VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 135

box 39/3
goth Birthday
Seite 3
18. Mai 1922
—.—
[Neue Freie Presse.
Donnerstag
In seiner grüblerischen und halb schwermütigen, halb
Auflage.“ Seine schöpferische Gestaltungskraft wird von
ironischen Art beschäftigt sich Schnitzler schon seit mehreren
gung vor dem
einem taghellen Verstande beherrscht, der zu seiner Vorliebe
Jahren mit dem Problem des alternden Mannes, und aus
ußt.
für das Zwielicht, für die Dämmerseelen seltsam kontrastiert.
dieser Stimmung heraus hat er die Gestalten Doktor
Ueber die Frage, ob er nicht für einen Dichter beinahe zu viel
zdeutschen.
Gräslers und Casanovas geschaffen. Meines Wissens ver¬
Verstand, eine allzu analytische Veranlagung habe, darüber
Wien, 18. Mai.
wahrt er in seiner Schreibtischlade die Skizzen zu einer
macht er sich keine Sorgen: „Man kann nie genug Verstand
e nachmittag die Re¬
Novelle, in der das Seelenleben des Mannes um die Sechzig
neue Kredit¬
haben..
noch deutlicher enthüllt ist. Er weiß genau, wie alt und wie
Es ist üblich, in seiner ärztlichen Vergangenheit die
120 Milliarden Kronen,
jung man mit sechzig Jahren ist, und ihm gegenüber wäre
wichtigste Komponente seines Wesens zu erblicken. Daß er
rungsvorlage wird im
es eine nichtssagende Redensart, von der unverwelklichen
aber auch ein glänzender Jurist ist, wissen die Theater¬
ie Großdeutschen
Jugend seines Wesens zu sprechen.
direktoren und Verleger, mit denen er Verträge abschließt,
egenüber der Regierung
Jedes Lebensalter hat seinen eigenen Wert und seinen
zu bestätigen. Und wer so viel über den Tod nachgegrübelt
fingen und gegen das
eigenen Reiz. Auf der Höhe des Lebens, alle Probleme deiner
hat wie er, der vermag den philosophischen, den meta¬
n. Sie werden jedoch
Kunst sonverän beherrschend, von den Besten unter deinen
physischen Trieb nicht zu verleugnen. So kann ihn eigentlich
, der Regierung nur
Zeitgenossen bewundert und geliebt, gehst du, Artur
lie zur Bestreitung der
jede Fakultät für sich reklamieren...
Schnitzler, deinen Weg steil aufwärts zu immer neuen Fern¬
digung der Krise, das
Unter seinen Dichtungen sind ihm einige sozialkritische
blicken und immer neuen Gipfeln. Daß du ihn in unge¬
anzlers Schober aus
Werke, die viel Widerspruch gefunden haben, besonders ans
brochener Kraft noch viele Jahre schreiten mögest, wünschen
he dieses Betrages, auf
Herz gewachsen, so „Leutnant Gustl“, „Reigen“, „Professor
dir alle, denen du kostbarster Kulturbesitz bist. Denn
werden soll, steht noch
Bernhardi“.
Dir drängt sich Dichtertraum an Dichtertraum.
ie Großdeutschen einen
Es ist schwer, die Gesinnung eines so komplizierten und
So sag' doch, wie bewältigst du die Last
lliarden an Stelle
in allen Bezirken des Geistes heimischen Mannes auf eine
Der reichen Früchte, die das Auge kaum,
schlagen. Dieser Ab¬
eindeutige Formel zu bringen. Schnitzlers Ritterlichkeit läßt
Das schönheitstrunkene, im Blick umfaßt?
angenommen werden.
ihn immer die Partei der Unterdrückten ergreifen. So sehr
So wächst aus reichem Land ein üppiger Baum,
er als Dichter objektiv ist und jeder „Tendenz“ aus dem
Dem schwergesegnet prangen Ast an Ast,
Wege geht, so ist ihm seine Kunst dennoch oft genug zur
Der Wipfel aber ragt hochaufgerichtet
r Schnitzler.
Wie eines Künstlers Haupt, das träumt und dichtet.
Tribüne geworden und er hat immer gegen offenkundiges
Unrecht mutig Partei ergriffen. Jede Art von Chauvinismus
Ob dir dein Schaffen nicht auch Leid beschert
Wien, 18. Mai.
Und ob nicht manchmal leise Müdigkeit
widerspricht seinem innersten Geschmack. Als während des
einigen Wochen nach
Dem Ueberdrange der Gestalten wehrt?
Krieges irgendein literarischer Industrieritter ein Interview
Weges heimwärts be¬
Wer weiß! ... Doch triumphiert die Seligkeit.
mit ihm erfand und ihm Worte des Hasses gegen große fran¬
Und macht dich Tausenden beneidenswert,
seinem bevorstehenden
zösische und russische Dichter zuschrieb, die ihm lieb und teuer
Wenn aus der Schöpferstunde tiefem Leid
fröstelt es mich ein
sind, da hat er dagegen aufs schärfste protestiert, obwohl eine
Ein Werk zu freudigem Leben ringt sich los —
ieses Datum denke. Die
solche Auflehnung gegen den Chauvinismus damals gewiß
Gleichwie das Kind aus seiner Mutter Schoß.
Geburtstage sind mir
nicht ungefährlich war. Sein Protest machte dann, von
greifbar, als ob's gestern
Romain Rolland übersetzt, die Runde durch die gesamte inter¬
Die Umgestaltung des Wiener Westbahnhofes.
2 vor mir, die herrlichen
nationale Presse und wurde als Kundgebung des repräsen¬
enden Jahre waren mit
Die von der „Neuen Freien Presse“ bereits in der Öster¬
tativen österreichischen Dichters überall mit der größten
nummer angekündigte Umgestaltung des Westbahnhofes nähert
sind sie so schnell an
Achtung und Sympathie aufgenommen. Bei späteren An¬
sich ihrer Vollendung und soll mit Beginn des diesjährigen.
de ich auf einmal, noch
lässen hat Schnitzler mit der ganzen Autorität seiner Persön¬
Sommerverkehres bereits ihre Zweckmäßigkeit erweisen. Der
ahre alt sein. ... Was
lichkeit gegen jeden Terror von rechts und links nachdrück¬
Westbahnhof, der infolge der Verkehrsentwicklung der Nach¬
n Jahre für eine lange
lichst Einspruch erhoben.
kriegszeit zu einem Hauptbahnhof vorgerückt ist, soll und muß
in die Volksschule und
mit jenen Einrichtungen ausgestaltet werden, die seiner heutigen
Er ist ein wahrer Künstler des Gesprächs, dem er aus
ktte ich Liebesabenteuer.
Bedeutung entsprechen. Der Bundesminister für Verkehrswesen
den entlegensten Gebieten des Wissens und aus seiner in¬
gleiten die Jahre immer
Dr. Rodler hat, nachdem sich aus finanziellen Gründen die
timen Kenntnis von Menschen und Dingen immer neue
Durchführung der knapp vor dem Kriege entworfenen Ausbau¬
uns vorüber.
Nahrung zuströmen läßt. Müßige Brillantfeuerwerke des
projekte als unmöglich erwiesen hatte, im Rahmen des Be¬
so schnell an mir vorüber,
Geistes liebt er nicht, und er empfindet sie in seinen frühen
stehenden solche Neuerungen durchführen lassen, die eine klag¬
wveil sie bis an den Rand
Jugendwerken als störend. Starken Worten und Urteilen
lose Abwicklung des Verkehres erwarten lassen. Indem der
kann man lernen, was
geht er keineswegs vorsichtig aus dem Wege, und wie er zu
Großteil der Lokalzüge auf der Westbahnstrecke auf
gen Konzeption, vielleicht
lieben und zu verehren vermag, so kann er auch hassen
die Stadtbahnlinie abgeleitet wird, bleibt der
mpfangen, bis zur end¬
und verachten. Wenn er lebhaft spricht, so bedauert man oft,
Westbahnhof hauptsächlich für den Fernverkehr
iter Weg, dessen Etappen
den unwiderstehlichen Zauber seiner Rede nicht festhalten zu
reserviert.
Entwürfe seiner Manu¬
Heute vormittag hatten die Vertreter der Presse Gelegen¬
können. Freilich müßte man dazu, wie einmal ein Kritiker
davon überzeugt, wie er
heit, jene Neueinrichtungen kennen zu lernen, die schon am
über den „Anatol“ gesagt hat, eine goldene Feder in
Er diktiert seine Arbeiten
1. Juni eine Verkehrserleichterung schaffen sollen. Bundes¬
Champagner tauchen.
minister Dr. Rodler gab einen kurzen Ueberblick über die
eklapper ihn trotz seiner
Seiner Herzensgüte ist es zuzuschreiben, daß er trotz
zwingenden Gründe, die zu der Umgestaltung nötigten, worauf
oppeltür seines Arbeits¬
seiner ungeheuren Arbeitsleistung immer noch die Zeit
unter der Führung des Staatsbahnpräsidenten Dr. Boeß und
en Lederkissen gepolstert)
findet, jungen Schriftstellern mit Rat und Tat zur Seite
des Vizepräsidenten Ingenieur Saurau die Neuanlagen einer
zu stehen. Dankbar entsinne ich mich eines persönlichen Er¬
Besichtigung unterzogen wurden, bei der die einzelnen Referenten
ine bezaubernde Liebens¬
und Bauleiter die erforderlichen Aufschlüsse gaben.
lebnisses. Als völlig unbekannter, blutjunger Mensch hatte
kückhaltung. Er stellt sich
ich ihm einmal mit der Bitte um sein Urteil ein umfang¬
Ein Rundgang durch das adaptierte Gebäude.
wie er allen Geburtstags¬
reiches Manuskript, eine Wiener Liebesgeschichte, übersandt,
Der Wiener Westbahnhof, der nicht allein den Weltverkehr
gegangen ist, so ist er vor
die „Wilder Mohn“ hieß und noch dazu — ein erschwerender
nach Westen und Osten vermittelt, sondern auch für die Wiener
Ausland entflohen.
insbesondere den Inbegriff der Sommerfrische, einer Urlaubs¬
Umstand! — in Distichen abgefaßt war. Schnitzler ant¬
seinem eigenen Schaffen
reise oder eines Ausfluges in Wald und Gebirge verkörpert, ist
wortete mir auf dieses Attentat in einem ausführlichen
ß er einige Arbeiten über¬
auch derjenige unter den Bahnhöfen Wiens, über dessen Unzu¬
Briefe, und er hat sich die Zeit genommen, mich auf jeden
ich ihm einmal nach dem
länglichkeit die Oeffentlichkeit — zum Teil wohl mit Recht —
holprigen Hexameter, auf jeden hinkenden Pentameter auf¬
s dem bleibenden Bestande
klagte und der deshalb zum Sorgenkind der maßgebenden
merksam zu machen und einige Einzelheiten, die ihm gefallen
Vernehrsbehörden wurde. Dieser Bahnhof, dessen Bau im
verde, lächelte er skeptisch:
hatten, in sachlichen Bemerkungen hervorzuheben.
wir erst bei der zweiten
Müller, v. Romberg (München), den Diskussionen und Vorträge, Eppingers Wort¬
1
1
ukfurt
Frann
B