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box 39/3
th Birthday
1 4 MAI132
Schnitzlers Weg zum Lebendigen.
Aus den vom Verlag freundlichst zur Verfügung gestellten Aushänge¬
bogen eines demnächst bei S. Fischer, Verlag, Berlin, erscheinenden
Buches „Arthur Schnitzler“ von Richard Specht.
Im ersten, Akt der „Liebelei“ wird ein Walzer gespielt;
für die Aufführung des Burgtheaters hat Schnitzler diesen
Walzer selbst komponiert, und er war sehr hübsch. Wenn
auch lange nicht so schön als die latente Melodie seines
Werkes. Von dieser Melodie hört man in „Freiwild“
nichts; es hat keine innere Musik, so wie das „Märchen“
noch keine hat. In der „Liebelei“ war mehr Gestaltung,
hier mehr Dialektik und charaktervoller Meinungskampf.
Ich bin für Gestaltung, aus der die Meinung unabsichtlich
hervorspringt. In Schnitzlers kommenden Werken ist dieser
Kontrapunkt zu einem Cantus firmus da. Schon im „Ver¬
—
mächtnis“ spürt man jene Melodie wieder; ganz leise, aber
unverkennbar. Sie wird dann immer vernehmlicher. Sa
wie des Dichters eigenes Wesen immer deutlicher wird.
Aber vieles von diesem Wesen zeigt sich schon in diesen
Werken seiner früheren Zeit. Vor allem dies: er stehr
immer auf der Wacht der Selbstbeobachtung, nicht nur der
der anderen. Er ist niemals elementar, ungestüm, impulsiv;
immer kontrolliert, bewußt, geistig und feelisch beherrscht.
Ob das ein Mangel an Kraft und Unschuld ist, die Furcht,
sich an ein maßloses Gefühl zu verlieren oder nur die Schen
vor jedem Pathos, die Empfindlichkeit gegen alles Laute
und gegen alle großen Worte, die Dezenz des kultivierten
Menschen, mag unentschieden bleiben. Die Evidenz und die
Blutwärme seiner Gestalten sprechen dagegen; ihr Wesen
dafür: auch sie sind fast alle solipsistisch eingestellt, sind
immer distanziert, gehalten, oft gleichsam von einem lust¬
teeren Raum umgeben. Nicht nur sein Dialog, sondern seine
Menschen und die ganze Atmosphäre seiner Werke haben
in Mangel an robuster Trivialität, an melodramatischem
1
. In Schnitzlers Wesen ist nichts Konzertantes. Er
acht Kammermusik. Er selbst ist so, daß es schwer ist, vor
# in Phrasen zu reden und volltönende Banalitäten los¬
ulassen. Er verwehrt es auch seinen Gestalten. Man kann
es sich kaum vorstellen, daß eine Schnitzler=Figur sich in
irgendeiner Situation — und wäre es die erschreckendste
jemals die Haare raufen könnte. In seinen schönsten
Werken flutet es oft in starkem und echtem Gefühl. Aber
es gibt keine Explosionen. Würden sie in Musik gesetzt¬
kaum einer ihrer Helden, am ehesten noch der junge
Medardus, aber schon weder Filippo Loschi noch der Herzog
Bentivoglio, dürfte Tenor singen; es sind Baritonseelen.
Es gibt keine eitlen Bravouren, keine Koloraturarien, kein
Negligé des Geistes, immer erlesenste Toilette. Daher
kommt auch das gute Gefühl, das einen auch in Schnitzlers
schwächeren Arbeiten (wie in „Finu und Fliederbusch“) nie
verläßt: immer in der besten geistigen Gesellschaft zu sein.
Etwas, was ich in der heutigen Literatur vielleicht nur noch
bei Thomas Mann wiederfinde.
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Er ist sehr bald über das Thesen= und Tendenzstück
hinweggekommen. Im „Märchen“, im „Freiwild“ steckt er
noch ganz drin (so hübsch es zu sehen ist, wie seine Gabe der
Menschengestaltung stärker ist als der Zwang zum Problem
und wie sie ihm oft das Konzept verdirbt, weil die Selbst¬
herrlichkeit der geschaffenen Figur sich die Marionettendrähte
des bloß Gedanklichen nicht mehr gefallen läßt und ihr eigen¬
williges Leben oft gar nicht mehr zu der gewollten Exemplisi¬
kation stimmt). Im „Vermächtnis“ klingt es noch leise an
Dann aber wird er ganz frei. Dann gestaltet er nicht mehn
vom Problem, sondern von seinen spezifischen Menschen
exemplaren aus. Er ist ja bald dahintergekommen, daß die
Thesen, für die er sich dramatisch erhitzte, eigentlich für ihn
ja gar nicht vorhanden waren; kein Wunder, daß dann sein
entar wirken konnte.
Gerade darin —
Platdoyer nicht glen.
nicht daß er das „Märchen von den Gefallenen“ oder den
novellistisches; wo ein ###
Unsinn des Duells „überwunden“ hatte, sondern daß all
licher Zufall Wende schaff
dies in seiner geistigen Welt und in der eigenen Mentalität
Kaum der Krieg ist es;
gar nicht existiert — liegt eben ein widerspruchsvoller Reiz
behandelt haben, sprechen
dieser Stücke, denen ja sonst etwas ganz schnitzlerfremd
gegen, wenn man betracht
Doktrinäres anhaftet.
zur Gestalt wird. Aber
Eine Zwischenstufe sind jene Werke, in denen zwar
die menschlichen Beziehung
keine These aufgestellt wird, aber Menschen von vornherein
Willens, die Pflicht der #
in Beziehungen gebracht werden, bei denen er sich fragt: was
auf weiteres über alles
geschieht, wenn
keiten der Meuschheit. Z
Das ergibt immerhin, bei größter
Delikatesse der Charakteristik und des Psychologischen, doch
gestaltet hat, sondern das,
etwas Konstruktives. („Zwischenspiel“ ist so.) Erst vom
scheidend, wobei die Sph
„Einsamen Weg“ an, wo Menschen, Schicksale, Zusammen¬
wenn er nur das Leben
hänge das Primäre der Konzeption sind und der Ablauf des
Geistige öffnet. Die Frag
Geschehens nur die Folge der seelischen Voraussetzungen ist
kraft, nicht nach der Univ
erst von da an dringt der Menschengestalter, der schon in
bei Schnitzler sein könnte
der „Liebelei“ seine Schöpferkraft gezeigt hat, in Geistig¬
keiten und Erkenntnisse vor — weiter als die meisten Dra¬
matiker seiner Zeit und ohne dabei jemals abstrakt zu
werden: die Fülle seiner Gestalten ist ebenso erstaunlich wie
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Schnitzlers Weg zum Lebendigen.
Aus den vom Verlag freundlichst zur Verfügung gestellten Aushänge¬
bogen eines demnächst bei S. Fischer, Verlag, Berlin, erscheinenden
Buches „Arthur Schnitzler“ von Richard Specht.
Im ersten, Akt der „Liebelei“ wird ein Walzer gespielt;
für die Aufführung des Burgtheaters hat Schnitzler diesen
Walzer selbst komponiert, und er war sehr hübsch. Wenn
auch lange nicht so schön als die latente Melodie seines
Werkes. Von dieser Melodie hört man in „Freiwild“
nichts; es hat keine innere Musik, so wie das „Märchen“
noch keine hat. In der „Liebelei“ war mehr Gestaltung,
hier mehr Dialektik und charaktervoller Meinungskampf.
Ich bin für Gestaltung, aus der die Meinung unabsichtlich
hervorspringt. In Schnitzlers kommenden Werken ist dieser
Kontrapunkt zu einem Cantus firmus da. Schon im „Ver¬
—
mächtnis“ spürt man jene Melodie wieder; ganz leise, aber
unverkennbar. Sie wird dann immer vernehmlicher. Sa
wie des Dichters eigenes Wesen immer deutlicher wird.
Aber vieles von diesem Wesen zeigt sich schon in diesen
Werken seiner früheren Zeit. Vor allem dies: er stehr
immer auf der Wacht der Selbstbeobachtung, nicht nur der
der anderen. Er ist niemals elementar, ungestüm, impulsiv;
immer kontrolliert, bewußt, geistig und feelisch beherrscht.
Ob das ein Mangel an Kraft und Unschuld ist, die Furcht,
sich an ein maßloses Gefühl zu verlieren oder nur die Schen
vor jedem Pathos, die Empfindlichkeit gegen alles Laute
und gegen alle großen Worte, die Dezenz des kultivierten
Menschen, mag unentschieden bleiben. Die Evidenz und die
Blutwärme seiner Gestalten sprechen dagegen; ihr Wesen
dafür: auch sie sind fast alle solipsistisch eingestellt, sind
immer distanziert, gehalten, oft gleichsam von einem lust¬
teeren Raum umgeben. Nicht nur sein Dialog, sondern seine
Menschen und die ganze Atmosphäre seiner Werke haben
in Mangel an robuster Trivialität, an melodramatischem
1
. In Schnitzlers Wesen ist nichts Konzertantes. Er
acht Kammermusik. Er selbst ist so, daß es schwer ist, vor
# in Phrasen zu reden und volltönende Banalitäten los¬
ulassen. Er verwehrt es auch seinen Gestalten. Man kann
es sich kaum vorstellen, daß eine Schnitzler=Figur sich in
irgendeiner Situation — und wäre es die erschreckendste
jemals die Haare raufen könnte. In seinen schönsten
Werken flutet es oft in starkem und echtem Gefühl. Aber
es gibt keine Explosionen. Würden sie in Musik gesetzt¬
kaum einer ihrer Helden, am ehesten noch der junge
Medardus, aber schon weder Filippo Loschi noch der Herzog
Bentivoglio, dürfte Tenor singen; es sind Baritonseelen.
Es gibt keine eitlen Bravouren, keine Koloraturarien, kein
Negligé des Geistes, immer erlesenste Toilette. Daher
kommt auch das gute Gefühl, das einen auch in Schnitzlers
schwächeren Arbeiten (wie in „Finu und Fliederbusch“) nie
verläßt: immer in der besten geistigen Gesellschaft zu sein.
Etwas, was ich in der heutigen Literatur vielleicht nur noch
bei Thomas Mann wiederfinde.
155
Er ist sehr bald über das Thesen= und Tendenzstück
hinweggekommen. Im „Märchen“, im „Freiwild“ steckt er
noch ganz drin (so hübsch es zu sehen ist, wie seine Gabe der
Menschengestaltung stärker ist als der Zwang zum Problem
und wie sie ihm oft das Konzept verdirbt, weil die Selbst¬
herrlichkeit der geschaffenen Figur sich die Marionettendrähte
des bloß Gedanklichen nicht mehr gefallen läßt und ihr eigen¬
williges Leben oft gar nicht mehr zu der gewollten Exemplisi¬
kation stimmt). Im „Vermächtnis“ klingt es noch leise an
Dann aber wird er ganz frei. Dann gestaltet er nicht mehn
vom Problem, sondern von seinen spezifischen Menschen
exemplaren aus. Er ist ja bald dahintergekommen, daß die
Thesen, für die er sich dramatisch erhitzte, eigentlich für ihn
ja gar nicht vorhanden waren; kein Wunder, daß dann sein
entar wirken konnte.
Gerade darin —
Platdoyer nicht glen.
nicht daß er das „Märchen von den Gefallenen“ oder den
novellistisches; wo ein ###
Unsinn des Duells „überwunden“ hatte, sondern daß all
licher Zufall Wende schaff
dies in seiner geistigen Welt und in der eigenen Mentalität
Kaum der Krieg ist es;
gar nicht existiert — liegt eben ein widerspruchsvoller Reiz
behandelt haben, sprechen
dieser Stücke, denen ja sonst etwas ganz schnitzlerfremd
gegen, wenn man betracht
Doktrinäres anhaftet.
zur Gestalt wird. Aber
Eine Zwischenstufe sind jene Werke, in denen zwar
die menschlichen Beziehung
keine These aufgestellt wird, aber Menschen von vornherein
Willens, die Pflicht der #
in Beziehungen gebracht werden, bei denen er sich fragt: was
auf weiteres über alles
geschieht, wenn
keiten der Meuschheit. Z
Das ergibt immerhin, bei größter
Delikatesse der Charakteristik und des Psychologischen, doch
gestaltet hat, sondern das,
etwas Konstruktives. („Zwischenspiel“ ist so.) Erst vom
scheidend, wobei die Sph
„Einsamen Weg“ an, wo Menschen, Schicksale, Zusammen¬
wenn er nur das Leben
hänge das Primäre der Konzeption sind und der Ablauf des
Geistige öffnet. Die Frag
Geschehens nur die Folge der seelischen Voraussetzungen ist
kraft, nicht nach der Univ
erst von da an dringt der Menschengestalter, der schon in
bei Schnitzler sein könnte
der „Liebelei“ seine Schöpferkraft gezeigt hat, in Geistig¬
keiten und Erkenntnisse vor — weiter als die meisten Dra¬
matiker seiner Zeit und ohne dabei jemals abstrakt zu
werden: die Fülle seiner Gestalten ist ebenso erstaunlich wie