VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 204

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Zu Arthur Schnitelers 6o. Geburtstag hat die
von Ludwig IIirschield fretlich geleitete Wiener
Monatsschrift „Moderne Welt“ ein dem Dichter
gewidmetes Heft erscheinen lassen, das durch seinen
Bilderschmuck sowie durch die zahlreichen gchalt¬
vollen Aufsätee den Rang einer gediegenen Fest¬
schrift und noch in späteren Zeiten dokumen¬
tarischen Werr für sich in Anspruch nehmen darf.
In umfangreicheren Monographien setzen sich Jose)
Körner und Richard Specht mit Schnitzler ausein¬
ander. Körner betrachtet, wie schon der Titel seiner
im Rahmen der Amalthea-Bücherei erschienenen
Studie andentet, „Arthur Schnitzlers Gestalten und
Probleme“, also nur das Kunstwerk mit Ausschluß
des ihm zugrunde liegenden Erlebnisses. Er hat
eine tüchtige und feinsinnige Arbeit geliefert. In
den zahlreichen Journalaufsätzen ist seltener, als
man meinen sollte, die Umwelt, aus der Schnitzler
hervorgegangen ist und die er zeichnet, angedeutet
worden. Sehnitzler ist als Menech und Schriftsteller
ein Vertreter jenes altbürgerlichen Wiener Kultur¬
judentums, das sich etwa durch zwei bis drei Ge¬
nerationen die österreichische Vergangenheit und
Uberlieferungen anzüchtete, mit den Machthabern
des Tages paktierte, dadurch den Anspruch auf
Gegenhabe erworben zu haben glaubte und es nicht
verwinden kann, wenn es doch für nichts anderes 1
genommen wird, als es ist. Niemand hat das tref¬
fander formuliert als der Schnitzler gewiß nahe¬
stehende, aber als Nichtjude eben hier schärfer!
blickende Hermann Bahr. In einer abschlie Benden
Studie über Schnitzler wird auch einmal die Kehr¬
seite seiner Erfolge im Auslande gezeigt werden
müssen. Gewiß hat A. F. Seligmann recht, daß es
Schnitzler selbst im „Reigen“ nicht auf das Stoff¬
liche, sondere auf das Formale angekommen ist,
aber leider Oberwiegt immer und überall die Zahl
derer, die künstlerische Werte nicht erfassen
können, und so haben seine Schilderungen eines
schmalen Ausschnittes der Wiener Gesellschaft,
den man ohne Kenntnis der wahren Verhältnisse
für deren Totalität hielt, Wien und Österreich im
Bewußtsein dersittlichen Weit enendlichen Schndeny
zugefügt.
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Beibl. XIV, 11
3. und 11. Bezirk gefaßt.
Ein jübischer Dichter.
In ihrer Rezension der „Medardus“=Aufführung hat
die „Reichspost“ angekündigt, daß auch die Christlichsozialen
den 60. Geburtstag Schnitzlers mitzufeiern — freilich in ihrer
Art — nicht versäumen dürfen. Schon am nächsten Tag hat
das Blatt sein Wort eingelöst und in seiner Abendausgabe
bildlich dargestellt, wie einige — Schweine dem Dichter mit
der Huldigung nahen: „Wir winden dir den Lorbeerkranz.“
Die Porträtähnlichkeit ist auf beiden Seinn sehr groß und
man muß zugeben, wenn die Stinkbombenwerfer und deren
klerikale Anstifter, auch dem Wesen Schnitzlers nich immer ge¬
recht zu werden verstanden — in der schönen Kunst der Selbst¬
erkenntais haben sie es dafür umso weitergebracht. In einem
Punkte haben die Antisemiten übrigens auch die Persönlichkeit
des Poeten richtig erfaßt. Ihre Behauptung, Schnitzler sei ein
spezifisch jüdischer Literat, wurde von dem Geburtskind selbst
unwiderleglich bestätigt. Der Gefeierte hat seinen Ehrentag
durch eine Millionenspende für wohltätige Zwecke begangen.
Man muß gestehen: diese Art, seine Feste zu feiern, ist spe¬
zifisch jüdisch. Keine Anstrudelungen — Schnitzler hat sich
ihnen durch eine Auslandreis entzogen — gaben dem Tag sein
Gepräge und bei der Festgabe, die auf einem Geburtstagstische
nun einnal nicht fehlen darf, figuriert der Dichter nicht als
Empfänger, sondern als Spender. Das ist jüdisch im edelsten
Sinne. An den Spenden partipizieren solche Organisationen,
mit denen Schnitzler beruflich in Kontakt, wiet: ärztliche,
schriftstellerische und studentische. Was d zieren betrifft,
konstatieren wir mit besonderer Genugtuung, daß die Spende
der jüdischen und nicht der allgemeinen, lies: antisemti¬
schen Mensa zufloß. Wir nehmen dies als ein Verdienst unserer
aufklärenden Tätigkeit in Anspruch und hoffen es noch so weit
zu bringen, daß jüdische Spenden fortab immer nur das richtige
Ziel finden und so groteske Falschadressierungen, wie sie die
amerikan.ischen Judengelder durch Frau Jeritza erfahren
ha#en, in Hinkunft ganz vermieden werden — selbst auf die
Gefahr hin, daß die Antisemiten jüdischen Jubilaren keine
Lorbeerkränze mehr winden.
Hilfsaktion zugunsten der hungernden
Juden in Rußland.
Die Israelitische Allianz zu Wien, 2 Bez., Un¬
tere Donaustraße 33, hat eine Hilfsaktion für die hungernden
Juden eingeleitet und sich mit einem Betrug von 1,500.000 K.
an die Spitze einer Sammlung in Oesterreich und in den
Sukzessionsstaaten gestellt. Es ist eine Sendung ron Lebens¬
mittelpaketen in großem Umfange (jedes 10 Dollar¬
Paket stellt sich jetzt leider auf zirka 100.000 K.) und die Er¬
richtung von Küchen ud Fürsorgewerken in ver¬
schiedenen Städten der Ukraine in Aussicht genommen, wobei
die Allianz mit anderen großen jüdischen Hilfskomitees in
Westeuropa in engem Kontakt steht. Hochherzige Zuwendungen
für das Rettungswerk werden durch das Postsparkassenkonto
1 der Allianz 8152 oder durch den Wiener Bankverein