VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 235

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Weltrundschau
Der Nachdruck aus Reclams Universum ist verboten. Übersetzungsrecht vorbehalten. Für
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Artur Schnitzler
Zu seinem 60. Geburtstag am 15. Mai 1922. Von Robert Hohlbaum
ir spielen immer, wer es weiß, ist klug.“ Diese aus der Provinz; Wien war immer etwas Losgelöstes, und
manche Mißverständnisse im Deutschen Reiche rührten davon
I Worte, die Schnitzler dem Einakterzyklus „Para¬
her, daß man die beiden Richtungen auch politisch nicht zu
#reisus — Die Gefährtin — Der grüne Kakadu“
trennen wußte.
vorangestellt hat, und die der Schlußszene des ersten Stückes
Schnitzlers Welt ist nicht groß. Es ist im Grunde genom¬
entstammen, könnten als Motto für sein ganzes Schaffen dienen.
men nur die mondaine des Wien der neunziger Jahre, die
Allen Schnitzlerschen Menschen haftet etwas Leichtes, Spiele¬
sich bis 1914 nicht sehr geändert hat. Aber ist sein Glas,
risches an, über die schwersten Situationen setzen sie sich oft mit
aus dem er trank, auch klein, es ist sein unbestritten eigenes.
einer graziösen Bewegung hinweg, die all das Tun und Treiben
Er hat einen neuen Klang in die Literatur gebracht und manchen
des Lebens nicht ernst nimmt. Aber auch der Autor selbst spielt
Nachahmer gesunden, der ihn bei weitem nicht erreichte. Der
mit ihnen; immer sind sie seine Geschöpfe, er ist ihr Souverän.
„Anatol“ eröffnet den Reigen, die Szenenreihe aus dem Leben
Nie geht er in einer seiner Gestalten völlig auf, macht er sie
eines Menschen, der nichts anderes zu tun hat, als verliebt
zum Sprachrohr seiner Ideenwelt. Es ist dieselbe leichtherr¬
und geistreich zu sein. Setzen wir uns über diesen ideellen
schende Autorgeste, wie wir sie etwa bei Wieland finden, mit
Mangel hinweg, so dürsen wir uns des glänzenden Dialogs,
dem Schnitzler, meinem Gefühle nach, manche Ahnlichkeit auf¬
des seinen, ironischen Humors, des sprühenden Witzes, der
weist. Beide wissen schließlich, daß alles Wahn ist, und beide
kultivierten Sprache ruhig erfreuen. Weit genialer erscheint
sind nicht auf dem mühsamen Wege des deutschen Grüblers
mir indes der vielgeschmähte „Reigen“ zu sein. Wenn man
zu dieser Erkenntnis gelangt, sondern sie ist ihnen a priori
sich an das Tatsächliche
gegeben. Bei Schnitzler er¬
hält, streift diese Szenen¬
klärt die Umwelttheorie hier
reihe hart ans Anstößige, ist
manches. Er folgt unmittel¬
es vielleicht schon. Aber in
bar auf den Naturalismus,
diesem Sinne müssen wir
er und Hofmannsthal sind
Boccacio, Wieland, ja viel¬
seine Gegner. Aber während
leicht Goethe mit den „Vene¬
der Philologe reiner Roman¬
tianischen Epigrammen“ auch
tiker werden konnte, hatte
zu dieser Kategorie rechnen,
Schnitzler, der Arzt, doch so
und ich meine, in dieser er¬
viel Reales aus der voran¬
lauchten Gesellschaft wird sich
gegangenen Periode mitbe¬
Schnitzler ganz wohl befin¬
kommen, daß er nicht ganz
den. Die Hauptsache ist ja
davon loskam. Er hatte nicht
doch, daß die Absicht eine
die brutale Unbekümmert¬
rein künstlerische war, daß
heit Max Kretzers, sich in
ein Meisterpsychologe ein
einer Welt gestürzter Altäre
psychologisches Problem ge¬
wohlzufühlen; die Muskel¬
staltet hat. So betrachtet,
kraft, eine eigene Welt auf
ist das angefeindete Werk
die vergangene zu türmen,
moralischer als die senti¬
besaß der Feinnervige nicht,
mentale „Liebelei“ mit dem
was blieb ihm übrig als der
Pistolenduell und dem un¬
Zweifel an allen Dingen?
wahrscheinlich heroinenhaften
Dieser Skeptizismus wurde
Wiener Mädel. Was den
noch durch sein Österreicher¬
„Reigen“ in den Augen
tum, besser gesagt sein
der Allgemeinheit herabge¬
Wienertum verstärkt. Blieb
setzt hat, war seine Auffüh¬
doch selbst unser Größter,
rung, und eben die eifrigsten
Grillparzer, nicht davon ver¬
Schnitzler=Verehrer hätten
schont! Optimismus und
Artur Schnitzler.
im Interesse ihres Ideals##
Nach dem Gemälde von Professor Edmund Pick=Morino.
Glaube erwuchs uns wieder
Heft 32
Universum=Jahrbuch 1922, Nr. 17