VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 36

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Arthur Schnitzler.
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Zu seinem 60. Geburtstag.
Am 15. Mai, an seinem 60. Geburtstag, und schon seit geraumer
Zeit stehen wir Arthur Schnitzler anders gegenüber als vor rund
zwanzig Jahn.Wenn sich unser anfänglich bereitwilliges lächelndes
Interesse ehr ist es kaum gewesen
seither in ein sehr
kritisches= Abwagen der dichterischen Fähigkeiten Schnitzlers ver¬
wandelt hat, so ist diese schärfere Einstellung auf das Schaffen eines
nicht gewöhnlichen Talents aber nicht etwa durch die künstlerische
Reife dieser Begabung, sondern — im Gegenteil — durch eine deut¬
lichere Unterscheidung der schöpferischen Potenzen bedingt. Dich¬
kterische Kraft haben Schnitzlers Jugendwerke zwar nie verheißen;
aber eine Summe feiner Kultur steckt in den Menschen, die er in
kleinen kleinen Dramen und zarten Novellen einführt. Aus dieser
Kultur hätten Gesellschaftsdrama und Gesellschaftsroman seelische
Bereicherung empfangen können, und trotz frühzeitiger Abirrung be¬
stand immer noch die Hoffnung, die Reife des Lebens werde den
Stimmungskünstler zu einem zwar immer noch zart, doch sicher zu¬
packenden Dichter erziehen.
Wenn wir in Arthur Schnitzler je den typischen Vertreter der
modernen Wiener Dichtung und im weiteren des modernen öster¬
reichischen Dramas erblickten, so haben wir ihm eine Stellung in
der Literatur eingeräumt, die er selbst vielleicht nie einnehmen wollte.
Das moderne Drama, bei dem Arm in Arm mit den Franzosen auch
Schnitzler, Hofmannsthal und Bahr Pate gestanden, hat eine ganz
andere Entwicklung genommen, als wir, um bei Schnitzler zu
kbleiben, nach der Atmosphäre hätten schließen mögen, in der die
Menschen des „Anatol“=Zyklus oder der „Liebelei“ dahinsiechen.
Schnitzler ist den Weg zur Begründung brennender psychologischer
PProbleme selbst nicht gegangen, wiewohl er in manchem Einakter
ach Ibsenscher Art ein Thema aufwies, auf das sich jüngere Talente
nit ekstatischem Gestaltungsdrang stürzten. Schnitzler hat den be¬
huemeren Weg gewählt, die näher liegende, entschieden menschlichere
Konsequenz aus der Anhäufung überreizter Empfindungsmomente
ezogen. Von einigen Anläufen zu historischen Darstellungen ab¬
esehen — im Drama führt dieser Versuch im „Jungen Medardus“
um weitesten — und trotz einiger rein dichterischer Proben — vor
allem in dem Renaissanceschauspiel „Der Schleier der Beatrice“ ge¬
boten — hat Schnitzler mehr oder weniger unterhaltsam, doch nie¬
mals richtig dramatisch, das Thema vom auch nur mehr oder weniger
sthetischen Lebemann und dem „süßen Mädel“ varliert und die
Krankheitsstoffe dieses teils malancholischen, teils leichtfertigen
Nilieus aufa=sogen. Der berüchtiat= Zyklus novellistischer Dialoge
Reigen“ ist das krafseste Beisviel hiefür
Schnitzlers letzte Werke sind eine Art Lebensbeichte. Sie sind
in resignierendes Rückwärtsschauen auf den unbedenklichen leichten
Sinn der Jugend. Zweimal wählt er Casanova zum Helden; in
inem fast frivolen Drama den jungen, in einer allen Freuden des
Lebens gewidmeten Novelle den alternden Abenteurer. Vergessen
tehen Auseinandersetzungen mit sozialen und Rassenfragen (Der ein¬
ame Wea, Der„ Wea ins Treie) nehen Standessatiren. Hier konnte
nur Kraft denStoff durchdringen; hier hat sich auch der naive Be¬
rteiler mit geistreicher Konversation nicht abspeilen lassen, und er
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Kunst und Wissenschaft.
Arthur Schnitzler — 60 Jahre!
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Am 15, Mai wird der bekannte Wiener Schriftsteller?
Arthur Schnitzler sechzig Jahre alt. Er hat im letzten Jahren
durch die oft und mit Recht scharf genug verurteilte Auf¬
führung sseines „Reigen“ viel Staub aufgewirbelt. Schnitz¬
ler, der einer alten aus Ungarn zugewanderten Wiener Ge¬
10 lehrtensamilie entstammt, ist Dr. med- und Frauenarzt. Wers
seine Romane und Schauspiele daraufhin einmal ansieht,
wird finden, daß er seiner Praxis manches abgelauscht hat.)
Er ist der Schöpfer eines besonderen Typus des Gesellschafts¬
stückes, das wir vielleicht am besten kennzeichnen, wenn wir
das Gegensätzliche festsiellen. Es sind fast dieselben Pro¬
bleme, wie sie Ibsen und nach ihm in noch grausamerer
Form Strindberg behandelt hat; aber es ist ein Hauch
Wiener Gemütlichkeit, Wiener Leichtlebigkeit — wohlver¬
darüber gebreitet.
standen: aus dem Wien vor 1914. —
So schafft er Stimmung mit einer unablösbaren Wiener
Lokalfarbe und einer weichen, leichtfertig=sentimentalen;
Grazie. Man kann sagen: Schnitzler hat das uraltneue
Problem der Geschlechterliebe, die mancherlei Konflikte, die:
sich aus der Ehe ergeben, in psychologisch feiner Weise dem
Salonstück seichteren Gewässers entrückt und so etwas wie!
literarische Salonromane, literarische Salonstücke geschalsen.
Die Lebenskämpfer kommen denn bei Schnitzler schlecht weg.
Immer wieder stehen sie als betrogene Betrüger da, und mit
zunehmender Reife wächst des Dichters müdlächelnde Sym¬
pathie dem Gütigen, die, betrogen, ohne es zu erkennen,
im Grunde doch die Glücklicheren sind.
Julius Maria Beckers „Freier“ im Urteil der Presse.
Ueber die am Stadttheater in Düsseldorf stattgefundene Ur¬
aufführung des „Freiers“ des fränkischen Dichters I. M.
Becker entnehmen wir aus den Pressestimmen folgendes:
„Deutsche Allgemeine Zeitung", Berlin: Das Werk zeigt
eigenen dichterischen Wuchs, es hat eine dramatische Almo¬
„Vossische
sphäre, der man sich nicht entziehen kann.
Zeitung", Berlin: Die Sprache besitzt eine bedeutende dich¬
terische Kraft und blühende Fülle. — „Berliner Börsen¬
zeitung": Der „Freier“ offenbart eine dichterische Begabung
von starker ursprünglicher Kraft, eine schöpferische Glut, die
„General=Anzeiger“, Mannheim: Mit der Ur¬
zündet.

aufführung hatte das Schauspielhaus Düsseldorf einen
großen Tag. In einer wundervollen Sprache redet ein
Dichter zu uns, der mit großem dramatischem Talent begabt
„Berliner Börsenkurier": Mit einer für seine Jugend
erstaunlichen Konzentration im Aufbau und Dialog erörtert
der Verfasser das Problem.
Das Koburger Theaterdefizit. In der jüngsten Sitzung
des Stadtrates von Koburg erklärte der Referent bei Ge¬
legenheit einer neuerlichen Erhöhung der Bezüge der Theater¬
angestellten, daß voraussichtlich für das Spieljahr 1922/23
das Defizit des Landestheaters 4½ Millionen Mark betragen
werde. 40 Prozent von dieser Summe hat vertragsmäßig!
der bayerische Staat zu tragen, doch erklärte der Referent,
daß die Stadt Koburg nicht mehr in der Lage sein werde,
das Theater zu erhalten, wenn nicht der bayerische Staat
seinen Zuschuß erhöhe. Es wurde eine fünfgliederige Kom¬
mission gewählt, die bei der Regierung in München vor¬
stellig werden soll.