VII, Verschiedenes 2, 50ster und 55ster Geburtstag, Seite 106

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Wen. —
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es ein so heller Kopf in der Wissenschaft nicht zu etwas Rechten
bringen? Ueberdies hatte er auch einen schriftstellerischen Erfolg und die als einzig möglich galten — und etwa dem Bürschchen Anatol,
als Arzt natürlich. In allen ärztlichen Bibliothelen ist das bei Brocken man nicht einschachteln konnte, der zugleich Melanchpliker und
haus Wien=Leipzig erschienene dicke Buch zu finden: „Klinischer Atlaßenießer, Skeptiker und Bejaher war, der aus einer ganz unbekannten
der Laryngologie“, herausgegeben von Professor Dr. Johann SchnitzleDimension daherkam, aus Wien, aus einer neuen Bourgeoisie, wie sie
unter Mitwirkung von Dr. Hajek und Dr. A. Schnitzler. Dieser „A. Bauernfeld niemals geschildert! . .. Später, als „Liebelei“ ans Burg¬
ist Artur. Er hat später noch eine medizinische Arbeit veröffentlicht heater kam — da dachte und sprach Sonnenthal schon ganz anders
allerdings eine viel kleinere. Sie ist betitelt: „Ueber dieiber die neuen Leute, die Artur Schnitzler auf die Bühne zu bringen
Behandlung von Stimmbandlähmungen mittelst Hypnose“. Die de Frechheit hatte. Wie rührend, wie tief ergreifend gestaltete Sonnen¬
klinischen Erfahrungen, die ihn zu dieser Arbeit anregten, hatte hal den alten Musiker! Der Meister stand gleich mit beiden Füßen
er als Assistent seines Vaters an der Poliklinik gesammelt. Nun — im neuen Lager. Wogegen die Wolter über die „Liebelei“ einfach
mit Stimmbandlähmungen hat sich Artur später nicht mehr abgegeben, außer sich war. Sie konnte es nicht fassen, wie man solch ein
wohl aber mit Hypnose. Siehe den Anatol=Zyklus. Wie wir uns Proletarierstück auf die Hofbühne hatte bringen können und hat dies
überhaupt manche der kostbarsten Arbeiten des Dichters ohne den Burckhard, der es verschuldet, wohl nie verzieben. Worüber sie sich übrigens
Mediziner nicht denken können. Nur ein Arzt mit Poetenseele konnte einmal in einem Interview mit charmanter Offenheit ausgesprochen hat.
„Das Sterben“ schreiben, konnte andererseits in den „Letzten Masken“
Mit dem großen Erfolg der „Liebelei“ im Burgtheater war
Todkranken das Lächeln eines erhabenen Humors auf die Lippen Schnitzler in die Reihe der ersten dramatischen Dichter gerückt. Nun
zaubern. Ueberdies hat das Medizinstudium Schnitzlers noch etwas arbeitete er gesammelt weiter. Der Reichtum an Stoffen, die ihm
Gutes: alle die Personen, die in seinen Stücken und namentlich in förmlich zuflogen, machte ihm die Arbeit zur Freude. Schnitzler ist,
seinen Novellen von hinnen gehen, sterben eines soliden Todes. Man was man einen regelmäßigen Arbeiter nennt. Er schreibt jeden Nach¬
weiß genau woran, und man ist beruhigt daß die Behandlung eine mittag an irgend etwas, an einer Novelle, einer Szene. In vierzehn
richtige gewesen ist. Man denke an die Frau, die den Geliebten ohne Tagen nimmt er den Stoff wieder vor und arbeitet die Sache vom
Nachricht läßt, weil sie, von Kopftyphus befallen, zu Bette liegt, das
Grund auf um. Das kommt vor, ist sogar das Regelmäßige. Kein
sie nicht mehr verlassen soll; man denke an Personen, die zunächst
Dialog Schnitzlers, der nicht zwei=, ja dreimal geschrieben wäre! Aber
nicht einmal sterben, sondern nur unglücklich werden. Wie zum Beispiel
jeden Nachmittag wird geschrieben. An einem Stehpult. Es steht wohl
jene Liedersängerin, die alles Augenlicht verliert. Wieso wird sie blind?
auch ein Schreibtisch im Arbeitszimmer — aber der ist mehr De¬
Wir lesen's ausdrücklich: infolge einer Gehirnhautentzündung...
koration oder Depot für Manuskripte. Am Vormittag wird stunden¬
Doch um auf die Medizinerjahre unseres Dichters zurückzukommen:
lang spazieren gegangen, Sommer wie Winter. Deshalb hat auch
Ein vielgesuchter Arzt ist Herr Dr. Artur Schnitzler nicht geworden.
Schnitzler seit jeher an der Peripher gewohnt. Bis vor zwei Jahren
Wir müssen schon bitten: Er hatte seine schön eingerichteten Empfangs¬
in einer Mietvilla in der Spöttelgusse, nun im eigenen, garten¬
und Ordinationsräume neben der Junggesellenwohnung. Zuerst in der
umaebenen Heim in der Sternwartestraße, das er von der Witwe des
Grillparzerstraße, dann im Hause Kärntnerring Nr. 12, woselbst sich
Hofschauspielers Römpler, Frau Bleibtreu, erworben. Von dort aus
auch ein bekanntes Modeatelier befindet. Die Stufen bis zu diesem
geht's täglich nach Pötzleinsdorf hinüber, nach Neustift am Walde —
Salon sind wohl einigermaßen abgetreten; aber weiter hinauf, wo ehe¬
weiche Wiener Luft in die Lungen zu pumpen! Am Abend ließ man
mals — bis in die späteren neunziger Jahre — der Herr Doktor
sich in früheren Jahren gerne in einem kleinen Wiener Vorstadtwirts¬
Schnitzler junior ordinierte, sind sie blank und kantig geblieben wie
hause nieder — je niedriger das Zimmer, desto anheimelnder. Am
eine Feststiege! Die Leute trugen ihre Nasen und Kehlköpfe doch lieber
liebsten aber nahm Artur Schnitzler sein Nachtmahl im Freien.
zu jemand anderem ...
Dieses Nachtmahlen im Freien — es ist bis heute eine Art
Selbstverständlich hat unser Dichter schon während der Knaben¬
Schwärmerei des Dichters geblieben. Zum fünfzigsten Geburtstag
jahre, die er am Akademischen Gymnasium versaß, „geschrieben“.
wußte er sich kein lieblicheres Geschenk als sich eine kleine freie
Dramatische Sachen, Gedichte — er hat noch jetzt ganze Laden voll
Veranda an die Gartenseite seiner Villa bauen zu lassen. Da wird
damit. Aber er hat sie nie herausgegeben, noch auch hat er Lust dazu.
soupiert. Das Richtige ist freilich das volkstümliche Abendessen in
Doch vergessen hat er sie darum noch nicht. Der Name Medardus
einem Wirtshausgarten — bestehend aus Gulyas, Käse und Bier.
beispielsweise, des Helden seines größtangelegten Burgtheaterstückes, ist
Als Nachtisch eine dünne Virginier. Da sieht man Leute, die man
einer Erzählung entnommen, die er noch auf „Theken“=Papier ge¬
später einmal brauchen kann! Da nimmt man auch die gewissen Volks¬
schrieben hat, im Schulheft, ganz heimlich. Aber auch später, als er
sängersoiréen in Kauf, wie sie in solchen Lokalen noch jetzt üblich
sind. Wie sehr unser Dichter mit dem Volkssängerleben vertrant ist,
schon an der Hochschule studierte, sah man's nicht gerne, daß er viel
Zeit den Schreibereien widme. In jener Zeit, da sich die Wiener
karin man gleich aus seiner Novelle „Das neue Lied“ ersehen, wu er
solch einen Produktionsobend schildert, wie's nur ein Habitué vermag. 1
„Freie Bühne“ zu regen begann, in jenen wunderschönen Griensteidl¬
Zukist die „Ouvertüre“ des „Kapellmeisters“ Rebay auf dem „Klavier“,
Jahren — das Café ist seither vom Erdboden verschwunden —
bilbetin Richard Beer=Hoffmann, Hugo v. Hofmanns¬
dann die „Ungarin“ Ilka im hellroten Kleid, mit gespornten Stiefeln,
thal und Felix Salten den intimen Freundeskreis um den
einen Czardas tanzend und singend. Dann der „Komiker“ Wiegel¬
Dichter. Da wurde alles vorgelesen, was jeder von den Vieren ge¬
Wagel, der im grunen Frack versichert, er komme soeben aus Afrika,
wo er die unerhörtesten Abenteuer erlebt, und der zum Schluß eine
schrieben hatte. Im Ordinationszimmer Arturs hatte man ja Ruhe
alte Witwe heiratet. Dann die „Chefs“, der Truppe, Herr und Frau
genug. Hofmannsthal war der Jüngste; er besuchte noch das
Gymnasium. Einmal erwarteten ihn die drei anderen vor der Schotten¬
Ladenbauer, beide im Tiroler Kostüm singend. Dann der „Musi¬
kirche, wo der Schüler der Sonntagsmesse beiwohnte; er gab
Clown“ Jedek, der auf den Rändern von Trinkgläsern mit feuchten
Fingern einen Walzer spielt 2c. Da lernt man seine Wiener kennen
sein Schulpaket einem Kameraden und zog mit den Genossen
es ist natürlich eine andere Schichte als die vom „weiten Land
nach der Wiener „Land“. Gewöhnlich ging's an's Donaugelände.
Alser sie hat auch ihre Lieder. Schnitzler lernte auch aus diesen
Man phantasierte und marschierte bis zum Abend, arbeitete dann
daheim spät in die Nacht hinein und hatte dann am Morgen
miasikalischen Banalitäten. Er spielte sogar zu Hause gerne am
Klavier nach, um sich die Stimmung zurückzurufen. Zur musikalischen
seine liebe Mühe, zur rechten Zeit ins Gymnasium oder auf die
Andacht erhoben ihn stets nur die Komiker. Leider wurde ihm gerade
Klinik zu kommen, wo zunächst Vater Schnitzler des Sohnes wartete.
in diesem Jahre die liebste, herzlich verehrte Jugendpartnerin im Vier¬
Damals entstand der „Anatol“=Zyklus. Die einzelnen Stück¬
kamen rasch hintereinander. Der junge Schriftsteller schuf aus dem
händigspielen entrissen: Seine Mutter.
Im Burgtheater gibt man heute als Schnitzler=Vorfeier „Der
Vollen. In der nun schon lange entschlafenen, liebenswürdigen Wiener
junge Medardus“. Wer hätte geglaubt, daß gerade dieses Stück eine
Zeitschrift „An der schönen blauen Donau“ hatten Dr. Fedor
Mamroth und Dr. Paul Goldmann die ersten Arbeiten Arturs
Festaufführung bilden, daß es als Buch in 50.000 Exemplaren werde
gekauft werden! Seinerzeit, als das Manuskript noch in den Händen
geröffentlicht. Professor Schnitzler sah, daß sein Sohn der Medizin
Dr. Schlenthers lag, war es noch ungekürzt. Der Direktor
mmer fremder werde, um sich der Feder und ihren Leuten zuzuwenden.
#raute sich nicht recht heran und nannte es in einem Brief an den
ier muß Klarheit geschaffen werden! Da packte der Vater heimlich
Dichter schmunzelnd ein „anmutiges Ungetüm". Das war
nige Arbeiten Arturs zusammen — der Zyklus fehlte nicht — und
gewiß ein Wort von Geist. Aber es zeigt, daß Schlenther nicht
b sie einem alten Freunde des Hauses zu lesen: Adolf Sonnen¬
sprach er noch froh
hal. Er, der gereifte Künstler, der den jungen Schnitzler von Kindes¬
den „Medardus“ glaubte. Und als er ging,
lächelnd das Wort: „Mit dem „Medardus“ aber möge mein Nach¬
inen kannte, er sollte über desser Zukunft entscheiden. Und Sonnenthal
s die Sachen und sagte dem Regierungsrat Schnitzler die vollste Wahrheit,
folger fertig werden.“
Baron Berger hat dieses Aufführungsproblem tatsächlich be¬
ie er sie empfand. Er fällte das Urteil: „Völlig talentlos!“
wältigt — an das sich bis nun — trotz des ungewöhnlichen Wiener
Ergo hieß es weiter fleißig in der Laryngologie arbeitenl
Erfolgs — keine reichsdeutsche Bühne gewagt hat. Und wenn es
brigens muß man wissen, wie tief Sonnenthal damals noch in der
heute eine festliche „Medardus“=Aufführung gibt, wird sich am Ende
ten, stilisierten Kunst stak, um sein Empfinden zu begreifen. Eine
auch Dr. Schlenther in Berlin freuen. Denn Schnitzler, die Nobelnatur, hat,
belt lag zwischen ienen Bühnenhelden, die Sonnenthal damals spielte
fei versönlichen Feind, nicht einmal unter den Direktoren.
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