W
box 39/3
—Birthday
1180
Echo der Zeitungen
1179
das Schaffen dieses maigeborenen wiener Dichters, der
gehen in Puppenspiele über. Irgendein Starter ist viel¬
nun sechzig Jahre alt geworden ist, reif und meisterlich
leicht auch unter den Menschen, der die Drähte zieht, etwa
vollendet, berühmt und geliebt. Und in alsen seinen Werken
ein Casanova (dem gehören dann alle Frauen), und an
grüßt uns die Jugend. In allen seinen Werken duftet der
das Reich des Wunderbaren wird solcherart auch gerührt,
Flieder. Wenn wir ihn jetzt schon historisch empfinden dürfen,
aber nicht etwa wie bei den Romantikern, sondern es wird
dann steht er, als letzter, in jener Reihe wienerischer Ge¬
die Geheimwelt des Nokoko
stalten, die uns am liebsten sind. Von Schubert weht ein
Paul Stefan
(N. Zür. Ztg. 638)
Klang zärtlicher Lieder um ihn her, von Schwinds holder
Phantastik schwingt manche feine Linie an den Konturen
„Jener Zeit, die nun ach! so restlos verbraucht ist,
Schnitzlerscher Mädchen und zu Grillparzers Melancholie
gehört Schnitzler an. Das Menschentum hatte sich damals
ließe sich mancher betternhaft verwandte Zug an ihm finden.
hoffnungslos spezialisiert, und der einzelne Mensch, be¬
Abgeschlossen wie dieser Garten, hegt sein Werk wie dieser
sonders der künstlerische, hatte sich über alle Natur erhoben.
seine eigene, reine, stille, besondere Welt, in der nicht alles
Die Kunst adoptierte diesen Zustand und diese Zeitstimmung
durcheinander stürzen darf wie draußen auf der breiten
durch die Methode des Impressionismus. Es war Zustand
Straße. Dennoch ist die Straße nahe und vernehmlich,
und Zeitstimmung des erhöhten und gewiß auch verfeinerten
dennoch ist es die wiener Luft, die darüber hinstreicht, über
Literatentums, für das Schnitzler der bedeutendste und
diesen Garten wie über Schnitzlers Werk; dennoch hebt
menschlich erschlossenste Zeuge und Gestalter wurde. Der
und dröhnt und atmet rings um beide das Dasein der un¬
Künstler, der Virtuose und jeder zerbrechliche halb beseelte
geheuren Stadt. Irgendwo in der Ferne spielt ein Leier¬
und halb schon entfeelte Mensch wurde stehende Figur
kasten, irgendwo klingt der Hufschlag trabender Fiaker¬
seiner Bühnendichtungen. Nervöse Reizung, Belastung
pferde, irgendwo in der Ferne singen Menschen wienerische
vom Milien und Beruf her, Verirrtheit des Herzens, des
Lieder = man kann in der Einsamkeit dieses Gartens sich's
Gedankens Blässe und die Schwäche des Sentiments vor
nicht einbilden, daß man irgendwo anders sei in der Welt.
dem Leben — dies alles ist in vielen seiner Stücke zu zarten,
Und kann in der Exklusivität Schnitzlers Werkes alles Ge¬
verschleierten Bildern gestaltet und seelenärztlich erklärt,
schehene niemals anderswo denken als in Wien.“
analysiert und . .. belächelt. Schon die Titel deuten auf
Felir Salten
(Dresd. N. Nachr. 112)
derlei: „Der einsame Weg“, „Der Ruf des Lebens“, „Das
weite Land“. Fühlt man nicht schon aus diesen Titeln,
Vgl. auch Raoul Auernheimer (N. Fr. Presse, Wien
wie zwischen den Menschen die Verzweiflung spielt, und
20727); Hans Müller [„Schnitzlers Theater“] (ebenda);
eine Ahnung vom Ende? Der einsame Weg endigte im
Oskar Maurus Fontana (Berl. Börs. Cour. 225 u. a. O.);
Sumpf, der Ruf des Lebens erstickte und das weite Land
Fritz Droop (Mannh. Tagebl. 130); Fechter (Deutsche Allg.
wurde Wüste. Dies ist mehr als eine Spielerei mit Worten.
Ztg., Unt. 223); Rudolf K. Goldschmit (Heidelb. Tagbl. 110);
Denn wenn anders Schnitzler ein Dichter von Wesentlich¬
Ludwig Hirschberg („Schnitzler, der Arzt", N. Fr. Presse, ###
keit ist, so kündigt sich durch ihn Volkes Schicksal und der
Wien 20728).
Ablauf zivilisatorischer Gänge an. Er ahnte Gräber, Ver¬
fall und Notwendigkeit zu neuem Anfang...
hs.
(Münch. N. Nachr. 206)
Noch über Schnitzlers Form. Man ist selten für viele
Zweige der Dichtung legitimiert. Es entspricht das Talent
einem feelischen Hang, der tiefer als alle anderen mensch¬
lichen Eigenschaften sitzt, alles ihm Zukommende: Gewohn¬
heit, Geschmack, Urteile, gleich Vorposten, in den Lebens¬
kampf hinausstellt.
Schnitzler hat eine Mischform: er ist viel mehr Epiker
als Dramatiker. Auch in seinen Dramen. Das kann natür¬
lich nichts gegen sie besagen. Das Epische entspringt einem
gewissen Glauben, der Welt gezollt, das Drama einem
Verantwortungsgefühl, das zwar reizbar ist, aber eine
Möglichkeit in sich haben muß, befriedigt zu werden. Nun.“
hat Schnitzler zwar ein geradezu neurasthenisch reizbares
Verantwortungsgefühl, aber die kulturelle Basis, die er
innehat, läßt „Lösungen“ gar nicht zu. Er ist gezwungen,
dem Leben mehr Glauben zu schenken, als er ihm tatsäch¬
lich schenkt, dadurch ist er plötzlich auf eine stach elige idyllische
Art Epiker. Auch nähert er sich der Komödie, für die
ihm aber, eben als einer sehr dramatischen Form, doch das
Herkommen von irgendeiner letzten Entschiedenheit mangelt.
Man bewundert bei Schnitzler eine große Durchsichtigkeit, die
uns diese Analyse erst ermöglichte. Überhaupt hat der Kritiker
nach Goethe nicht den Begriff eines Werkes, bevor es da ist.
Deshalb möge man alle Kritik vorsichtig einschätzen. Schnitz¬
lers künstlerische Form ist äußerst prägnant, meisterhaft, un¬
rontiniert. Selbst seine pointiertesten Werke haben eine Ge¬
lassenheit, die das Leben über ihre Pointe hinaus bedeutet.“
Karl Lohs.
Prager Pr., Dichtung 20)
„Wie diese Frühlingsabenddämmerung, die jetzt um
mich niedergleitet, sanft ist und doch erschütternd, so ist
sein Werk mild und gelind und dabei anschwellend bis zu
einer wühlenden Tragik. Und wie dieser alte, blühende
Garten hier wienerisch ist, so ist sein Werk wienerisch in all
seinem Wurzeln und Blühen. Das Frühlinghafte, das
Maienhafte, das Lenzliche, das Wiens eigensten und füßesten
Zauber ausmacht, durchdringt auch die Art, durchdringt
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Echo der Zeitungen
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das Schaffen dieses maigeborenen wiener Dichters, der
gehen in Puppenspiele über. Irgendein Starter ist viel¬
nun sechzig Jahre alt geworden ist, reif und meisterlich
leicht auch unter den Menschen, der die Drähte zieht, etwa
vollendet, berühmt und geliebt. Und in alsen seinen Werken
ein Casanova (dem gehören dann alle Frauen), und an
grüßt uns die Jugend. In allen seinen Werken duftet der
das Reich des Wunderbaren wird solcherart auch gerührt,
Flieder. Wenn wir ihn jetzt schon historisch empfinden dürfen,
aber nicht etwa wie bei den Romantikern, sondern es wird
dann steht er, als letzter, in jener Reihe wienerischer Ge¬
die Geheimwelt des Nokoko
stalten, die uns am liebsten sind. Von Schubert weht ein
Paul Stefan
(N. Zür. Ztg. 638)
Klang zärtlicher Lieder um ihn her, von Schwinds holder
Phantastik schwingt manche feine Linie an den Konturen
„Jener Zeit, die nun ach! so restlos verbraucht ist,
Schnitzlerscher Mädchen und zu Grillparzers Melancholie
gehört Schnitzler an. Das Menschentum hatte sich damals
ließe sich mancher betternhaft verwandte Zug an ihm finden.
hoffnungslos spezialisiert, und der einzelne Mensch, be¬
Abgeschlossen wie dieser Garten, hegt sein Werk wie dieser
sonders der künstlerische, hatte sich über alle Natur erhoben.
seine eigene, reine, stille, besondere Welt, in der nicht alles
Die Kunst adoptierte diesen Zustand und diese Zeitstimmung
durcheinander stürzen darf wie draußen auf der breiten
durch die Methode des Impressionismus. Es war Zustand
Straße. Dennoch ist die Straße nahe und vernehmlich,
und Zeitstimmung des erhöhten und gewiß auch verfeinerten
dennoch ist es die wiener Luft, die darüber hinstreicht, über
Literatentums, für das Schnitzler der bedeutendste und
diesen Garten wie über Schnitzlers Werk; dennoch hebt
menschlich erschlossenste Zeuge und Gestalter wurde. Der
und dröhnt und atmet rings um beide das Dasein der un¬
Künstler, der Virtuose und jeder zerbrechliche halb beseelte
geheuren Stadt. Irgendwo in der Ferne spielt ein Leier¬
und halb schon entfeelte Mensch wurde stehende Figur
kasten, irgendwo klingt der Hufschlag trabender Fiaker¬
seiner Bühnendichtungen. Nervöse Reizung, Belastung
pferde, irgendwo in der Ferne singen Menschen wienerische
vom Milien und Beruf her, Verirrtheit des Herzens, des
Lieder = man kann in der Einsamkeit dieses Gartens sich's
Gedankens Blässe und die Schwäche des Sentiments vor
nicht einbilden, daß man irgendwo anders sei in der Welt.
dem Leben — dies alles ist in vielen seiner Stücke zu zarten,
Und kann in der Exklusivität Schnitzlers Werkes alles Ge¬
verschleierten Bildern gestaltet und seelenärztlich erklärt,
schehene niemals anderswo denken als in Wien.“
analysiert und . .. belächelt. Schon die Titel deuten auf
Felir Salten
(Dresd. N. Nachr. 112)
derlei: „Der einsame Weg“, „Der Ruf des Lebens“, „Das
weite Land“. Fühlt man nicht schon aus diesen Titeln,
Vgl. auch Raoul Auernheimer (N. Fr. Presse, Wien
wie zwischen den Menschen die Verzweiflung spielt, und
20727); Hans Müller [„Schnitzlers Theater“] (ebenda);
eine Ahnung vom Ende? Der einsame Weg endigte im
Oskar Maurus Fontana (Berl. Börs. Cour. 225 u. a. O.);
Sumpf, der Ruf des Lebens erstickte und das weite Land
Fritz Droop (Mannh. Tagebl. 130); Fechter (Deutsche Allg.
wurde Wüste. Dies ist mehr als eine Spielerei mit Worten.
Ztg., Unt. 223); Rudolf K. Goldschmit (Heidelb. Tagbl. 110);
Denn wenn anders Schnitzler ein Dichter von Wesentlich¬
Ludwig Hirschberg („Schnitzler, der Arzt", N. Fr. Presse, ###
keit ist, so kündigt sich durch ihn Volkes Schicksal und der
Wien 20728).
Ablauf zivilisatorischer Gänge an. Er ahnte Gräber, Ver¬
fall und Notwendigkeit zu neuem Anfang...
hs.
(Münch. N. Nachr. 206)
Noch über Schnitzlers Form. Man ist selten für viele
Zweige der Dichtung legitimiert. Es entspricht das Talent
einem feelischen Hang, der tiefer als alle anderen mensch¬
lichen Eigenschaften sitzt, alles ihm Zukommende: Gewohn¬
heit, Geschmack, Urteile, gleich Vorposten, in den Lebens¬
kampf hinausstellt.
Schnitzler hat eine Mischform: er ist viel mehr Epiker
als Dramatiker. Auch in seinen Dramen. Das kann natür¬
lich nichts gegen sie besagen. Das Epische entspringt einem
gewissen Glauben, der Welt gezollt, das Drama einem
Verantwortungsgefühl, das zwar reizbar ist, aber eine
Möglichkeit in sich haben muß, befriedigt zu werden. Nun.“
hat Schnitzler zwar ein geradezu neurasthenisch reizbares
Verantwortungsgefühl, aber die kulturelle Basis, die er
innehat, läßt „Lösungen“ gar nicht zu. Er ist gezwungen,
dem Leben mehr Glauben zu schenken, als er ihm tatsäch¬
lich schenkt, dadurch ist er plötzlich auf eine stach elige idyllische
Art Epiker. Auch nähert er sich der Komödie, für die
ihm aber, eben als einer sehr dramatischen Form, doch das
Herkommen von irgendeiner letzten Entschiedenheit mangelt.
Man bewundert bei Schnitzler eine große Durchsichtigkeit, die
uns diese Analyse erst ermöglichte. Überhaupt hat der Kritiker
nach Goethe nicht den Begriff eines Werkes, bevor es da ist.
Deshalb möge man alle Kritik vorsichtig einschätzen. Schnitz¬
lers künstlerische Form ist äußerst prägnant, meisterhaft, un¬
rontiniert. Selbst seine pointiertesten Werke haben eine Ge¬
lassenheit, die das Leben über ihre Pointe hinaus bedeutet.“
Karl Lohs.
Prager Pr., Dichtung 20)
„Wie diese Frühlingsabenddämmerung, die jetzt um
mich niedergleitet, sanft ist und doch erschütternd, so ist
sein Werk mild und gelind und dabei anschwellend bis zu
einer wühlenden Tragik. Und wie dieser alte, blühende
Garten hier wienerisch ist, so ist sein Werk wienerisch in all
seinem Wurzeln und Blühen. Das Frühlinghafte, das
Maienhafte, das Lenzliche, das Wiens eigensten und füßesten
Zauber ausmacht, durchdringt auch die Art, durchdringt