VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 35

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ehete Er wäre ungerecht, welte man in ihm
öffentlichen Aufführung, bei all ihrer anscheinenden
nur den Poeten der Wiener „Gesellschaft“ vor ihrem
Leichtigkeit doch geradezu tief sind. Er gibt sein Bestes
Untergang sehen, auch abseits dieses Preises hat er viel
in kleinen Stücken und Novellen: zum großen Epiker hat
Schönes gespendet, das lebendig bleiben wird. Man
er nicht den vollen Atem, zum großen Tragiker nicht die
enke an seine Meistergroteske vom „Grünen Kakadu“,
entschlossene Leidenschaft. Er ist nicht stark und nicht
n welcher ins Unheimlich=Spielerische gewendet die
unbedingt genug für einen solchen Wurf. Aber keiner
ganze Weltuntergangsstimmung des Bastillensturmes ist.
der Mitlebenden erreicht ihn an Anmut und Vieldeutig¬
Wie man es vor vier Jahren mit Moissi in Basel sah,
keit des Einfalls, keiner ist so gepflegt, so sicher seiner
chlug unter dem Eindruck des Kriegendes und des roten
selbst und so unerschütterlich abwehrend gegen Konzes¬
Rußland der Atem des Meisterwerkes uns so heiß ent¬
sionen an das Wirksame und an den schlechten Ge¬
egen, daß man fast erschrak. Oder die zeitlos schöne
schmack. Inmitten offizieller Bewunderung ist man meist
Movelle vom „Blinden Geronimo und seinem Bruder“.
sehr geneigt, mit den Sechzigjährigen in der Kunst sehr
kussisch feelenhaft, nur straffer, tritt vor die Erinnerung.
strenge zu sein; hari und undankbar stellt sich das
Oder sein zugleich objektiver und doch guter, hassender
heranwachsende Geschlecht gegen sie, die ihnen den Bo¬
Professor Bernhardi“ oder sein „Tapferer Kassian“ um
den verstellen, verkennt sie, verhöhnt sie, oder, noch
haus seinem gefüllten Schrein nur einige Juwelen durch
schlimmer, vergißt sie. In diesem Kampfe der Genera¬
die Hand gleiten zu lassen. Aber in seinem Wesentlichen
tion sind einige von den jüngst Unsterblichen augenblick¬
bleibt er doch zumeist der Dichter des franzeskojosefini¬
lich ins Hintertreffen geraten: Ibsen und Boecklin, um
chen Wiens, seiner arrivierten Sozietät, die von keinen
bloß einige der am stärksten Betroffenen zu nennen; bei
Pebenssorgen geplagt ist, sich in Spiel mit dem Dasein
Wagner und Hodler zeigen sich die ersten Anzeichen einer
und Erotik zurückgezogen hat, ist er der Dichter der
solchen Entwicklung. Es wäre ein Wunder, wenn die
Tragikomödien des Wiener Cottage, wo die Landhäuser
Expressionisten, die Stammler und die Maßlosen gegen
der Reichen hingelagert sind am Rande der großen
Schnitzler sanfter wären. Er kann diesen Ansturm ruhig
ladt, weich geschmiegt in die Wiener Landschaft.
überdauern, wenn er auch sein poetisches Handwerk un¬
modern gut meistert und seine literarische Abstammung
Das Spiel des Schicksals ist ein Grundmotiv des
von dem älteren Oesterreich und von der gepflegten,
Schnitzlerschen Schaffens; das andere ist die Beziehung
wohlerzogenen Pariser Gesellschaft= und Problemdrama¬
wischen Tod und Liebe. Auf tiesen beiden Säulen
tik nicht verleugnet.
uht sein dichterisches Lebenswerk. Manchmal wie in
keiner Meisterzählung vom „Schicksal des Freiherrn von
Wien, die Stadt der Tradition und der Kompro¬
Leisenbogh“ verknüpfen sich beide. Warheit und Lüge
misse bis 1918, konnte niemals leidenschaftlich, ungeber¬
berschlingen, wir spielen alle. „Wer es weiß, ist klug.“
dig kraftgenialische Genies erzeugen. Aengstlich hielt es
Diese Wahrheit verkündet schon sein „Paracelsus.“ Leise
sich vom Wirklichen ab, daß entfesselt Stadt und Reich
Resignation, beste feelische Haltung ist das Merkmal von ihrer Geltung herunterstüzen mußte. Desto mehr
einer Gestalten. Anatol altert, und er wird der Herr
pflegte es seine Anmut, verfeinerte es sich, hielt es auf
. Sala in dem „Einsamen Weg“, diesem zarten herbst¬
gute Formen, verstand es die Kunst der Andeutung, und
ichen Schauspiel, das viel zu wenig bekannt ist. Zufall
Schnitzlers Stellung war und ist es, dieses Wesen der
der Schicksal führt zum Fehltritt einer Ehefrau, und
Wiener Bourgeoiste in die ganze Problematik oder nun¬
achher sehen wir den Sohn zwischen den zwei Vätern,
mehr abgeschlossenen Epoche hinübergeführt zu haben.
dem wirklichen, der ihn verloren hat, dem falschen, der
Das Jüdische, das man öfters gegen ihn betonte, ist da¬
hn sich erobert hat durch ein Leben voll Güte. Niemals
bei nicht das Dominierende; der Wiener Jude ist vor
st falsches, lärmendes Pathos in Schnitzlerischen Men¬
allem Wiener und vom deutschen, vom ungarischen und
schen; in ihre behütete, kränkelnde Welt, die etwas von
vom russischen Juden grundverschieden. Das Wiener¬
er linden unnatürlichen Wärme der Treibhäuser hat, ium hatte stets diese
Gane—
und Umwandlung, zog wie das alte habsburgischef fälle belauernd, jedes Motiv in allen Variationen seiner
Arbeit festhält. Zu seinem sechzigsten Geburtstage wer¬
Oesterreich von überallher Kräfte. Wenn man etwas
den viele ihm glückwünschend nahen, und wenn er auf
genauer hinsieht, so entdeckt man, wie gerade der Weg
seine Gartenveranda tritt, dann wird sein lebhaftes Auge
ist, der von Grillparzer zu Schnitzler führt, wie bei aller
in dem schönen, geisterhellten Dichterantlitz wieder sein
persönlichen und zeitlichen Verschiedenheit doch in bei¬
Wien zu seinen Füßen sehen, dieses Wien, das ihm
den das Wienerische dominiert. Die Hero ist eine
Reich und Grenze, Lebensinhalt, Bestimmung und Liebe
ältere Schwester des Schnitzlerschen süßen Mädels, und
bedeutet.
Anatol hat ebenso große Angst vor der Tat, wie schon
Dr. Ludwig Bauer.
Rustan und Rudolf bei Grillparzer sich in Traum und
Magie flüchteten. Nur hat Grillparzer Goethe und Schil¬
Gleine Rundichen
ler erlebt, Schnitzler aber Maupassant und Dostojewski.
Weniger eklektisch als etwa Hauptmann und seiner
Grenzen sich selbstkritisch bewußt, hat er in sich bloß auf¬
genommen, was er auch verarbeiten konnte. Als An¬
gehöriger einer Stadt und eines Reiches, dessen Existenz
und Größespiel Zufall schien, das in seiner Vielfältigkeit
auch keinen großen sozialen Kampf kannte, war Schnitz¬
ler vom Schicksal dazu bestimmt, in einem engen Gebiete
zu bleiben; aber er hat es in allen seinen Tiefen erkannt
und eine Leichtigkeit dabei gewonnen, die spielerisch
über Abgründen zu gaukeln weiß.
Das Beziehungsvolle und Geistreiche des Zufalls,
der wohl mehr ist, als wir alle wissen, hat vielleicht noch
miemand vorher so voll erfühlt; eine Studie wie sein
„Puppenspieler“ ist mit einem so zarten Griffel hinge¬
hhaucht, daß der Kenner danach stets wieder mit Freude
greifen wird. Neben ihm steht die lange Reihe seiner
Schöpfungen, nicht alle vom gleichen Wert, einige wohl
mehr Abstraktionen und im Ersonnenen haftend, aber
alle vornehm, alle so, daß sie auf unserem Erdball nur
just der Doktor Arthur Schnitzler in Wien schreiben!
konnte, keiner vor ihm und keiner nach ihm. Er wurde
viel nachgeahmt, ist viel bewundert, und Wien, min¬
destens jenes Wien, das der Schreiber dieser Betrach¬
tungen noch kannte, hat niemals aufgehört, in Schnitzler
seinen repräsentativen Dichter zu sehen. Das gibt ihm
eine ganz einzigartige Stellung; denn kein anderer von
dden Lebenden, wobei Höhenmessungen ganz unterlassen
sein sollen, hatte eben dies Repräsentative, das bei
Schnitzler ergibt, wie eine große Stadt mit ihrem be¬
stimmten Kulturkreise sich durch ein volles Menschen¬
alter hindurch künstlerisch mit gerade diesem einen be¬
stimmten Poeten sich vollkommen deckt. Hauptmann ist
weniger Deutschland, d'Annunzio weniger Italien,
France weniger Frankreich als Schnitzler Oesterreich
war. Ist er es noch imemer? Darüber steht jemandem,
der es in seinen schweren Wandlungen nicht mehr erlebt
chat, kein Urteil zu. Hier wollte nur einer, der ein Vier¬
teljahrhundert neben dem reinen und noblen Dichter
weilen durfte, ihm danken und ihn grüßen. Die Erinne¬
rung zieht in sein stilles und seines Heim in der Stern¬
wartestraße, in seinen kleinen Garten und zu den vielen;
Schränken, wo er in Schubladen sich selbst und seine Ein¬