VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 62

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AUOEF SCHUSTENMANN
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Morgen=Ausgabe
Hanndbirschie Kntat
Zeitung für Nordwestdentschland
Gegründet 1849,
Täglich zwei Ausgaben
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Arkur Schnitzler.
Zuseinem 60. Geökklstag am 15. Mai.
Von
Jan Brodersen.
In den Veiser mit denen vor dreißig Jahren der junge
Hofmannsthäl ddem Erstling des älteren Freundes und Lands¬
manns des Heleit gab, heißt es:
Also spielen wir Theater,
Spielen unsre eignen Stücke,
Frühgereift und zart und traurig,
Die Komödie unsrer Seele,
Unfres Fühlens Heut und Gestern,
Böser Dinge hübsche Formel,
Glatte Worte, bunte Bilder,
Halbes, heimliches Empfinden,
Agonien, Episoden
Das ist die Anatol=Welt die Welt des sanften, eleganten,
etwas müden und recht ironischen Melancholikers aus gutem,
alten Wiener Hause, der schon in der Unterterz zutiefst überzeugt
war von der determinierten Sinnlosigkeit des doppelgesichtigen
Daseins und der nun, da andere, in härterer Luft, Manner ge¬
worden sind, entschlossen und resigniert, das Ihre zu tun, an
seinem armen, aber gepflegten Teil immer wieder in ruhelöser
Lüsternheit nach Erleben und Geheimnis ausflattert; aber ob
er auch von Blume zu Blume, von Erregung zu Erregung, von
Weib zu Weib durchs Gelände schweift, in spielendem Fluge die
offenen Wiesen und fremde, taxusumhegte Gärten abstreift, er
kehrt immer derselbe zurück: ein Gaukler, ein Speler, ein
Tänzer im Chaos.
Das Leben ist ein Spiel, ja, aber ein Spiel vor Hinter¬
gründen. Die leichte Hand rührt an schwere Dinge, sehr ernste und
vielleicht schreckliche; an Abgründen wird getanzt und auf einem
Ballfest tun sich Abgründe auf. Nur: dem Ernst wird im letzten
Augenblick der Stachel abgebrochen; er paßt nicht zu der zarten,
leicht verletzlichen Grazie des Geistes, zu der lässigen Sicherheit
der Haltung, die in dieser Welt das Wichtigste, das einzig Wich¬
tige sind. Und außerdem: es ist gefährlich, das Spiel ernst zu
man kann daran sterben.
nehmen, —
Die abwärts geneigte Schönheit, der verschleferte Glanz
einer um ihn herum sterbenden Kultur, die am Wert ihrer
Güter verzweifelt, ohne von ihnen doch lassen zu können, ist in
Artur Schnitzlers Werk mit feiner und sicherer Hand gestaltet,
mit dem Ernst des Künstlers, der weiß, daß Spielende den
letzten Dingen viel näher sind als die aufrechten, ernsthaften,
ehrpußlichen Berufsmenschen, die in der Zeitlichkeit sich erschöp¬
fen, während die Kinder beim Haschen und Verstecken unversehens
an der Götter Knie streifen. Aber dieser Künstler ist Analytiker,
ist Ergründer und Zergliederer, ein skeptischer Topograph der
Seele, — er ist kein Schöpfer. Ob er, der Arzt, die Krankheit
der Zeit als unheilbar erkannt hat. ob ihm nur die Magie der
es kommt auf eins hinaus: sein Werk zeigt
Heilgewalt fehlt, —
nur auf, was ist, führt nicht zu dem, was werden soll. (Die
Stücke, die eine These verfechten, eine Tendenz bekunden, sind
seine schwächsten.) Zwar ist, vor allem in späteren erzählenden
Schriften, das Streben, von der Erkenntnis des Menschen zur
Erkenntnis des Weltgeschehens vorzudringen, unverkennbar,
aber es führt nur in neue, tiefere Hoffnungslosigkeit, in ein
weites Land, in dem es weder Wege noch Weiser gibt.
„Wir spielen alle; wer es weiß, ist klug“, das ist — trotz
aller Sehnsucht — die letzte Weißheit dieses klugen, feinen
Dichters, und deshalb wird sein Werk eines Tages nur noch
literarischen und dokumentarischen Wert haben; es ist in seinen
erlesenen Masken und Wundern nur das kleine, zeitliche Schicksat,
nicht das große, zeitlose gespiegelt. Und es sind Zeichen vor¬
handen, daß an diesem Sechzigjährgen das Geschick seiner besten,
tiefsten, dichterisch schönsten und menschlich, trotz aller Schärfe des
Blicks, geliebtesten Gestalt sich zu vollenden beginne, jenes
Stephan von Sala, der nach einem langen, gemessen=lustvollen
Tanz im Chaos den einsamen Weg erkennt, den er gewandert ist,
und der an dessen Ende sagt: „Und wenn uns ein Zug von Bac¬
chanten begleitet — den Weg hinab gehen wir alle allein ...
wir, die selbst niemandem gehört haben.“
Und solche Einsicht, gepaart mit solcher Haltung, erregen in
uns unversehens doch etwas, das der Liebe sehr ahnlich sieht,
in uns, die wir freilich vor der Notwendigkeit stehen, aus dem
alten Chaos zu neuen Ufern und neuen Tagen den Weg
finden, die aber dennoch mit füßen und schmerzlichen Exz#e¬
#####gen verhaftet sind in dem, was einmal war.