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Die Schuitzler-Feier des Burgtheaters.
* „Der junge Medardus.“)
Das Burgtheater hat den sechzigsten Geburtstag Artur
Schnitzlers,, dessen Wesen und Jugend mit der „Burg“
untrennbar verkünden ist, durch die Wiederaufführung der großen
dramatischen Historie „Der junge Medardus“ gefeiert,
eine Wahl, der man in jedem Betracht mit Wärme beipflichten
muß. Man hatte sich gerade für dieses figurenreichste, beinahe die
gesamte Künstlerschaft aufbietende, überdies, wie man vernimmt,
durch gewisse technische Vorkehrungen in den gegenwärtigen Zeit¬
läuften sehr kostspielig gewordene Werk entschieden, weil es nach
einer Aeußerung des Direktors Schnitzlers repräsentabelstes und
am meisten österreichisches Werk bedeutet. Wie gerade dieses
Werk seinen Dichter, kennzeichnet die „Medardus“=Aufführung
den Ernst der Arbeit des Burgtheaters. Man darf es ohne
Ruhmredigkeit für die eigene Stadt und unsere kunstlerische
Kultur, die sich jetzt erst den Fremden zu offenbaren beginnt,
behaupten; ein Gesamtbild, wie es die fünfzehn Szenen oder
kleinen Akte dieses so lange für unaufführbar gehaltenen und
dabei höchst publikumswirksamen Dramas darbieten, ist
nirgendwo sonst denkbar. Ungezählte Rollen und Röllchen, wie
man sich aus der bekannten feststehenden und auch diesmal von
dem Regisseur Paulsen beibehaltenen „Medardus“=Inszenierung
erinnert. Und dabei jede Episode nuanciert, nicht bloß von den
Meisterinnen Frau Bleibtreu (Franziska Klähr), Frau
Medelsky (Agathe), diesmal auch Frau Wohlgemuth
(Helene), Frau Wilbrandt (Frau Winkler) und
Meistern Paulsen (Eschenbacher), Arndt (Arzt), Siebert
(Desolteux) und Korl Zeska (Renault), zu denen man in der
Episode des alten Herrn auch Straßni rechnen muß, während
Höbling (Rapp) zu den jungen, stürmischen Adepten zählt.
Einige wesentliche Rollen waren neu besetzt. Sie haben den Glanz
der „Medardus“=Aufführung nicht erhöht, aber gewiß überall
gewahrt.
Herr Schott gab die Titelrolle, die doch für das Stück
nicht die eigentlich entscheidende ist. Man könnte sich den jungen
Medardus, diese Mischung eines Schwärmers, Helden und Narren,
anders gespielt denken, als ihn vormals Herr Gerasch und
jetzt Herr Schott gibt. Interessanter und eindringlicher. Skep¬
tischer, wie ihn der Dichter sah. Als einen verwirrten Brause¬
kopf, der bald vom Schicksal, bald von den Sinnen, bald von
jedem großen Wort der anderen genarrt und verführt wird
darüber an sich und in sich verzweifelt und zuletzt, mit einem
Ruck gegen sich selbst, mannhaft stirbt, weil er fühlt, daß er
doch nicht mannhaft in leben vermöchte. Herr Schott unterließ
diese (nicht leichte) Färbung und Nuancierung. Er gab den
Medardus naiver, aus seiner starken Begabung: als einen ver¬
wertenen, hitzigeleidenschaftlichen Jnkgling, dem das Schön¬
Rednerische aus der Jugend strömt. Georg Reimers gab den
alten, blinden Herzog von Valois, noch eine der würdigsten
Figuren Hartmanns. Sie war auch bei Reimers voll Adel, von
feierlicher, ein bißchen starrer Größe, wie ein steinern=ornamen¬
tales französisches Wappenschild. Von der feinsten Wärme und
in vornehm zurückhaltender Lebensechtheit war Herr Rom¬
berg als lahmer Etzelt, der Bewunderer des Medardus und sein
enttäuschter Freund, Herr Aslan als Marquis von Valois,
edel im Ton und von seigneurialer Würde, der bleichen
Erscheinung, Herr Maierhofer (Wachshuber) traf das
saloppe Wienertum vergnüglich, Herr Schmöle die ärztlich¬
höfische Delikatesse des Assalagny, Herr Pranger das Aristo¬
kratische des François. Frau Kallina war als Herzogin
ergreifend in ihrem Ausbruch am Grab des Sohnes, lebenswahr:
und wie immer bestes Theater. Frau Albach=Retty als
Zofe Nerina brachte mit ihrer heiteren Natürlichkeit in den Ernst
der Historie die Lustspiellaune, Frau Seidler war eine
mädchenhaft zarte Anna, Frau Pünkösdy erwies mit den
wenigen scharfen Zügen ihrer Elisabeth, was man an dieser
Das Haus
Choristin besitzt und noch mehr besitzen könnte....
war von einem festlich gestimmten, erwartungsvollen Publikum
gefüllt. Dieses Werk ist nicht auf lauten, demonstrativen
Beifall oder Aktschlüsse gestellt. Aber dennoch brach dieser nach
dem Bild der Verhaftung Eschenbachers und seiner Justifizierung
von allen Rängen stürmisch los. Man rief den Dichter, dem
offensichtlich persönliche Huldigungen zugedacht waren, oft und
vergebens. Zuletzt richtete sich der Applaus gegen eine Loge, in
der man irrtümlicherweise Schnitzler, der sich bekanntlich auf“
einer Vortragsreise in Holland befindet, vermutete.
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Die Schuitzler-Feier des Burgtheaters.
* „Der junge Medardus.“)
Das Burgtheater hat den sechzigsten Geburtstag Artur
Schnitzlers,, dessen Wesen und Jugend mit der „Burg“
untrennbar verkünden ist, durch die Wiederaufführung der großen
dramatischen Historie „Der junge Medardus“ gefeiert,
eine Wahl, der man in jedem Betracht mit Wärme beipflichten
muß. Man hatte sich gerade für dieses figurenreichste, beinahe die
gesamte Künstlerschaft aufbietende, überdies, wie man vernimmt,
durch gewisse technische Vorkehrungen in den gegenwärtigen Zeit¬
läuften sehr kostspielig gewordene Werk entschieden, weil es nach
einer Aeußerung des Direktors Schnitzlers repräsentabelstes und
am meisten österreichisches Werk bedeutet. Wie gerade dieses
Werk seinen Dichter, kennzeichnet die „Medardus“=Aufführung
den Ernst der Arbeit des Burgtheaters. Man darf es ohne
Ruhmredigkeit für die eigene Stadt und unsere kunstlerische
Kultur, die sich jetzt erst den Fremden zu offenbaren beginnt,
behaupten; ein Gesamtbild, wie es die fünfzehn Szenen oder
kleinen Akte dieses so lange für unaufführbar gehaltenen und
dabei höchst publikumswirksamen Dramas darbieten, ist
nirgendwo sonst denkbar. Ungezählte Rollen und Röllchen, wie
man sich aus der bekannten feststehenden und auch diesmal von
dem Regisseur Paulsen beibehaltenen „Medardus“=Inszenierung
erinnert. Und dabei jede Episode nuanciert, nicht bloß von den
Meisterinnen Frau Bleibtreu (Franziska Klähr), Frau
Medelsky (Agathe), diesmal auch Frau Wohlgemuth
(Helene), Frau Wilbrandt (Frau Winkler) und
Meistern Paulsen (Eschenbacher), Arndt (Arzt), Siebert
(Desolteux) und Korl Zeska (Renault), zu denen man in der
Episode des alten Herrn auch Straßni rechnen muß, während
Höbling (Rapp) zu den jungen, stürmischen Adepten zählt.
Einige wesentliche Rollen waren neu besetzt. Sie haben den Glanz
der „Medardus“=Aufführung nicht erhöht, aber gewiß überall
gewahrt.
Herr Schott gab die Titelrolle, die doch für das Stück
nicht die eigentlich entscheidende ist. Man könnte sich den jungen
Medardus, diese Mischung eines Schwärmers, Helden und Narren,
anders gespielt denken, als ihn vormals Herr Gerasch und
jetzt Herr Schott gibt. Interessanter und eindringlicher. Skep¬
tischer, wie ihn der Dichter sah. Als einen verwirrten Brause¬
kopf, der bald vom Schicksal, bald von den Sinnen, bald von
jedem großen Wort der anderen genarrt und verführt wird
darüber an sich und in sich verzweifelt und zuletzt, mit einem
Ruck gegen sich selbst, mannhaft stirbt, weil er fühlt, daß er
doch nicht mannhaft in leben vermöchte. Herr Schott unterließ
diese (nicht leichte) Färbung und Nuancierung. Er gab den
Medardus naiver, aus seiner starken Begabung: als einen ver¬
wertenen, hitzigeleidenschaftlichen Jnkgling, dem das Schön¬
Rednerische aus der Jugend strömt. Georg Reimers gab den
alten, blinden Herzog von Valois, noch eine der würdigsten
Figuren Hartmanns. Sie war auch bei Reimers voll Adel, von
feierlicher, ein bißchen starrer Größe, wie ein steinern=ornamen¬
tales französisches Wappenschild. Von der feinsten Wärme und
in vornehm zurückhaltender Lebensechtheit war Herr Rom¬
berg als lahmer Etzelt, der Bewunderer des Medardus und sein
enttäuschter Freund, Herr Aslan als Marquis von Valois,
edel im Ton und von seigneurialer Würde, der bleichen
Erscheinung, Herr Maierhofer (Wachshuber) traf das
saloppe Wienertum vergnüglich, Herr Schmöle die ärztlich¬
höfische Delikatesse des Assalagny, Herr Pranger das Aristo¬
kratische des François. Frau Kallina war als Herzogin
ergreifend in ihrem Ausbruch am Grab des Sohnes, lebenswahr:
und wie immer bestes Theater. Frau Albach=Retty als
Zofe Nerina brachte mit ihrer heiteren Natürlichkeit in den Ernst
der Historie die Lustspiellaune, Frau Seidler war eine
mädchenhaft zarte Anna, Frau Pünkösdy erwies mit den
wenigen scharfen Zügen ihrer Elisabeth, was man an dieser
Das Haus
Choristin besitzt und noch mehr besitzen könnte....
war von einem festlich gestimmten, erwartungsvollen Publikum
gefüllt. Dieses Werk ist nicht auf lauten, demonstrativen
Beifall oder Aktschlüsse gestellt. Aber dennoch brach dieser nach
dem Bild der Verhaftung Eschenbachers und seiner Justifizierung
von allen Rängen stürmisch los. Man rief den Dichter, dem
offensichtlich persönliche Huldigungen zugedacht waren, oft und
vergebens. Zuletzt richtete sich der Applaus gegen eine Loge, in
der man irrtümlicherweise Schnitzler, der sich bekanntlich auf“
einer Vortragsreise in Holland befindet, vermutete.