VII, Verschiedenes 2, 50ster und 55ster Geburtstag, Seite 137

Soth and 55th Birthdau box 39/2
Rundschau
„Der Tod des Junggesellen“, „Der
stärkt, daß er sich zu Denen energisch
tote Gabriel“, „Die dreifache Warnung“
geschlagen, die sich losgelöst von den
selbst in „Die Hirtenflöte“ ein Phan¬
dogmatischen Satzungen eines drama¬
tasiebild mit symbolischen Schlagschatten
tischen Zeitalters, das damals ver¬
auf die Rätsel der Frauenseele. Die
drängt wurde von der Heilslehre, die
— Schnitz¬
Rätsel der Frauenseele,
uns aus dem Norden gekommen.
lers Domäne, auf der seiner anmu¬
Ich denke weiter an seine, von
tigen Plastik meisterliche Leistungen
daher fast ununterbrochene Reihe von
glücken. Eins noch ist an Schnitzler
Erfolgen. Ich denke heut vor allem
bemerkenswert
— je höher er in die
an einen, in diesen Jubiläumstagen
Jahre kommt, desto deutlicher wird
erschienenen*) Band neuer Novellen:
seine Neigung, in erzählender Form
„Masken und Wunder“. Sechs
sich auszusprechen. Zugleich wird gerade
abgerundete, soignierte Kunstwerkchen.
im Drama seine Wortprägung immer
Bei Schnitzler, und in der Dichtkunst
knapper und trotz der Knappheit er¬
überhaupt, der sicherste und heikelste
giebiger, sinntiefer; während seine er¬
Maßstab, so für die Kunst des Künstlers,
zählende Diktion immer behaglicher und
wie für die Geschmackskultur seiner Ich¬
in epischer Unbeengtheit dahinfließt.
erziehung. Auch hier die vollste Wirkung

In seinen „Masken und Wundern“
ausgehend von den Stoffen des Er¬
finden sich Stellen, die man unbesehen
lebten. Da ist „Der Mörder“, — ein
Kleist zuschreiben möchte, deren ruhig
erschütternder Vorgang, wie mit Ma¬
und festgefügte Perioden an Michael
gnesium=Blitzlicht die Abgrundmöglich¬
Kohlhaas erinnern. Aber von ungleich
keiten in der Menschenseele psycho¬
packenderer Wirkung und einer Schön¬
logisch erhellend zu grauenvoller Natür¬
heit des Wortes, wie nur die vollaus¬
lichkeit: Ein gutmütig unbewehrter
gereifte Entwickelung unsererheutigen
junger Lebemann, verlobt, zugleich aber
Muttersprache sie dem Künstler als
verstrickt in eine ernsthafte Liaison, die
Instrument für seine Prägekraft und
zu brechen dem Entschlußmüden un¬
seine Feilarbeit gewährt.
möglich wird. Hin= und hergeworfen
Kein Zweifel — wenn Schnitzler
von seinen unklar ihn umspinnenden
auch ganz gewiß nicht zu den „Großen“.
Empfindungen, die beide Frauen mit
Zeitlosen gehört, so nimmt er unter
gleicher Liebe umfassen, beschließt er:
den Heutigen doch einen Rang für
sich zu befreien, indem er die Geliebte
sich ein: den Rang der Besonderheit.
tötet, um die Braut heiraten zu
In ihm vereinigt sich der psychologische
können. Was er, fern von der Heimat
Scharfblick, das pathologische Erkennen,
auf einer Meerfahrt, auch ausführt —
die beobachtende Erfahrung des Arztes;
in der Phantasie schon alle Seligkeiten
die verdichtende Impression und durch¬
lebend an der Seite der legitimen
lichtende Phantasie des Dichters mit
Braut, die daheim längst einem andern
der offenbar gütig beeiferten Menschen¬
Manne sich verlobt hat und ihn schnöde
liebe dessen, der die Kreatur hat leiden,
abweist. Ein Duell mit einem Anbeter
sterben, verzweifeln, Gott suchen und
der Gemordeten bringt ihrem Mörder
den Teufel finden sehen. Eine zu¬
erlösenden Tod. In den Erzählungen
sammengesetzte Persönlichkeit, die, auf
ist überhaupt viel vom Tode die Rede:
ihr Kunstgestalten übertragen, reiche
und nachhaltige Wirkungen und Ein¬
*) Verlag S. Fischer, Berlin, wo dem¬
nächst, etwas post festum, eine Jubilä¬
drücke nicht verfehlen kann.
ums=Gesamtausgabe der Werke
Wenn Einer auf beschwerlicher Berg¬
Schnitzlers herauskommen soll, auf die
wanderung den höchsten Gipfel erreicht.
näher einzugehen ich mir vorbehalte.
wird er gern wohl eir wenig rasten und
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auf den Veg zurückschauen, den er gege
gen, um frohgemut den behaglichen
greil seiner Tanderung, talwärts, zu be¬
ginnen. Venn Schnitzler von der ge¬
wonnenen Höhe seiner Lebena jahre seina
Veg überschaut, mag vohl ein berech¬
tistes Glückfühlen seine Seele schwel¬
len. Ihm ist geworden vas die aller¬
wenigsten erreichen: Anerkennung, die
ehrlich erarbeitet ist, ärfolge, die das
Glück ihn gegönnt hat.
Zu fröhlicher Veiterwanderuns ein
aufrichtiges „Glück auf den Vegl