VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 51

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zum Lebendigen.
zur Verjügung gestellten Aushänge¬
scher, Verlag, Berlin, erscheinenden
tzler“ von Richard Specht.
tbelei“ wird ein Walzer gespielt;
urgtheaters hat Schnitzler diesen
nd er war sehr hübsch. Wenn
als die latente Melodie seines
die hört man in „Freiwild“
Musik, so wie das „Märchen“
Liebelei“ war mehr Gestaltung,
haraktervoller Meinungskampf.
der die Meinung unabsichtlich
kommenden Werken ist dieser
s firmus da. Schon im „Ver¬
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Bentwvoglio, dürfte Tenor singen, es sind Baritonseelen¬
Es gibt keine eitlen Bravouren, keine Koloraturarien, kein¬
Negligé des Geistes, immer erlesenste Toilette. Daher
kommt auch das gute Gefühl, das einen auch in Schnitzlers
schwächeren Arbeiten (wie in „Fink und Fliederbusch“) nie
verläßt: immer in der besten geistigen Gesellschaft zu sein.
Etwas, was ich in der heutigen Literatur vielleicht nur noch
bei Thomas Mann wiederfinde.
Er ist sehr bald über das Thesen= und Tendenzstück
hinweggekommen. Im „Märchen“, im „Freiwild“ stecht er
noch ganz drin (so hübsch es zu sehen ist, wie seine Gabe der
Menschengestaltung stärker ist als der Zwang zum Problem
und wie sie ihm oft das Konzept verdirbt, weil die Selbst¬
herrlichkeit der geschaffenen Figur sich die Marionettendrähte
des bloß Gedanklichen nicht mehr gefallen läßt und ihr eigen¬
williges Leben oft gar nicht mehr zu der gewollten Exemplifi¬
kation stimmt). Im „Vermächtnis“ klingt es noch leise an.
Dann aber wird er ganz frei. Dann gestaltet er nicht mehr
vom Problem, sondern von seinen spezifischen Menschen¬
exemplaren aus. Er ist ja bald dahintergekommen, daß die
Thesen, für die er sich dramatisch erhitzte, eigentlich für ihm
ja gar nicht vorhanden waren; kein Wunder, daß dann sein
Plaidoyer nicht elementar wirken konnte. Gerade darin —
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nicht daß er das „Märchen von den Gefallenen“ oder den
Unsinn des Duells „überwunden“ hatte, sondern daß all
dies in seiner geistigen Welt und in der eigenen Mentalität
gar nicht existiert — liegt eben ein widerspruchsvoller Reiz
dieser Stücke, denen ja sonst etwas ganz schnitzlerfremd
Doktrinäres anhaftet.
Eine Zwischenstufe sind jene Werke, in denen zwar
keine These aufgestellt wird. aber Menschen von vornherein
in Beziehungen gebracht werden, bei denen er sich fragt: was
geschieht, wenn
Das ergibt immerhin, bei größter
Delikatesse der Charakteristik und des Psychologischen, doch
etwas Konstruktives. („Zwischenspiel“ ist so.) Erst vom
„Einsamen Weg“ an, wo Menschen, Schicksale, Zusammen¬
hänge das Primäre der Konzeption sind und der Ablauf des
Geschehens nur die Folge der seelischen Voraussetzungen ist
erst von da an dringt der Menschengestalter, der schon in
der „Liebelei“ seine Schöpferkraft gezeigt hat, in Geistig¬
keiten und Erkenntnisse vor — weiter als die meisten Dra¬
matiker seiner Zeit und ohne dabei jemals abstrakt zu
werden: die Fülle seiner Gestalten ist ebenso erstaunlich wie
ihre Kraft der Gegenwart, ihre atmende Lebendigkeit. Sie
sind so „wirklich“, daß wissenschaftliche Forschung es wagen
konnte, sie zum Objekt der Seelenanalyse zu nehmen, als
wären sie reale Wesen.
Daher kommt es ja auch, daß sich die Psychoanalytiker
und die Moralprediger seines Werkes bemächtigen wollten.
Beide irren. Seine Welt und seine Anschauung ist nicht so
eng, als es die einen, seine Sittlichkeit viel ferner aller
Libertinage, aber auch aller verknöcherter Engherzigkeit, als
die anderen meinen.
In seinen reifen Werken sind die Menschen das
Primäre; ihnen horcht er ihr Problem ab und stellt es
dar. In seinen Anfängen ist es umgekehrt: das Problem
ist der Ausgangspunkt, die Gestalten werden dazu erfunden,
die Schachaufgabe an sich ist ihm wesentlicher, als von
welchen Figuren sie gelöst wird. Dieses Fortschreiten vom
Abstrakten zum Lebendigen ist wunderschön, und wenn man
ihm von dieser Einstellung aus zusieht, kann man die
Gegner noch weniger begreifen, die ihm die äußerliche
Sphäre, die stofflichen Anlässe seiner Dichtungen zum Vor¬
wurf machen und die „großen Zeitfragen“ bei ihm vermissen.
Gewiß gibt es Zeiten, und es ist unser Fluch, daß wir gerade
heute in solchen Zeiten leben, in denen die wirtschaftliche
und die politische Lage Interessen in den Vordergrund
schiebt, durch die die wahren Wichtigkeiten des Daseins ver¬
dunkelt werden; aber man wird zugeben, daß alle Fragen
der Nationalökonomie, der Steuern, der Reparation, der
Valuta, der Industrie, so wichtig sie für das Weiterbestehen
der staatlichen Gemeinschaft sind und so schmerzhaft wir sie
am eigenen Leibe spüren, doch als „ewige Fragen“ hinter
den wirklich ewigen zurückstehen, die in der Dichtung
lebendig werden. Es ist immer das Zeichen verworrener und
gewaltsamer Jahre, wenn ihr Inhalt nicht zu Kunst zu
werden, keinen dichterischen Niederschlag zu finden vermag.
Der Hunger ist kein dramatisches Problem und kaum ein
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novellistisches; wo ein Beutel Geld oder sonst ein äußer¬
licher Zufall Wende schafft, hat der Poet nichts zu sagen.
Kaum der Krieg ist es: Shakespeare und Tolstoi, die ihn
behandelt haben, sprechen eher für diese Meinung als da¬
gegen, wenn man betrachtet, was in Wirklichkeit bei ihnen
zur Gestalt wird. Aber Liebe, Sehnsucht, Glück, Sterben,
die menschlichen Beziehungen von Anbeginn, die Freiheit des
Willens, die Pflicht der Verantwortung — das bleiben bis
auf weiteres über alles Soziale hinaus die wahren Wichtig¬
keiten der Menschheit. Zudem: nicht was der Dichter nicht
gestaltet hat, sondern das, was er gestaltet hat, ist ent¬
scheidend, wobei die Sphäre, das Milieu sekundär wird,
wenn er nur das Leben spüren läßt und Ausblicke ins
Geistige öffnet. Die Frage ist einzig eine nach der Lebens¬
kraft, nicht nach der Universalität des Bildes. Dessen Name
bei Schnitzler sein könnte: österreichischer Totentanz.