VII, Verschiedenes 2, 50ster und 55ster Geburtstag, Seite 136

box 39/2
5
day
Soth and S5th Birt!
Rundschau
von einhelliger Herzlichkeit. Worin
blimer Werktreue arbeitet, bleibt er
liegt nun eigentlich das Geheimnis
uns nimmer dunkel noch fern. Eine
dieses bewunderten Erfolges? Nach
Werktreue, aus der man seine Persönlich¬
meinem Empfinden zumeist in der
keit am sichersten kennen, seinen Künstler
tiefinnigen Verschmelzung einer von
am höchsten schätzen lernt. Eine Werk¬
außen viel empfangenden Persönlichkeit
treue, die seine Kunst ihm selbst nicht
mit einer wohlberatenen Kunst und
einen Augenblick zur bloßen Bedute
einer Kunstübung von hingebender
macht, vielmehr seine ganze Kraft an die
Treue. Ferner darin: daß dieser Dichter
Lösung jeder Aufgabe, auch der kleinsten,
der blutjung=treibenden Liebe und des
ruft. Schnitzler hat arbeitend ein
erlösenden Sterbens niemals ein
wichtiges Kunstdogma begriffen. Und
„Apostel“ sein will — selbst in seinem
das gibt ihm Wirkung und Macht von
Tendenz=Roman „Der Weg ins Freie“
Dauer. Das Dogma: die Dichtung, vor
vermeidet er den Apostelton geflissent¬
allem das Drama, soll befähigt sein,
lich — sondern immer nur ein schlichter
unsere Seele weit zu erschließen; soll
Herzdeuter, ein gütiger Schuldversteher, ein
in uns wecken, was unbewußt in uns
Fehltilgender, wie vornehmlich in seinen
gelegen; soll gemacht und geeignet
Wiener Dramen „Liebelei“, „Freiwild“.
sein: zum starken Miterleben in uns aufzu¬
„Comtesse Mizzi“ u. A. Endlich darin:
rufen, was als Schicksal, Bestimmung oder
daß er in alledem unverändert von
Verhängnis Anderer vor unserer Im¬
Anbeginn bis zur Stunde so bezaubernd
pression sich vollzieht. Darum hat
jungfühlig und voll Altersklugheit ge¬
immer das unmittelbar Wirkliche als
blieben. In allem Wollen und Wesen
Gegenstand seiner lebendigen Dar¬
der klar Erfaßliche! Und daß er — neben
stellungen ihn am tiefsten angeregt.
seiner Neigung zur Tragik der ver¬
Damit hat er die nachhaltigsten und
borgenen Schicksalsbeziehungen — heut,
innerlichsten Eindrücke sich zu sichern
gewußt.
wie von Anbeginn, voll herzlichem
Humor, überlegener Ironie und psycho¬
Ich denke an seinen ersten Wurf
logischer Nachsicht in der Beurteilung
„Liebelei". Den Premierenabend wird
menschlicher Irrungen geblieben. Und
niemand vergessen, der ihn erleben
was ihn in alledem auszeichnet: die
durfte: Das war ger kein „Spiel“,
konsequente Charakteristik seiner Gestalten,
das war ein Stück wirkliche Jugend
für die er die knappsten Dialog=Finessen
in Glück und Fehl, in Seligkeit, Ver¬
von blendender Beredsamkeit, Schlag¬
trauen und Sterben. Alles äußere
fertigkeit, Lebensfülle findet.
Vollziehen beinahe kunstgegensätzlich;
Nicht in allen seinen Werken be¬
aber alles Erleben so pulswarm jung
tätigt Schnitzler diese Vollsumme seiner
und wirklich; und der Dichter in seiner
Begabung und in dem Einzelnen nicht
Greisenweisheit so kindhaft unwillkür¬
immer gleich stark und wirkungsicher.
lich. Es war für ihn schon damals
Aber überall ist seine Kunst in hohem
sehr charakteristisch, daß er der blut¬
Grade mitteilsam. Immer weiß er,
jungen Heldin, dem Kind Christine,
auch in Symbolischem und „den Dingen
als letzten Aufschrei vor ihrem ver¬
zwischen Himmel und Erde“ — wie
zweifelten Sterben die Worte in den
in den Novellen „Dämmerseelen“.
Mund legt: „Vater, verstehst du die
Welt noch?“ die Hebbels Meister Anton
sich uns verständlich zu
machen. Und was wir verstehen —
als letzten Seufzer seiner Sorgen aus¬
besitzen wir. Was wir besitzen — lieben
stößt, „ich verstehe die Welt nicht mehr“.
undFhätscheln wir gern. Dank seiner
Übrigens: die äußere Wirkung
durchseelten Wortbelebung, die mit su= Schnitzlers wurde sicherlich dadurch ver¬
397
116 5