box 39/2
S0th and 55th Birthdap
und so weiter haben seither schon in lockerer Verbindung gestanden
8
in ihnen zu leben, nein, als Arzt das Sezieren gewohnt, nimmt
er das scharfe Messer seines Verstandes und löst sie aus dem Bild
der Inspiration, präpariert sie, gibt ihnen seine Gedanken und stellt
sie in ein erdachtes, konstruiertes Milien. Sie handeln weniger,
denn Handeln ist mehr Sache des Gefühls, des Temperaments, sie
sprechen mehr, denn Sprechen ist vorwiegend Sache des Intellekts.
Und der Dichter hat viel zu sagen, hat viel zu erklären an der
Psychologie der Alltagserscheinungen und an den sozialen Pro¬
blemen. Er beleuchtet, demonstriert sie an seinen dichterischen:
Gestalten, aber er entwirrt sie nicht, gibt nicht die Lösung.
Schnitzler analysiert — immer mehr fein als tief — das Seelen¬
gewebe des modernen Menschen, die Widersprüche, die jene Knoten!
im Seelenleben bilden, um die das Schicksal kreist, die die Lebens¬
organismen beeinflussen, bis es sich da enttnäuelt, bis es dort zur
Blutlaufhemmung kommt, die den Pulsschlag des Lebens anhält.
Schnitzler begnügt sich aufzudecken, die Analyse zu geben, er greift
nicht ein, um zu ändern, die Entwicklung zu dirigieren und aus
der Verwicklung herauszukommen. Man hat fast immer den Ein¬
druck von einer gewissen Müdigkeit, von Temperamentsmangel, der
den Dichter am Zupacken, Eingreifen, Gestalten, am aktiven Mit¬
erleben der Konsequenzen hindert. Das macht ihn denn auch leis
und leiser, das dämpft den Ton und Klang seiner Gefühle, Ge¬
danken, Worte, das deckt seine Farben, die sich zu wundervollen
Nuancen verfeinern und die Sensibilität des Stimmungscharakters
steigern.
Freilich die Dramatik geht kräftiger ins Zeug. Die Kontraste
erfordern mehr Bildnerei als Malerei. Schnitzler bleibt darum
im Grunde immer Novellist. Die Novelle bevorzugt die Tönung,
die Nuance, die Stimmung, die Lyrik — auch mehr die Objektivität,
wie sie Schnitzler immer innezuhalten sucht. Von „Arnold",
seinem Ernstlingswerk, über „Liebelei“, „Freiwild“, „Die Ge¬
fährtin", „Reigen", „Schleier der Beatrice", „Der einsame Weg“,
„Zwischenspiel“ usw. bis zu seinem letzten Stück sind es Lebens¬
bilder, Seelengemälde, die er entfaltet mit der Feinheit und Klar¬
heit des Novellisten. Aber Schnitzler besitzt die Kraft des Wortes,
sein bestrickender Dialog macht die eigentliche Handlung entbehr¬
lich, nebensächlich. Die plastische Gestaltungskraft des Drama¬
tikers setzt sich bei ihm in der Dialogführung durch. Hier gewinnt
alles lebendigstes Leben, das den Dichtungen Nerv und Blut,
T0
Wahrheit und Kraft gibt und ihnen jene Wirkung sichert, die dem
wahrhaften Kunstwerk eignet.
II. L. 1 #
S0th and 55th Birthdap
und so weiter haben seither schon in lockerer Verbindung gestanden
8
in ihnen zu leben, nein, als Arzt das Sezieren gewohnt, nimmt
er das scharfe Messer seines Verstandes und löst sie aus dem Bild
der Inspiration, präpariert sie, gibt ihnen seine Gedanken und stellt
sie in ein erdachtes, konstruiertes Milien. Sie handeln weniger,
denn Handeln ist mehr Sache des Gefühls, des Temperaments, sie
sprechen mehr, denn Sprechen ist vorwiegend Sache des Intellekts.
Und der Dichter hat viel zu sagen, hat viel zu erklären an der
Psychologie der Alltagserscheinungen und an den sozialen Pro¬
blemen. Er beleuchtet, demonstriert sie an seinen dichterischen:
Gestalten, aber er entwirrt sie nicht, gibt nicht die Lösung.
Schnitzler analysiert — immer mehr fein als tief — das Seelen¬
gewebe des modernen Menschen, die Widersprüche, die jene Knoten!
im Seelenleben bilden, um die das Schicksal kreist, die die Lebens¬
organismen beeinflussen, bis es sich da enttnäuelt, bis es dort zur
Blutlaufhemmung kommt, die den Pulsschlag des Lebens anhält.
Schnitzler begnügt sich aufzudecken, die Analyse zu geben, er greift
nicht ein, um zu ändern, die Entwicklung zu dirigieren und aus
der Verwicklung herauszukommen. Man hat fast immer den Ein¬
druck von einer gewissen Müdigkeit, von Temperamentsmangel, der
den Dichter am Zupacken, Eingreifen, Gestalten, am aktiven Mit¬
erleben der Konsequenzen hindert. Das macht ihn denn auch leis
und leiser, das dämpft den Ton und Klang seiner Gefühle, Ge¬
danken, Worte, das deckt seine Farben, die sich zu wundervollen
Nuancen verfeinern und die Sensibilität des Stimmungscharakters
steigern.
Freilich die Dramatik geht kräftiger ins Zeug. Die Kontraste
erfordern mehr Bildnerei als Malerei. Schnitzler bleibt darum
im Grunde immer Novellist. Die Novelle bevorzugt die Tönung,
die Nuance, die Stimmung, die Lyrik — auch mehr die Objektivität,
wie sie Schnitzler immer innezuhalten sucht. Von „Arnold",
seinem Ernstlingswerk, über „Liebelei“, „Freiwild“, „Die Ge¬
fährtin", „Reigen", „Schleier der Beatrice", „Der einsame Weg“,
„Zwischenspiel“ usw. bis zu seinem letzten Stück sind es Lebens¬
bilder, Seelengemälde, die er entfaltet mit der Feinheit und Klar¬
heit des Novellisten. Aber Schnitzler besitzt die Kraft des Wortes,
sein bestrickender Dialog macht die eigentliche Handlung entbehr¬
lich, nebensächlich. Die plastische Gestaltungskraft des Drama¬
tikers setzt sich bei ihm in der Dialogführung durch. Hier gewinnt
alles lebendigstes Leben, das den Dichtungen Nerv und Blut,
T0
Wahrheit und Kraft gibt und ihnen jene Wirkung sichert, die dem
wahrhaften Kunstwerk eignet.
II. L. 1 #