in eine
nicht nur unter den Dedizinern.
angenehme orm zu bringen. Ich erinnere mich in diesem
über den Tod sind nur ein Kor#
Zusammenhung eines kleinen, persönlich erlebten Zuges.
ein notwendiges, das sein Talent
Es war bei der Generalprobe eines neuen Stückes von
hütet hat. In Wahrheit neigt sein
Max Burchard. Das Stück war schlecht, das wußten wir
Grübelsucht und Selbstquälerei, eh
alle, die wir zuhörten, die Schauspieler wußten es, der
fühlt jeder, der ihn einmal lachen
Direktor, vermutlich auch der allverehrte Autor selbst.
wie ein Kind, bezaubert und bezat
Nichtsdestoweniger wendete er sich nach dem letzten Akt,
herzerquickend. Und auch in seinen
der, wie es schon bei schlechten Stücken zu gehen pflegt,
Lachen, „das zu seiner Natur gehö
der schlechteste war, an den neben ihm sitzenden Schnitzler,
ein. Je mehr er sich über die Sph
der in ruhiger Haltung höflich zugehört hatte. „Wie ge¬
fällt Ihnen der Akt?“ fragte Burckhard etwas ängstlich;
hebt und zu einer freien Betrag
heitecer wird sein literarischer Gesi
und Schnitzler, nach einer ganz kleinen Pause, sehr freund¬
sehr artig: „Er hat mich nicht überzeugt.“
rielleicht schenkt er der deutschen
lich,
Ein anderer hätte vielleicht gesagt: „Sehr hübsch!“
noch das Lustspiel, das viele sein
es hätte wie eine Beleidigung geklungen,
ehrer von ihm erwarten. Seine
und
ein zweiter: „Interessant!“ und man hätte ihm die Lüge
ein virtuoses Charakterisierungsve
vom Gesicht abgelesen; ein dritter hätte grob: „Gar nicht!“
stand und das Produkt dieser bei
gesagt, und viele, die der Hofrat allerdings nicht fragte,
all das verfügt er in einem Maße
hätten mit einer coulanten Verbeugung erwidert: „Ausge¬
in Deutschland, und er hat diese
zeichnet, Herr Hofrat!“ Schnitzler neigte den Kopf und
schon wiederholt in heiteren Dialog
sagte: „Er hat mich nicht überzeugt.“ Das war die volle
spielen lassen. Daß er noch kein g#
Wahrheit, auf die liebenswürdigste Form gebracht. Wozu
würde nichts beweisen, denn das
verletzen? So antwortet ja auch der Arzt, wenn er es mit
bei den Berufenen spät und entwil
einem unheilbaren Kranken zu tun hat, auf seine besorgte
Schnitzler, der Fünszigjährige, w
Frage nicht direkt mit einem Todesurteil, sondern er
um mit dem Lustspiel Ernst zu m
sagt: „Sie sind recht krank!“ oder: „Sie müssen sich
Raou
schonen!“... Warum sollte man diese milden Sitten nicht