VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 8

eie in.
regung des mir befreundeten Alberti wurde mir die Provinz Öster¬
Sphynxgeheimnis des Sterbens. Und mit weit olfenen Poetenangen
reich-Ungarn mit dem Hauptorte Wien zur kritischen Verwaltung
hatts er das Wesen seiner Vaterstach, mit sehnrüchtiger Zärtlichkeit
zugeteilt. Damals begegnete ich gesellschaftlich dem angesehenen Arzie
und liebevoller Innigkeit die eigentümnlich schmeichlerischen Schön¬
Regierungsrat Dr. Schnitzler, dem Begründer und Leiter der eben ins
heiten Wiens eingesogen, bis zu den letzten Vorstadthäusern hinaus,
Leben gerufenen Poliklinik. Er zog mich in sein Haus und weihte
den weiten Höfen und den vereinzelten Bäumen, die einen Garten
mich in seine Vaterschmerzen ein. Seine beiden Söhne hatten seinen
heucheln. Da hat er den neuen Typus des „süßen Mädels“ gefunden,
Beruf erwählt, sich der Heilkunst zugewendet. Der eine, Julius, ging
seinen normalen Weg und versprach, etwas Tüchtiges zu werden. das Wiener Gretchen von heute oder eigentlich von gestern, und in
sich selbst und unter den Kameraden den
(Der Blick des Vaters hatte sich hierin
„Anatol“, den Wiener Jungen mit dem
nicht getäuscht: Wir schätzen heute in
französischen Namen, der in Paris die
diesem Manne einen unserer besten
Kunst des Flirts studiert hat, der
Chirurgen, einen von den Erlesenen, die
„Liebelei“, des Liebens ohne Liebe, das
den Ruf und Ruhm der Wiener medi¬
von der Stunde für die Stunde lebt.
zinischen Schule noch aufrecht erhalten,
Diesem Ringstraßenheiden, dem wenige
#.
ihr neuen Glanz verleihen.) Aber des
Frauen widerstehen und der keiner Frau
wackeren Regierungsrates anderer Sohn
widersteht, vertreibt die Liebe die Zeit,
machte dem Vater schwere Sorgen. Er
dann die Zeit die Liebe, wobei manch
studierte er tat seine Pflicht, er ging in
ein armes Ding in restloser Hingabe ihr
die Vorlesungen und mied die Kliniken
Schicksal einsetzt und verspielt. Nicht am
nicht, aber sein Herz war nicht dabei,
Leben vorbeigehen, das ist der unbewußte
sein lebhafteres Interesse schien sich der
Drang dieser Leute vom Grund, die schon
Literatur zuzuneigen, und seine Schreib¬
ein bißchen Sonne beseligt, während die
tischladen schwollen gemach von be¬
Cberschichte der „Komtesse Mizzi“ im
schriebenen Blättern.
Glanz und Reichtum ihrer Sphäre be¬
Vater Schnitzler beging einen Ein¬
drückt ist von heimlicher Schuld und
bruch in das Geheimnis dieses jungen
heimlichen Schatten. Aber nicht nur
Schaffens und zeigte mir ein paar von
durch diese seine Wiener Genrebilder,
den noch ängstlich verborgen gehaltenen
die er auch als Novellist und Romancier
Manuskripten seines Arthur. Ich blickte
gerne malt, pulst in kräftigsten Schlägen
hinein und war gefesselt, las von der
die Wirklichkeit. Er geht auch in Tiefen
ersten Zeile an mit fiebrischer Erregung,
und Weiten und paart, wie im „Ruf des
die sich zur Andacht und Inbrunst
Lebens“, einem donnernden Aufruf
steigerte, denn ich gewann sofort die
gegen den menschentresserischen Moloch
Uberzeugung, hier einem Berufenen und
des Militarismus, in ergreifendstem Ge¬
Auserwählten, einem wirklichen Dichter,
gensatz heiße Daseinsfreude und stren¬
einem Sucher und Entdecker von lite¬
gen Sterbenszwang oder umfaßt im
rarischem Neuland ins Gesicht zu
Photo: Franz Löwy, Wien.
„Grünen Kakadu“, vielleicht dem mäch¬
schauen. Es waren einige von den
tigsten Kleinstücke der deutschen Lite¬
„Anatol“-Szenen, die mir zu lesen ver¬
Arthur Schnitzler.
ratur, mit eindringlicher Wucht bei
gönnt waren. „Ich beglückwünsche Sie“,
wundersamer Knappheit die bewegteste,
sagte ich zu Vater Schnitzler, „Ihr Arthur
Ein Menschenseelen-Ergründer
farbigste Epoche der Weltgeschichte. So
ist ein Dichter und es wäre unnütz und
Voll Unerbittlichkeit,
ist denn der oft nur als Causeur der
vielleicht ein Verbrechen, ihn zu behin¬
Ein unerschrockener Künder
leichtfertigen Liebe a la minute Etiket¬
dern, den Geboten seines Talents zu ge¬
tierte auch ein freier Frager und kühner
Frei-starker Sittlichkeit,
horchen. Dieser junge Mann muß
Bekenner gegenüber den dunklen Mäch¬
Ein anmutvoller Fechter
dichten. Der Arzte gibt es genug, mehr
ten des Seins, und die Quellen seines
als genug. Der wahren Dichter vielleicht
In ernstem Waffengang,
Dichtens rauschen aus den Bornen des
zu wenig. Und Sie werden eines Tages
Ein Ehrlicher, Edler, Echter —
großen Mitleids mit den Schwachen, des
freudig stolz darauf sein, der Welt einen
So lab’ er uns noch lang!
Mutes der Kritik an den Starken und
solchen wahren Dichter geschenkt zu
Mächtigen, und aus der echten und
haben.“
LUDWIG FULDA.
rechten Religion der Liebe, wie in dem
Ich glaube, daß ich mit diesem
in unserem Österreich so lange verboten
Urteil und dieser Prophezeiung den
gewesenen „Professor Bernhardi“.
Herrn Regierungsrat, dem sein Beruf als
Arthur Schnitzler begegnete in seinen Anfängen, da er noch der
das Höchste und Schönste in der Welt galt, nicht gerade beglückt habe.
Führer oder mehr als dieser, das Haupt der Richtung Jung-Wien war,
Aber recht habe ich damit behalten. Arthur Schnitzler steht in der Vor¬
wegen der manche Schleier zerreißenden Erotik seiner Poesie heißer
derreihe der Schaffenden unserer Zeit; er ist einer ihrer charak¬
Gegnerschaft, selbst bei Einsichtsvollen. Er hat sich sein Publikum
teristischesten Künder und spricht zur Welt, spricht aus der Gegenwart
nicht nur erobert, auch erzogen. Er gilt heute und schon seit langem
in die Zukunft. Wiewohl er ein Dichter des Wienertums ist, wie kaum
als der repräsentative Schriftsteller Österreichs in der Arena des
ein anderer, ein künstlerischer Gestalter des speziellen Wiener
modernen Geistes, als der höchste und feinste Ausdruck moderner
Menschentums, des Besonderen und Ureigenen in seiner Natur, in
Wiener Kultur, und sein Werk wird nachgerade zum Baustein der
seinem Denken und Fühlen, seinem Sehnen und Streben, seinem Leben
Bildung.
und Lieben, ist sein naher sechzigster Geburtstag nicht nur den engern
Landsleuten ein Herzensfesttag, nein, er wird mit dankbarer Ver¬
Ober einen Dichter darf wohl jedermann sein Urteil haben. Darf
ehrung überall begangen, wo man die echte und reine Kunst liebt und
er es aber auch, wenn er nicht gerade als Literat oder Rezensent geeicht
genießt. Denn viele seiner bezeichnendsten Werke sind nicht nur
ist, öffentlich aussprechen? Setzt er sich nicht der Gefahr aus, über die
auf die Sprache allein beschränkt, in der sie geschrieben wurden, sie
Achsel angesehen oder gar ausgelacht zu werden? Umso bedächtiger
haben ihren Ehrenplatz im literarischen Schrein aller gebil¬
und zurückhaltender bleibe ich. Allein das Eine möchte ich als unma߬
deten Völker.
gebliche Empfindung sagen: In den Kranz, der sich um das Haupt
Es ist für die gesamte Produktion Arthur Schnitzlers bestimmend
unseres Pocta laureatus windet, haben gehässige, politisch verkrümmte
gewesen und charakteristisch geworden, daß er aus der Medizin in
Finger Dornen geflochten, die seine Stirne wundritzen sollten. Jene
die Literatur kam, aus dem Erlebnis in die Kunst. Tag um Tag waren
Stacheln hat der Säbel abgerissen, den sein „Leutnant Gustl“ verbogen;
schon an dem Kinde die Kranken vorübergezogen, solche, die es
hat der Weihwedel gepflückt, der bei seinem „Professor Bernhardi“
waren, und auch jene interessanteren, die es zu sein vermeinten oder
sich gesträubt; hat das Muckertum zugespitzt und die Moralpauke
zu sein vorgaben. Spielte er doch neben Warte- und Ordinations¬
breitgeschlagen, die sein kurzgeraffter „Reigen“ aufgescheucht hat.
zimmer eines bedeutenden Arztes seine Knabenspiele und glaubte als
Wenn aber Dichtungen, nicht etwa vereinzelt, sondern mehrere hinter¬
Jüngling durch eine Weile, daß sein Leben gleich dem seines Vaters
und Bruders dem ärztlichen Berufe gehören ürde. Er diente ihm auch drein, sowohl auf den Brettern einschlagen, die doch ii eine Welt
n eneenen