VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 125

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Urssüner Fachrichten.
16 MATI
SSR
W.
jeigenes Studierzimmer, der Schauplatz seiner wirk¬
Artur Schnitzler
Eine Quelle seiner dichterischen Kraft: da
lichen, seiner eigentlichen Existenz. Dort las er alle
Die Kraft seiner reifen und meisterlichen
(Zum sechzigsten Geburtstag am 15. Maisdie Bücher, die ihn weit weg von der Medizin führten,
dort war er mit Freunden beisammen, von denen keiner
Aufspüren, Verstehen und Enthüllen der
etwas mit Medizin zu tun hatte. Dort war ein Patient,
Von Felix Salten
hänge. Ein berauschtes, lyrisch gewordene
niesle
wenn jemals einer anklopfte, ein wenig willkommener,] über das Wunder der Liebe; über die Süß
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störender Besuch. Und dort schrieb er seine ersten Dich¬
mut, Hingabe und beherrschende Gewalt d
Wenn die Nachmittagsschatten über den Wipfeln
tungen, den „Anatol“ und „Liebelei“. Damals hat ihn
über alle unfaßbaren Möglichkeiten des Gl
liegen, fängt dieser alte Garten zu atmen an. Bei¬
die Wiener Gesellschaft, hat ihn die Wiener Presse als
gleich ein schmerzdurchwühltes Staunen, da
nahe hörbar ist es, wie er atmet, wie vom Rasen der
einen jungen Arzt angesehen, der sich seine offenbar
zwei Menschen, die so nahe beisammen gewe
bittersüße, kraftvolle Geruch der vielen kleinen, wilden
glänzende Karriere dadurch verbarb, daß er die Lanne
los weit voneinander abgleiten können; da
Blumen, der Gräser und der lehendigen Erde empor¬
hatte, auf dem Gebiete der Dichtkunst zu dilettieren.
werden vermag, was jemals eins war. Ein
steigt, wie der Dust von den Zweigen und aus den Ge¬
Nur seine Freunde erkannten ihn gleich damals als
tes Staunen darüber, daß die Fülle des
büschen weht. Ganz oben in den höchsten Aesten schla¬
einen Dichter, der bloß durch den Zwang, Medizin zu
ewiger Leere endigt, daß dieses strahlende#
gen und pfeisen die Amseln. Manchmal saust in wun¬
treiben, in seiner Kunst gehindert und beengt werde.
kurze Einleitung ewiger Finsternis voran
derbaren Schwunglinien der Flug einer Schwalbe durch
Aus diesen Anfängen jedoch empfing sein Wesen die
dieser tiefwehende, jauchzende Atem der Leb
den Raum; in überraschenden, beinahe beglückenden
entscheidenden Farben. Die Menschen, die er darstellt,
uns zu jeder Minute ausgeblasen und erst
Linien, die sich wie ein lautloser Jubel in die Luft
sind bürgerliche Menschen voll Kultur, voll geistiger
kann. Dieses doppelte Staunen, aus dem de
schreiben. Irgendwo in der Ferne spielt ein Leier¬
Feinheit, seelisch differenziert und problematisch. Ge¬
einst vor sich selbst, vor sein Schicksal und v#
kasten, irgendwo weit weg läuten die Glocken, irgendwo
stalten aus der Tiefe des Volkes hat er nur wenige
trat, ist in all den Jahren nicht geminde
klingt der gleichmäßige, heitere Hufschlag trabender
geschaffen. Sie tauchen da und dort einmal an der
schwichtigt worden, und der Sechzigjährige
Pferde und leises Wagenrollen; und von draußen her,
Peripherie seiner Werke auf und wirken immer, wie
sich selbst, dem Schicksal und der Welt gege
von den ferner ob liegenden Wiesen, die zum Kahlen¬
aus der Ferne gesehen. In allen seinen Werken ist der
Staunen, wie nur je; in lächelnder Anmut
berg sich hinanbreiten, tönt das Rufen spielender Kin¬
Schimmer eines festlich erleuchteten, eines inbrünstig
in lyrisch=nachdenklicher Melancholie des H#
der. In der bewegten Stille einer solchen Stunde wen¬
genossenen Lebens, und in allen seinen Werken ist die
Entzücken und trunkener Daseinslust dem 2#
den sich, hier in diesem Garten, meine Gedanken und
dunkel schattende, niemals vergessene Nähe des Todes.
gegeben, voll sanfter Weisheit das Leben
Grinnerungen zu Artur Schnitzler, der nun als Sech¬
Denn seine Jugend, hingebracht in den glezenden
lächelnd. In dieser Bilderreihe immer wied
zigjähriger gefeiert wird. Mehr als die Hälfte dieses
Salons der Reichen und in den düsteren Spitälern der
und immer wieder schwindender Liebe, in
Lebens habe ich nahe mitgelebt, vierunddreißig von
Armen, hat immer beides vor Augen gehabt: blühendes
ständig über allem Erblühen schwebenden D
diesen sechzig Jahren. Und alle diese Werke sah ich
Leben und tragisches Sterben.
Welkens, in diesem Umkreis einer Welt, de
entstehen, von Anfang an. Nun fällt die Abenddämme¬
III.
ist von der Wonne des Seins und vom
rung ringsum im Garten nieder, dieses sanfte Dunkel¬
Todes, liegt freilich eine Dagewesenheit, die
werden, dieses Hinschwinden und Einschlummern eines
Von der Liebe sprechen alle seine Bücher, alle diese
und beinahe so alt, wie das Leben selbst. Ar
Frühlingstages, darin so viel Trost mit so viel auf¬
Erzählungen, diese kleinen Dialoge und großen
wühlender Bangigkeit sich mengt. Sechzig Jahre. Das
ler aber hat mit diesen Dingen, die jedem g
Theaterstücke. Von der Liebe und vom Tode. Auch
ist: sehr viel Vergangenheit, ist Abenddämmerung und
nur gespielt. Sein eigenes Spiel gespielt.
wenn sie sich anders geben, auch wenn sie manchen sinn¬
sanftes Dunkelwerden. Aber es ist auch immer noch
diesen Hintergrund, vor den wir alle treten,
reich unsinnigen und erstaunlichen Verknüpfungen des
eine starke Gegenwart, und es gibt immer noch ein
gezeichnet. Sein eigenes. Und aus diesem.
Schicksals nachspüren, auch wenn Streit, Aufruhr,
der jeder formenden Hand willig ist, hat e
neues Morgen.
Tapferkeit und Not des Daseins sie erfüllen und durch¬
AE 1
stalten geschaffen. In seinem Ebenbild.
II.
schüttern möchten, ist ihr Inhalt die Liebe und der Tod.
Welt von Menschen lebt nun mit uns, führ
Eine merkwürdige Kraft und Andacht des Erlebens
Er war ein verwöhnter junger Maun, damals, in
Gedächtnis, in unsrer Kenntnis von der 2
läßt diesen Dichter die blutdurchströmte Schwere der
seinen Anfängen, elegant, vornehm, von Luxus um¬
unsern Erkenntnissen eine lebendige Existe
kleinsten Geschehnisse empfinden, die unauslöschliche
geben, in Sorglosigkeit aufgewachsen. Der Sohn eines
höhter Wirklichkeit. Anatol, der verwöhn
Realität der geringsten Tatsache, die tiefe Folge des
großen, vielgerühmten Arztes und Professors, stand
liker des Genusses, die einfache, süße Christ
flüchtigsten Wertes. Zugleich aber hebt ihn ein geisti¬
Artur Schnitzler mitten im Treiben der glänzenden
„Liebelei“, der edel komplizierte Herr v. Sa
ger Schwung und Auftrieb bis zu einer Höhe, in
Wiener Gesellschaft, war er in den Spuren seines
„Einsamen Weg“, die Herzogin aus den
welcher der atmosphärische Druck von unsern Schultern
Vaters ohne besondere Freude einen vorbestimmten
Kakadu“, der junge Kavalier aus „Literatu
weicht, in der die Wucht des Wirklichen schwerlos und
Studienweg gegangen und nach dem strengen väter¬
tragen die Züge Schnitzlerschen Geistes, all
lichen Willen Arzt geworden. Sein Leben ging damals
schwebend wird, und in der alle Wichtigkeiten sich auf¬
ihrer Gestalt vom Griff und Druck seiner
hin zwischen dem trübseligen Ernst des Spitals und der
lösen. Seine Melancholie und seine nachdenklichen
Hand die Spur. Alle reden so, daß man
Heiterkeit des Salons, zwischen den Krankenbetten der
Traurigkeiten haften am Erdboben: Liebelei. In
ersten drei Worten schon wissen muß: S
Klinik, wo die Menschen leiden und sterben, und den
seiner Heiterkeit aber ist das bessere Jenseits der
Schnitzler. Alle sind in Erlebnisse, in K
hübschen, kleinen, verborgenen Zimmern, in denen ein
Phantasie, das Lächeln des Ueberwundenhabens:
Schicksale, in eine Atmosphäre gestellt, die
hübscher, vornehmer, junger Mann eine reizende, kleine
Geliebte umarmt. Inmitten dieser gegensätzlichen Cassian und Leisenbobg. Die Höhe, das Auflösen der
zesen und Eigenart spiegelt,

Schnitzlers W## und
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Schauplätze aber lag verschlossen und behütet sein Wichtigkeiten.
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