VII, Verschiedenes 2, 50ster und 55ster Geburtstag, Seite 121

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Soth and 55th Birthdav
Anatol: Ja ... ziemlich lang hast du ge¬
Anatol: Ja ... mit Vergnügen! — Warum
schlafen — du hast auch im Schlafe gesprochen.
enn nicht?
Cora: Um Gotteswillen! Doch nichts Unrechtes?
Gabriele (hat die Wagentür geöffnet): So
Max: Sie haben nur auf seine Fragen geantwortet!
agen Sie ihr ...
Anatol: Nun?
Cora: Was hat er denn gefragt?
Gabriele; Sagen Sie ihr: Diese Blumen mein
Anatol: Tausenderlei! ...
süßes Mädl, schickt dir eine Frau, die vielleicht ebenso
Cora: Und ich habe immer geantwortet? Immer?
eben kann wie du und die den Mut dazu nicht hatte ...
Anatol: Immer.
Anatol: Gnädige ... Frau!.?
Cora: Und was du gefragt hast, das darf man
(Sie ist in den Wagen gestiegen ... der Wagen rollt
nicht wissen?
fort, die Straßen sind fast menschenleer geworden. Er
Anatol: Nein, das darf man nicht! Und morgen
shaut dem Wagen lange nach, bis er um eine Ecke gebogen
hypnotisiere ich dich wieder!
R. .. Er bleibt noch eine Weile stehen, dann sieht er auf
Cora: O nein! Nie wieder! Das ist ja Hexerei —
e Uhr und eilt rasch fort.)
da wird man gefragt und weiß nach dem Erwachen nichts
davon. Gewiß habe ich lauter Unsinn geplauscht.
Von der Pikanterie des Dialogs geben die
Zum Beispiel, daß du mich
Anatol: Ja .
Ausschnitte, welche das Funkenspiel der Rede zerreißen,
liebst.
in nur unvollständiges Bild. Schärfer scheint die
Cora: Wirklich!
Frage an das Schicksal“ zugespitz', Wer die Lösung
Max: Sie glaubt es nicht! Das ist sehr gut!
st harmlos und witzig zugleich und läuft in eine
Cora: Aber schau . . . Das hätte ich dir ja auch
im Wachen sagen können!
oppelte Pointe aus. Anatol beredet mit dem Freunde
Anatol: Mein Engel! (Umarmung.)
Max die Treue seiner kleinen Cora. Man rät im
Max: Meine Herrschaften. ... Adieu!
Scherze zur Hypnose. Die Suggestion könnte ein Ge¬
Anatol: Du gehst schon?
ständnis der hypnotisierten Geliebten entlocken. Cora
Max: Ich muß.
kommt dazu und wünscht aus freien Stücken, einmal
Anatol: Sei nicht böse, wenn ich dich nicht
hypnotisiert zu werden. Das Experiment gelingt. Wahre begleite
Cora: Auf Wiedersehen!
Aussagen werden der schlafenden Cora suggeriert —
Max: Durchaus nicht. (Bei der Tür:) Eines ist
kus ihren neunzehn Jahren werden einundzwanzig; ihre
mir klar: daß die Weiber auch in der Hypnose lügen.
Tiebe zu Anatol gesteht sie. Nun aber die Treue!?
Aber sie sind glücklich — und das ist die Hauptsache. Adieu,
Max wüßte aus wachen Zuständen der Cora Authenti¬
Kinder! (Sie hören ihn nicht, da sie sich in einer leiden¬
schaftlichen Umarmung umschlungen halten.)
sches Fierüber zu sagen. Anatol ahnt, aber er findet
den Mut nicht zur Frage. Er zieht die süße Ungewißheit
Das ist Anatol. Er nimmt die Frauen ernst, bis
vor. Max drängt und verläßt schließlich, um nicht
er getäuscht ist. Dann schlüpft er aber mit seinem
ndiskret zu sein, Anatol auf eine Minute, damit dieser
glatten Herzen auch aus der peinlichsten Situation
llein die gefürchtete Falle stelle. Doch der bringt's
behende in die nächste. Den Schleier, welchen der
icht über sich und unterläßt die Frage.
schwanke Anatol gern über sein Bewußtsein legt, hebt
Anatol (steht vor Cora : . . sieht sie lange an):
Freund Max, der weltkluge Skeptiker, jedesmal wieder
ora ... (Schüttelt den Kopf, geht herum.) Cora! (Vor.
auf. ... Bibi, die Anatol als „ewige“ Freundin preist,
Cora auf den Knien.) Cora! Meine süße Cora! Cora!
kenut ihn nach kurzer Trennungszeit, die ihr offenbar
(Steht auf.) Wach auf . . . und küsse mich!
Cora (steht auf, reibt sich die Augen, fällt Anaiol viel zu schaffen gab, gar nicht mehr. ... Während er auf
um den Hals): Anatol! Hab' ich lang geschlafen? ... Wo
eine möglichst schonende Form sinnt, um Annie los zu
ist denn Max?
werden, gibt sie ihm selbst in verletzender Art den Ab¬
Anatol: Max!
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Max (kommt aus dem Nebenzimmer): Da bin ich! schied. Die Psychologie des „Abschiedssoupers“ mag un¬
höflich sein; aber sie ist wahr. Wahr selbst bis zur
Vanillecreme und zur Zigarettenschachtel. Vielen wird
es unheimlich sein in der wechselnden Gesellschaft
Anatols, und manche Frau wollte das Buch Schnitzlers
vor Anatols „Hochzeitsmorgen“ am liebsten schon zu¬
geklappt haben, wenn — dieser Entschluß nicht erst am
Ende des Buches, also zu spät, in der Leserin reifen
würde. Aber den verfänglichen Inhalt überwindet die
elegante Form. Die Knappheit, Natürlichkeit und Bieg¬
samkeit des Dialogs, die treffende Charakteristik wird
immer auch dort anziehen und fesseln, wo die
Situation zu ärgern vermöchte. Die Form holte sich
Artur Schnitzler von den Franzosen, aber er gibt viel
Eigenes, Individuelles, das seine dichterische Begabung
bekräftigt. Auch ist Anatol und seine Kompagnie gar
nicht französisch. Die Färbung weist auf Wien, auf das
Wien unsrer Tage. Es ist darum nicht einzusehen,
warum Loris in seiner zierlichen Vorrede zu „Anatol“.
das Wien des Canaletto von Siebzehnhundertsechzig
aufleben läßt, um bei grünen und braunen Teichen,
bei verschlafenen Tritonen und Sphinxen und Bolo¬
gneserhündchen, die völlig stilgerecht einen Pfau an¬
bellen, die Bühne für die Anatolstücke zu errichten.“
Was sollen die violetten Monsignori, die Cavälieri
und Abbati mit der „Komödie unsrer. Seele“ mit
unsres Fühlens Heut' und Gestern“? Wir wollten's.
verkehren: Lampen statt der Sommersonne! Die.
Anatolbühne gehört in unsre Salons, wo Wahrheit
und Heuchelei sich kreuzen, wo Anatol „verstanden“.
wird, in das moralische Zwielicht, in welchem Anatols
Gabriele und Elsa uns begegnen, in welches sich viel¬
leicht auch eine Annie oder Blanka wagt. Loris lieb¬
liche Rokokoverse laufen neben Schnitzlers Buch und
führen nicht ein. Der geniale Jüngling, welcher sich
erst ins Leben dichtet, hat das Vorspiel zu den Anatol=
szenen, welche aus dem Leben geholt sind, vergriffen.
Aber es ist eine Konzertouvertüre, die entzückend.
klingt, wenn man sie für sich allein ertönen läßt.
Dr. Robert Hirschfeld.