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Dichter selbst weiß nur allzuwohl, daß darunter der Tod lauert, immer
bereit, mit seinen Fangarmen die leichtfertig buhlenden, gedankenlosem
Treiben hingegebenen Eintagsgeschöpfe in die Tiefe hinabzuzlehen.
Er läßt sie in Anmut leben und sterben; kein wilder Schrei der Leiden¬
schaft könt von ihren Lippen, ohne kraftvolle Gegenwehr sinken sie
dahin. Unbewußt liegt die Melancholie solchen Endes schon über ihren
jungen Tagen, über dem Liebesgetändel Anatols, dem Erstling, dem
der 16 jährige Hugo von Hofmannsthal den Vorspruch gab, „frühgereift
und zart und traurig".
Aber hier und da klingen auch bei Schnitzler Töne einer Heiter¬
keit ohne Harm, und nirgends fröhlicher als dort, wo er sich die Leute
vom Melier, die Federhelden aufs Korn nimmt, in dem übermütigen
Einakter „Literatur“. Wer schärfer blickt, erkennt auch hinter dem
Spott über die eitlen, zigeunerhaften Helden des Café Größenwahn die
dunkle Folie der Selbstironie, des Zweifels am Recht und Wert alles
Schriftstellerns, den Widerwillen gegen das Treiben auf dem Jahr¬
markt der Worte. In dem Wortkampf der beiden einstigen Genossen,
des Literaturweibchens und ihres eifersüchtigen, depossedierten Be¬
herrschers, wirft er ihr, als sie in der alten Art geistreich zu blißen
beginnt, das böse Wort an den Kopf: „Cest de la littérature!“ Was
so viel sagt wie: Geschwätz, Phrasendrescherei, selbstgefällige Freude
am eigenen Witz.
Den deutschen Leser befremdet, solcher Gebrauch des Wortes
Literatur" Ihm bedeutet es zumeist noch den Inbegriff alles Schrift¬
tums, insbesondere des dichterischen; er vernimmt darin die Stimme
der menschlichen Seele, aufgefangen durch unzählige Verkünder aller
ihrer heimlichen Laute und die Zusammenfassung der großen Schöpfungen
des Menschengeistes. Wie konnte es kommen, daß dieses Wort so
hoch emporstieg und zugleich so entwürdigt wurde? Die Antwort darauf
mag einer kurzen Betrachtung wert sein; Geschichte der Sprache ist
ja nichts anderes als Geschichte des in ihr verkörperten Wollens,
Fühlens und Denkens. Und vielleicht fällt so auch ein Licht auf den
Dichter, der das Wort in ungewöhnlichem Sinne angewendet hat.
Ohne weiteres führt der Stamm zurück auf das lateinische „litera“,
das den einzelnen geschriebenen Buchstaben bedeutet, wie heute noch
die Lettern' des Druckers. In der Mehrzahl bezeichnet es das
Schriftstück, den Brief (siehe das französische „lettre') und alles mit
Hilfe der Schrift festgehaltene geistige Erlebnis, also jeden Aufsatz,
alle Denkmäler des Schriftkums und schließlich die gesamte Wissen¬
schaft und Bildung. Die Ableitung „literatura umfaßt frühzeitig die
gleichen Begriffe, entstanden über die Zwischenstufe „literatus und
geht schon im 14. Jahrhundert ins Französtsche über. Bis ldie Deutschen
von dort das Wort entlehnten, verging lange Zeit. Noch 1727 führte
Sperander in seiner „à la Mode - Sprach der Deutschen“ das Wort
Literatur mit auf, zum Zeichen, daß es ihm als neu und geziert galt;
erst in der folgenden Generation gewann es Bürgerrecht, Lessing und
seine Zeitgenossen gebrauchten es, um die Gesamtheit des Schrifttums,
gelehrtes und dichterisches, zu bezeichnen, letzteres bis ins 19. Jahr¬
hundert als „schöne Literakur (Verdeutschung von 'belles leitres?).
Zum höchsten Gipfel erhob Goethe den Begriff in seiner Zusammen¬
setzung „Weltliteratur' Er meinte damit nicht etwa die Gesamtbeit
der in den verschiedenen Sprachen abgefaßten Schriften, sondern etwas
Neues, erst Werdendes. Er meint nicht, „die Nationen sollen überein
denken, sondern sie sollen nur einander gewahr werden und, wenn sie
sich wechselseltig nicht lieben mögen, sich einander wenigstens dulden
lernen". Den Deutschen ist in dieser neuen Bewegung eine ehrenvolle
Rolle vorbehalten. „Wer die deutsche Sprache versteht und findie#t,
befindet sich auf dem Markte, wo alle Nationen ihre Waren onbieten¬
er spielt den Dolmekscher, indem er sich selbst bereichert.“ Als letzte
erreichbare Bildungsepoche erscheint Goethe die universelle, in der alle
fremden Literaturen sich mit der einheimischen ins gleiche setzen.
verwirklicht sich für ihn in der Weltliteratur das Ideal eines Einheits¬
lebens der Menschheit überhaupt, wie Simmel gut gesagt hat. Freilich
warnt er auch: „Jett, da sich eine Weltlikeratur einleitet, hat genau
besehen der Deutsche am meisten zu verlieren; er wird wohl kun, dieser
Warnung nachzudenken.
In der gleichen Zeit, als so daß Work „Literakur“ durch Goelhe
seinen weitesten und höchsten Sinn gewann, um das Jahr 1820, begann
schon das Herabsinken. Der „Literat', ursprünglich einfach der Mann,
der auf Grund seiner Bildung und Begabung auf irgendeinem Gediet
des Schrifttums wirkte, wurde um diese Zeit schon zu dem kleinen
Schriftsteller, dem Handwerker der Feder, und allmählich kam die
Bezeichnung „Literat' immer tiefer herunter.
So weit ist es mit dem abgeleiteten Work „Literakur“ noch nicht
gekommen, wenigstens nicht in Deutschland. Aber auch hier steht es
heute nicht mehr auf seiner einstigen stolzen Höhe, wo es mit Wissen¬
schaft und Dichtung gleichen Rang hatte. Heute bedeutet uns Dichtung
mehr als Literatur, die wahllos alles Lesbare umschließt (im Gegensatz
zu dem neuerdings abgespalteten und eigenartig gesteigerten Begriff
des „Literarischen?).
Die Ursache dafür erkennen wir in dem Wandel, der sich in unserer
Auffassung von dem Wesen und der Funktion der Kunst, insbesondere
der Dichtkunst, in jüngster Zeit vollzogen hat. Jene Epoche, der es auf
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gewissenhafte Wiedergabe der Wirklichkeit, auf psychologische Zer¬
gliederung und Beschreibung des Innenlebens ankam, erscheint der
Jugend von heute als Zeit der Verderbnis, kunstschädlicher Irrtümer.
Jetzt soll wieder die Unmittelbarkeit leidenschaftlichen Fühlens, der wilde
Schrei der Lust und der Verzweiflung aus den Versen aufstöhnen.
Den neuesten Dichtern klingt bereits das Wort „Literatur“ etwa
so wie in der französischen Redensart, die Schnitzler seinem Schrift¬
stellerpaar in den Mund legt. Auch in ihm, dem klugen, warmen
Künstler, mag ein solcher Unterton schon damals, vor 20 Jahren, mit¬
geschwungen haben, als er das kleine Lustspiel Literakur“ schrieb.
Aber er braucht wahrlich nicht zu fürchten, seine Werke würden mit
dem weiteren Absinken des Werkes, den der Titel bei seiner Enk¬
stehung bedeutete, in den Orkus der Verachtung und des Vergessens
mitgerissen werden. Als ehrliche Zeitbilder, als liebevoll durchgeformte
Erzeugnisse eines ansehnlichen Talenks, um ihrer wirksam erfundenen
Gestalten und Vorgänge willen werden sie fortleben. Wir hoffen und
wünschen, es möge dem heute Sechzigjährigen beschieden sein, uns noch
so manches Bild aus jenem Wien zu geben, in dem sein Wesen wuczelt,
und das vielleicht nicht besser, aber sicher anmutiger war als das Wien
der Gegenwart. Und wir wissen: nur böser Wille oder Parkeigehässig¬
kett kann Schnißlers Schaffen „Literakur“ schelten.
a4 o0x: 1000
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Dichter selbst weiß nur allzuwohl, daß darunter der Tod lauert, immer
bereit, mit seinen Fangarmen die leichtfertig buhlenden, gedankenlosem
Treiben hingegebenen Eintagsgeschöpfe in die Tiefe hinabzuzlehen.
Er läßt sie in Anmut leben und sterben; kein wilder Schrei der Leiden¬
schaft könt von ihren Lippen, ohne kraftvolle Gegenwehr sinken sie
dahin. Unbewußt liegt die Melancholie solchen Endes schon über ihren
jungen Tagen, über dem Liebesgetändel Anatols, dem Erstling, dem
der 16 jährige Hugo von Hofmannsthal den Vorspruch gab, „frühgereift
und zart und traurig".
Aber hier und da klingen auch bei Schnitzler Töne einer Heiter¬
keit ohne Harm, und nirgends fröhlicher als dort, wo er sich die Leute
vom Melier, die Federhelden aufs Korn nimmt, in dem übermütigen
Einakter „Literatur“. Wer schärfer blickt, erkennt auch hinter dem
Spott über die eitlen, zigeunerhaften Helden des Café Größenwahn die
dunkle Folie der Selbstironie, des Zweifels am Recht und Wert alles
Schriftstellerns, den Widerwillen gegen das Treiben auf dem Jahr¬
markt der Worte. In dem Wortkampf der beiden einstigen Genossen,
des Literaturweibchens und ihres eifersüchtigen, depossedierten Be¬
herrschers, wirft er ihr, als sie in der alten Art geistreich zu blißen
beginnt, das böse Wort an den Kopf: „Cest de la littérature!“ Was
so viel sagt wie: Geschwätz, Phrasendrescherei, selbstgefällige Freude
am eigenen Witz.
Den deutschen Leser befremdet, solcher Gebrauch des Wortes
Literatur" Ihm bedeutet es zumeist noch den Inbegriff alles Schrift¬
tums, insbesondere des dichterischen; er vernimmt darin die Stimme
der menschlichen Seele, aufgefangen durch unzählige Verkünder aller
ihrer heimlichen Laute und die Zusammenfassung der großen Schöpfungen
des Menschengeistes. Wie konnte es kommen, daß dieses Wort so
hoch emporstieg und zugleich so entwürdigt wurde? Die Antwort darauf
mag einer kurzen Betrachtung wert sein; Geschichte der Sprache ist
ja nichts anderes als Geschichte des in ihr verkörperten Wollens,
Fühlens und Denkens. Und vielleicht fällt so auch ein Licht auf den
Dichter, der das Wort in ungewöhnlichem Sinne angewendet hat.
Ohne weiteres führt der Stamm zurück auf das lateinische „litera“,
das den einzelnen geschriebenen Buchstaben bedeutet, wie heute noch
die Lettern' des Druckers. In der Mehrzahl bezeichnet es das
Schriftstück, den Brief (siehe das französische „lettre') und alles mit
Hilfe der Schrift festgehaltene geistige Erlebnis, also jeden Aufsatz,
alle Denkmäler des Schriftkums und schließlich die gesamte Wissen¬
schaft und Bildung. Die Ableitung „literatura umfaßt frühzeitig die
gleichen Begriffe, entstanden über die Zwischenstufe „literatus und
geht schon im 14. Jahrhundert ins Französtsche über. Bis ldie Deutschen
von dort das Wort entlehnten, verging lange Zeit. Noch 1727 führte
Sperander in seiner „à la Mode - Sprach der Deutschen“ das Wort
Literatur mit auf, zum Zeichen, daß es ihm als neu und geziert galt;
erst in der folgenden Generation gewann es Bürgerrecht, Lessing und
seine Zeitgenossen gebrauchten es, um die Gesamtheit des Schrifttums,
gelehrtes und dichterisches, zu bezeichnen, letzteres bis ins 19. Jahr¬
hundert als „schöne Literakur (Verdeutschung von 'belles leitres?).
Zum höchsten Gipfel erhob Goethe den Begriff in seiner Zusammen¬
setzung „Weltliteratur' Er meinte damit nicht etwa die Gesamtbeit
der in den verschiedenen Sprachen abgefaßten Schriften, sondern etwas
Neues, erst Werdendes. Er meint nicht, „die Nationen sollen überein
denken, sondern sie sollen nur einander gewahr werden und, wenn sie
sich wechselseltig nicht lieben mögen, sich einander wenigstens dulden
lernen". Den Deutschen ist in dieser neuen Bewegung eine ehrenvolle
Rolle vorbehalten. „Wer die deutsche Sprache versteht und findie#t,
befindet sich auf dem Markte, wo alle Nationen ihre Waren onbieten¬
er spielt den Dolmekscher, indem er sich selbst bereichert.“ Als letzte
erreichbare Bildungsepoche erscheint Goethe die universelle, in der alle
fremden Literaturen sich mit der einheimischen ins gleiche setzen.
verwirklicht sich für ihn in der Weltliteratur das Ideal eines Einheits¬
lebens der Menschheit überhaupt, wie Simmel gut gesagt hat. Freilich
warnt er auch: „Jett, da sich eine Weltlikeratur einleitet, hat genau
besehen der Deutsche am meisten zu verlieren; er wird wohl kun, dieser
Warnung nachzudenken.
In der gleichen Zeit, als so daß Work „Literakur“ durch Goelhe
seinen weitesten und höchsten Sinn gewann, um das Jahr 1820, begann
schon das Herabsinken. Der „Literat', ursprünglich einfach der Mann,
der auf Grund seiner Bildung und Begabung auf irgendeinem Gediet
des Schrifttums wirkte, wurde um diese Zeit schon zu dem kleinen
Schriftsteller, dem Handwerker der Feder, und allmählich kam die
Bezeichnung „Literat' immer tiefer herunter.
So weit ist es mit dem abgeleiteten Work „Literakur“ noch nicht
gekommen, wenigstens nicht in Deutschland. Aber auch hier steht es
heute nicht mehr auf seiner einstigen stolzen Höhe, wo es mit Wissen¬
schaft und Dichtung gleichen Rang hatte. Heute bedeutet uns Dichtung
mehr als Literatur, die wahllos alles Lesbare umschließt (im Gegensatz
zu dem neuerdings abgespalteten und eigenartig gesteigerten Begriff
des „Literarischen?).
Die Ursache dafür erkennen wir in dem Wandel, der sich in unserer
Auffassung von dem Wesen und der Funktion der Kunst, insbesondere
der Dichtkunst, in jüngster Zeit vollzogen hat. Jene Epoche, der es auf
1
gewissenhafte Wiedergabe der Wirklichkeit, auf psychologische Zer¬
gliederung und Beschreibung des Innenlebens ankam, erscheint der
Jugend von heute als Zeit der Verderbnis, kunstschädlicher Irrtümer.
Jetzt soll wieder die Unmittelbarkeit leidenschaftlichen Fühlens, der wilde
Schrei der Lust und der Verzweiflung aus den Versen aufstöhnen.
Den neuesten Dichtern klingt bereits das Wort „Literatur“ etwa
so wie in der französischen Redensart, die Schnitzler seinem Schrift¬
stellerpaar in den Mund legt. Auch in ihm, dem klugen, warmen
Künstler, mag ein solcher Unterton schon damals, vor 20 Jahren, mit¬
geschwungen haben, als er das kleine Lustspiel Literakur“ schrieb.
Aber er braucht wahrlich nicht zu fürchten, seine Werke würden mit
dem weiteren Absinken des Werkes, den der Titel bei seiner Enk¬
stehung bedeutete, in den Orkus der Verachtung und des Vergessens
mitgerissen werden. Als ehrliche Zeitbilder, als liebevoll durchgeformte
Erzeugnisse eines ansehnlichen Talenks, um ihrer wirksam erfundenen
Gestalten und Vorgänge willen werden sie fortleben. Wir hoffen und
wünschen, es möge dem heute Sechzigjährigen beschieden sein, uns noch
so manches Bild aus jenem Wien zu geben, in dem sein Wesen wuczelt,
und das vielleicht nicht besser, aber sicher anmutiger war als das Wien
der Gegenwart. Und wir wissen: nur böser Wille oder Parkeigehässig¬
kett kann Schnißlers Schaffen „Literakur“ schelten.
a4 o0x: 1000