VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 7

box 39/3
6oth Birthday
durch mehrere Jahre, bis ihn der unerwartete Erfolg seiner dichteri¬
Arthur Schnitzler, der Sechzigjährige.
schen Erstlinge, der oben erwähnten „Anatol“-Szenen, die er, in
Von Heinrich Glücksmann, Dramaturg des Deutschen Volkstheaters.
seltener Bescheidenheit, ihres Wertes unbewußt, den Intimsten allein
Eine Gunst des Schicksals schuf mir die Freude, die Bekannt¬
erschlossen und nur unter dem Zwange ihrer lortgesetzten Uberredung
schaft des Dichters Arthur Schnitzler früher zu machen, als die andere
als Dreißigjähriger erst der Offentlichkeit übergeben hatte, überzeugte,
Welt, gleichsam die ersten Schwingenregungen seines flugdurstigen
daß er ein Heimatrecht in der Schriftstellerei anstreben dürfe. So
Talents beobachten zu dürfen.: Es war in der zweiten Hälfte der
wurde er in diese förmlich hineingestoßen. Freilich wohl gerüstet und
Achtzigerjahre. Das zu jener Zeit sehr angeschene Leizpiger „Magazin
vorbereitet. Hatte er doch durch all die Zeit bis in die Mannesreife
für die Literatur des In- und Auslandes“ war gerade von den Jüngst¬
hinein in die tiefsten Heimlichkeiten und verschleiertsten Unheimlich¬
keiten der Menschennatur Einblick gewonnen und durch jene Wissen¬
deutschen, den neuen Stürmern und Drängern, den Kunstrevolutio¬
nären Karl Bleibtreu Konrad Alberti, Hermann Friedrichs und
schaft, die ihre Erkenntnisse zumeist auf den vor aller Welt ängstlich
Genossen erobert und in Besitz genommen worden, und über An¬
verborgen gehaltenen Dingen aufbaut, seine Sinne geschärft für die
regung des mir befreundeten Alberti wurde mir die Provinz Öster¬
Probleme der Seele, für die Rätsel des Lebens, für das unlösbare
Sphynxgeheimnis des Sterbens. Und mit weit offenen Poetenaugen
reich-Ungarn mit dem Hauptorte Wien zur kritischen Verwaltung
zugeteilt. Damals begegnete ich gesellschaftlich dem angesehenen Arzte
hatte er das Wesen seiner Vaterstadt, mit sehnzüchtiger Zärtlichkeit
Regierungsrat Dr. Schnitzler, dem Begründer und Leiter der eben ins
und liebevoller Innigkeit die eigentümlich schmeichlerischen Schön¬
Leben gerufenen Poliklinik. Er zog mich in sein Haus und weihte
heiten Wiens eingesogen, bis zu den letzten Vorstadthäusern hinaus,
mich in seine Vaterschmerzen ein. Seine beiden Söhne hatten seinen
den weiten Hlöfen und den vereinzelten Bäumen, die einen Garten
Beruf erwählt, sich der Heilkunst zugewendet. Der eine, Julius, ging
heucheln. Da hat er den neuen Typus des „süßen Mädels“ gefunden,
seinen normalen Weg und versprach, eiwas Tüchtiges zu werden. das Wiener Gretchen von heute oder eigentlich von gestern, und in
sich selbst und unter den Kameraden den
(Der Blick des Vaters hatte sich hierin
„Anatol“, den Wiener Jungen mit dem
nicht getäuscht: Wir schätzen heute in
französischen Namen, der in Paris die
diesem Manne einen unserer besten
Chirurgen, einen von den Erlesenen, die
Kunst des Flirts studiert hat, der
„Liebelei“, des Liebens ohne Liebe, das
den Ruf und Ruhm der Wiener medi¬
von der Stunde für die Stunde lebt.
zinischen Schule noch aufrecht erhalten,
Diesem Ringstraßenheiden, dem wenige
ihr neuen Glanz verleihen.) Aber des
wackeren Regierungsrates anderer Sohn
Frauen widerstehen und der keiner Frau
widersteht, vertreibt die Liebe die Zeit,
machte dem Vater schwere Sorgen. Er
dann die Zeit die Liebe, wobei manch
studierte, er tat seine Pflicht, er ging in
ein armes Ding in restloser Hingabe ihr
die Vorlesungen und mied die Kliniken
Schicksal einsetzt und verspielt. Nicht am
nicht, aber sein Herz war nicht dabei,
Leben vorbeigehen, das ist der unbewußte
sein lebhafteres Interesse schien sich der
Drang dieser Leute vom Grund, die schon
Literatur zuzuneigen, und seine Schreib¬
ein bißchen Sonne beseligt, während die
tischladen schwollen gemach von be¬
Oberschichte der „Komtesse Mizzi“ im
schriebenen Blättern.
Glanz und Reichtum ihrer Sphäre be¬
Vater Schnitzler beging einen Ein¬
drückt ist von heimlicher Schuld und
bruch in das Geheimnis dieses jungen
heimlichen Schatten. Aber nicht nur
Schaffens und zeigte mir ein paar von
durch diese seine Wiener Genrebilder,
den noch ängstlich verborgen gehaltenen
die er auch als Novellist und Romancier
Manuskripten seines Arthur. Ich blickte
gerne malt, pulst in kräftigsten Schlägen
hinein und war gefesselt, las von der
die Wirklichkeit. Er geht auch in Tiefen
ersten Zeile an mit fiebrischer Erregung,
und Weiten und paart, wie im „Ruf des
die sich zur Andacht und Inbrunst
Lebens“, einem donnernden Aufruf
steigerte, denn ich gewann sofort die
gegen den menschentresserischen Moloch
Oberzeugung, hier einem Berufenen und
des Militarismus, in ergreifendstem Ge¬
Auserwählten, einem wirklichen Dichter,
gensatz heiße Daseinsfreude und stren¬
einem Sucher und Entdecker von lite¬
gen Sterbenszwang oder umfaßt im
rarischem Neuland ins Gesicht zu
Photo: Franz Löwy, Wien.
„Grünen Kakadu“ vielleicht dem mäch¬
schauen. Es waren einige von den
tigsten Kleinstücke der deutschen Lite¬
„Anatol“-Szenen, die mir zu lesen ver¬
Arthur Schnitzler.
ratur, mit eindringlicher Wucht bei
gönnt waren. „Ich beglückwünsche Sie“
wundersamer Knappheit die bewegteste,
sagte ich zu Vater Schnitzler, „Ihr Arthur
Ein Menschenseelen-Ergründer
farbigste Epoche der Weltgeschichte. So
ist ein Dichter, und es wäre unnütz und
Voll Unerbittlichkeit,
ist denn der oft nur als Causeur der
vielleicht ein Verbrechen, ihn zu behin¬
Ein unerschrockener Künder
leichtfertigen Liebe a la minute Etiket¬
dern, den Geboten seines Talents zu ge¬
Frei-starker Sittlichkeit,
tierte auch ein freier Frager und kühner
horchen. Dieser junge Mann muß
Bekenner gegenüber den dunklen Mäch¬
Ein anmutvoller Fechter
dichten. Der Arzte gibt es genug, mehr
ten des Seins, und die Quellen seines
als genug. Der wahren Dichter vielleicht
In ernstem Waffengang,
Dichtens rauschen aus den Bornen des
Ein Ehrlicher, Edler, Echter —
großen Mitleids mit den Schwachen, des
freudig stolz darauf sein, der Welt einen