VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 26

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ZETTUNGSTE
BERLIN SO. 10, KUNGBSRene
zetune Prager Tagbläft
Adrese, Prag 13 MA1177
Datum:

—.—
Melancholie, diese gedämpften und doch schlvel¬
gerischen Halbtöne: dies alles verdichtet Schnitz¬
ler immer wieder zur Symphonie hoffnungs¬
Wöälhoos und Konask.
loser Schicksale. Bei jedem Anderen würde das
schließlich einseitig wirken und ein wenig er¬
Arthur Schnitzler zum 60. Geburtstag.
müdend. Aber dieser unendlich subtile, in unab¬
lässigem Zweifeln verseinerte und von allen
(am 13. Maz 1922.)
Quellen der Psychoanalyse immenströmende
Man spricht seinen Namen aus und es ist, als
Geist ist wie durchtränkt den unbeschwerter
würde in der Demmerung ein milder Glanz
Grazie und funkelnder Ironie. Und dann verz##
zurückbleiben wie „von einer Frau und eine
birgt sich noch hinter dieser bittersüßen und in
schwebende, Fnachdenkliche Melodie. Man blät¬
allen Nuancen der Ueberreise phosphorreszieren¬
tert in seinen Büchern, gedenkt der Theater¬
den Erotik ein schweigendes Bedürfnis nach
abende, die man ihm verdankt: verschwiegene,
Liebe. Das ist es, was den Namen Schnitzlers
seltsame und kranke Schicksale steigen auf. süße
weit über die lokalen und nationalen Grenzen
und trostlose Namen und auf einmal stehen
hinausgetragen hat, was seinem Werk neben!
überall nur zwei Worte, immer dieselben zwei
dem Ruhm noch jene ungebrochene Ausstrah¬
Worte: Abschied und Einsamkeit.
lung auf spätere Geschlochter sichert, die man
Wie ein Blatt, das ein leiser Wind spielend
etwas voreilig als Unsterblichkeit bezeichnet.
„vor sich hertreibt, hat sich Schnitzler in unstill¬
Dieser Fanatiker der Desillusion sehnt sich fa
barer Sehnsucht über alle Landschaften der
natisch nach Liebe. Dieser wissende Skeptiker,
Seele tragen lassen; über die hellen, freien und
dieser nachsichtige und belustigte Spötler, der
die rätselverhangenen, im Dulskel der Laby¬
nicht Ja sagen kann und nicht Nein sagen will,
rinthe gebundenen. Er ist überau gewesen, wo
dieser Philosoph mit seinem wohlwollenden,
es Menschliches, Allzumenschliches gibt, er hat in
Faible für alle Schwächen des Fleisches: dieser!
dem weiten Land an alles gerührt, was je Be¬
Pan=Atheist kan. insgeheim auch beten. Wie
gierde und Schmerz und Lust genannt wird oder
einer, der keine Ruhe findet in der warmen Hel¬
gar keinen Namen trägt in den unterirdischen
ligkeit einer Sommernacht, der aufsteht und er¬
Zwischenreichen des Bewußtseins. Scheinbar
griffen und gequält die Hände ringt, daß ein
kühl und unbewegt, nur aus der heiteren Ge¬
Wunder geschehe, daß es ihm vergönnt sein!
lassenheit und geduldig beherrschten Neugierde
möge, sich einmal wunschlos hingeben zu dürfen!
des Forschers. über in Wirklichkeit vibriert un¬
an eine Freude ohne Schuld. Aber dann kommt;
ter dieser sachlichen Ruhe ein Erleben, tief bis
wieder ein Morgen, ein Tag wieder und das!
in den Tod; in Wirklichkeit ist dieses scheinbare
Leben geht weiter mit seinen Widersprüchen und
und von Vielen mitverstandene Unbeteiligisein
unlösbaren Verwicklungen, mit seinen kupp¬
nichts als eine verhaltene und ins Geistige subli¬
lerischen Versuchungen und seinem meskinen!
mierte Leidenschaftlichkeit, ein bebender Schauer
Zwiespalt zwischen Gut und Böse.
und eine Erregung, die innerhalb der
Oft genug hab' ich versucht,
Dinge vor sich gehen gleichsam als lautloser in¬
„Dem sich so viele Wunder offenbarten,
nerer Kreislauf. Und dann weiß der Dichter,
„Auch dies zu kennen, das ihr Liebe nennt.
daß die sogenannten entscheidenden Ereignisse in
„Ich weiß von Wunsch und Lust und über¬
unserem Leben fast immer ohne jedes äußerliche
druß —
Pathos eintreten, ohne Donner und Blitz: an
„Das Wundar fühlt' ich nie.“
einem Tage, der alltäglich ist und gewöhnlich
Ein Gottsucher, der seinen Gott nicht findet.
wie jeder andere, mit Worten, die schon unge¬
zählte Male gesagt worden sind, oder in einer
Stille, deren Schweigen banger ist und schwerer
Wenn man — ohne zu wissen, daß es Arthur
als alle Worte.
Schnitzler ist — diesem vornehmen, freundlich
reservierten Herrn begegnet, der in sich selbsts
Immer wieder hat Schnitzler erfahren wollen,
zurückgezogen scheint wie in eine große Stille,
was es denn mit dem Puppenspiel des Lebens
wenn man diese noble, gepflegte, in allen ihren
eigentlich sei und immer wieder kehrte er un¬
Bewegungen von einer inneren Erziehung;
verrichteter Dinge zurück; wie ein Mensch, der
gelenkte Erscheinung im Theater oder einem
gestehen muß, daß er doch nicht helfen kann. Es
Salon betrachtet, so läßt sich der erste Eindruck?
gibt keine Vereinigung, keine Verschmelzung;
in zwei Worte zusammenfassen: Kultur und Tra¬
selbst in der Umarmung der Geschlechter bleibt
dition; was ja im Grunde genommen Eines ist.
jedes allein. Je älter Schnitzler wurde, je länger
Um die Gestalt Arthur Schnitzlers wie um
die Strecke, auf die er zurückschauen konnte,
alle seine Gestalten fließt eine ganz eigentümliche
desto tiefer empfand er die Wehmut derer, die
Lebensluft, ein Akkord von sicherer Einfachheit
tausendfach einer Liebe entsagen — um sie den¬
und künstlerischer Verfeinerung; ein vornehmer
noch tausendfach zu bewahren. Aber zugleich re¬
Reichtum und die ästhetische Freude an leichten,
signierte er sich auch, lächelnd und in reiser Er¬
schönen und meinetwegen zwecklosen Dingen.
kenntnis zuzusehen, wie ringsum die Schicksale
fallen. Die Martsteine auf seinem Weg ins Freie] Etwas Undefinierbares und Ungreifbares und
war doch das kostbarste Gut dieser verarmten
heißen Abschird und Einsamkeit.
und verkommenen Stadt: die Wiener Tradition
und Kultur.
Abschied und Einsamkeit: dieses Leitmotir in
Vorbei. Nur mehr ein versinkender Traum,
Moll gehört zu fast allen Menschen in Schnitz¬
Resonanz der Erinnerung. Vielleicht bald nur
lers Stücken und Dramen. Sie tragen Schick¬
ein dürres Wort, ein abstrakter Begriff ohne
fale, diese Meuschen, unter denen ein unmög¬
Vorstellung. Und Schnitzlers Werk kommt schon
licher Traum verschüttet liegt. Eine selisame
e der seine heute neben seinem rein dichterischen Wert die
Fremdheit schweht über ihnen,
ionin