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—1 Birthday
klugen Wiener Dichter des zwanzigsten. Goethes
ständlich, daß dieser Poet gerade in der Dar¬
Oronaro kann das geliebte Weib in der Wirk¬
stellung des Todes die feinste Hand zeigt.
lichkeit nicht ertragen, sondern nur die Vor¬
Immer wird man sich an der Feinhelt seiner
stellung von ihr. Anaiol möchte wohl wissen,
Gedanken, an der Stimmungsmal rei, an der
ob die kleine Cora ihm treu ist, aber die ent¬
Seelenanalyse und an seiner virtuosen Fähig¬
scheidende „Frage an das Schielsal“ vermag er
keit erfreuen, den Dialog zu führen, aus heite¬
doch nicht zu stellen, denn die Meinung, die er
rer Nachdenklichkeit heraus die Tragik zu strei¬
sich von ihr geschaffen, ist ihm wesentlicher als
fen, um dann mit einem wehmütig lächelnden
die Wahrheit — worin er übrigens, wenn man
Fragezeichen zu schließen, hinter dem eine ganz
es nur ganz richtig versteht, recht hat. Es sind
und gar nicht künstlerische Sentimentalität
nur wenige „Lebendige Stunden“ die der Dra¬
lauert. Schnitzler macht Konversatlon — sogar
matiker Schnitzler uns geschenlt hat, und wenn
in seinen historischen Dramen. Daher ist seine
sein unerträglicher „Reigen“ — auf der Bühne
Sprache auch ohne Eigenwuchs und Glanz.
unerträglich — eine aus den Fugen gegangene
„Ich fühle, wie viel mir verloren ginge,
Zeit ergötzt, so wird ein Chronist späterer Tage
wenn ich mich eines Tages stark fände, sagt
gerade aus diesem Umstand ihre Barbarei fest¬
Anatol, der Held seines ersten Buches, einer
zustellen haben. Seltsam überhaupt, daß dieser
wir
Sammlung von amüsanten Dialogen, die
Schnitzler so häusig zum Drama getrieben wurde.
vor einiger Zeit auch im „Schausplelhaus“ sahen.
Denn gerade die dargelegten Eigentümlichkeiten
Das ist ein Selbstbekenntnis des Dichters, und
seiner dickterischen Struktur wiesen ihn auf die
im Grunde sind alle seine männlichen Gesialten:
Novelle hin. In Wahrheit sind ja auch gerade
Anatol. Im Zeitalter der Empfludsamkeit, aus
die bekanntesten seiner Bühnenarbeiten, wie
dem der junge Gocthe hervorgewachsen ist, gab
„Anatol“, wie „Reigen“ wie der „Einsame
es keinen größeren Vorwurf für den Schaffen¬
Weg“ wie „Zwischensriel“ und „Der Ruf des
den, als wenn man ihn einen Virtuosen nannte.
Lebens“ nur dialogißerte Norellen. Gewiß hat
Virtnosentum war gleichbedeutend mit Fran¬
er sich in seiner Jugend auch sozialen Problemen
zosentum, und das wollte man abschütteln.
zugewankt, im „Freiwild“ und im „Ver¬
Schultler ist solch ein Virtnose, dessen Können
mächtnis“. Aber was Schnitler zur Duell¬
man nicht unterschätzen soll. im Gegenteill, et¬
frage und zur Frage der unehelichen Mütter zu
was davon möchte man unsern stammelnden
sagen hat, das interessiert uns heute nicht mehr.
Stirmern von Herzen gönnen, aber auch ihm,
und selbst ein in mancher Hinsicht interessantes
dem heute Sechzigjährtgen etwas von ihrer Be¬
Werk wie „Professor Bernhard!“
geisterungsfählgkeit, von ihrer Hingabe an die
das religiöse und Rassefragen behandelt, ist viel
Idee des Menschen und des Menschentums, von
zu sehr Abhandlung und Feuilleton, um als
ihrer Bereitwilliakeit, sich seelisch zu verschwen¬
Kunstwerk gewürdigt zu werden.
den. und von ihrer Sehnsucht, diese angeblich
So kommt es denn das S#nitzler das viel¬
beste aller Welten zu einem Garten des Frledens
I leicht Dauernde auf evischem Gebiet geleistet
mzuschaffen. Dennoch: etwas von der Empfind¬
kr. samkeit des 18. Jahrhunderts steckt auch in dem 1 hat. Die Novelle „Sterben“, in der physi¬
sches Siechtum und langsames Welkwerden einer
Liebe einander gegenübergestellt werden, ist in
seiner Art ein Meisterwerk nicht weniger als
„Leutnant Gustl“, in der eigentlich ohne
die geringste Handlung das Seelenleben eines
Menschen geschildert wird, der glaubt, sterben zu
müssen.
Dennoch: dieser Dichter der Novelle, der
müden, ironischen Stimmungskunst, hat ei
mal ein Bühnenwerk geschrieben, in dem er
wirklich die Kraft und den Mut fand zur Tragik.
Das Stück heißt „Liebelei“ aber es dürste
„Liebe“ heißen. Denn diese Christine, die einem
jungen Lebemann zum Zeitvertreib dient, ist nicht
das „süße Mädel“ nicht das typische Verhältnis,
das Schviller im Bunde mit Hartleben für die
deutsche Bühne entdeckt hat, sondern ein Weib,
das liebt, nicht liebelt. Eln Geschöpf, das zer¬
bricht, als sich ihr Freund um einer anderen
willen niederknallen läst, eine in ihrer Schlickt¬
heit erhabene Gestalt, an dem der alte Fontane.
der Dichter der Lene Nimptsch, seine Freude ge¬“
habt hätte.
Lene Nimptsch ist die Heldin von Fontanes
„Irrungen und Wirrungen“. Ihr Geltebter, der
ei#e andere heiretet, Baron Botho, bekennt zum
Schluß dieses Meisterwerks, als er in der Zei¬
tung liest, daß Lene sich mit einem andern ver¬
lobt hat. der Gideon heißt: „Gideon ## besser
als Botho“ Solche Besenninisse fehlen bei
Schnitzler. Das unterscheidet ihn nicht nur von
Fontane, dem nverreichten Meiber der epischer
Kunst sondern auch von denen, die mit Fontam
im die Palme der großen deutschen Novellen
dichter streiten.
Malte Wagner.
—1 Birthday
klugen Wiener Dichter des zwanzigsten. Goethes
ständlich, daß dieser Poet gerade in der Dar¬
Oronaro kann das geliebte Weib in der Wirk¬
stellung des Todes die feinste Hand zeigt.
lichkeit nicht ertragen, sondern nur die Vor¬
Immer wird man sich an der Feinhelt seiner
stellung von ihr. Anaiol möchte wohl wissen,
Gedanken, an der Stimmungsmal rei, an der
ob die kleine Cora ihm treu ist, aber die ent¬
Seelenanalyse und an seiner virtuosen Fähig¬
scheidende „Frage an das Schielsal“ vermag er
keit erfreuen, den Dialog zu führen, aus heite¬
doch nicht zu stellen, denn die Meinung, die er
rer Nachdenklichkeit heraus die Tragik zu strei¬
sich von ihr geschaffen, ist ihm wesentlicher als
fen, um dann mit einem wehmütig lächelnden
die Wahrheit — worin er übrigens, wenn man
Fragezeichen zu schließen, hinter dem eine ganz
es nur ganz richtig versteht, recht hat. Es sind
und gar nicht künstlerische Sentimentalität
nur wenige „Lebendige Stunden“ die der Dra¬
lauert. Schnitzler macht Konversatlon — sogar
matiker Schnitzler uns geschenlt hat, und wenn
in seinen historischen Dramen. Daher ist seine
sein unerträglicher „Reigen“ — auf der Bühne
Sprache auch ohne Eigenwuchs und Glanz.
unerträglich — eine aus den Fugen gegangene
„Ich fühle, wie viel mir verloren ginge,
Zeit ergötzt, so wird ein Chronist späterer Tage
wenn ich mich eines Tages stark fände, sagt
gerade aus diesem Umstand ihre Barbarei fest¬
Anatol, der Held seines ersten Buches, einer
zustellen haben. Seltsam überhaupt, daß dieser
wir
Sammlung von amüsanten Dialogen, die
Schnitzler so häusig zum Drama getrieben wurde.
vor einiger Zeit auch im „Schausplelhaus“ sahen.
Denn gerade die dargelegten Eigentümlichkeiten
Das ist ein Selbstbekenntnis des Dichters, und
seiner dickterischen Struktur wiesen ihn auf die
im Grunde sind alle seine männlichen Gesialten:
Novelle hin. In Wahrheit sind ja auch gerade
Anatol. Im Zeitalter der Empfludsamkeit, aus
die bekanntesten seiner Bühnenarbeiten, wie
dem der junge Gocthe hervorgewachsen ist, gab
„Anatol“, wie „Reigen“ wie der „Einsame
es keinen größeren Vorwurf für den Schaffen¬
Weg“ wie „Zwischensriel“ und „Der Ruf des
den, als wenn man ihn einen Virtuosen nannte.
Lebens“ nur dialogißerte Norellen. Gewiß hat
Virtnosentum war gleichbedeutend mit Fran¬
er sich in seiner Jugend auch sozialen Problemen
zosentum, und das wollte man abschütteln.
zugewankt, im „Freiwild“ und im „Ver¬
Schultler ist solch ein Virtnose, dessen Können
mächtnis“. Aber was Schnitler zur Duell¬
man nicht unterschätzen soll. im Gegenteill, et¬
frage und zur Frage der unehelichen Mütter zu
was davon möchte man unsern stammelnden
sagen hat, das interessiert uns heute nicht mehr.
Stirmern von Herzen gönnen, aber auch ihm,
und selbst ein in mancher Hinsicht interessantes
dem heute Sechzigjährtgen etwas von ihrer Be¬
Werk wie „Professor Bernhard!“
geisterungsfählgkeit, von ihrer Hingabe an die
das religiöse und Rassefragen behandelt, ist viel
Idee des Menschen und des Menschentums, von
zu sehr Abhandlung und Feuilleton, um als
ihrer Bereitwilliakeit, sich seelisch zu verschwen¬
Kunstwerk gewürdigt zu werden.
den. und von ihrer Sehnsucht, diese angeblich
So kommt es denn das S#nitzler das viel¬
beste aller Welten zu einem Garten des Frledens
I leicht Dauernde auf evischem Gebiet geleistet
mzuschaffen. Dennoch: etwas von der Empfind¬
kr. samkeit des 18. Jahrhunderts steckt auch in dem 1 hat. Die Novelle „Sterben“, in der physi¬
sches Siechtum und langsames Welkwerden einer
Liebe einander gegenübergestellt werden, ist in
seiner Art ein Meisterwerk nicht weniger als
„Leutnant Gustl“, in der eigentlich ohne
die geringste Handlung das Seelenleben eines
Menschen geschildert wird, der glaubt, sterben zu
müssen.
Dennoch: dieser Dichter der Novelle, der
müden, ironischen Stimmungskunst, hat ei
mal ein Bühnenwerk geschrieben, in dem er
wirklich die Kraft und den Mut fand zur Tragik.
Das Stück heißt „Liebelei“ aber es dürste
„Liebe“ heißen. Denn diese Christine, die einem
jungen Lebemann zum Zeitvertreib dient, ist nicht
das „süße Mädel“ nicht das typische Verhältnis,
das Schviller im Bunde mit Hartleben für die
deutsche Bühne entdeckt hat, sondern ein Weib,
das liebt, nicht liebelt. Eln Geschöpf, das zer¬
bricht, als sich ihr Freund um einer anderen
willen niederknallen läst, eine in ihrer Schlickt¬
heit erhabene Gestalt, an dem der alte Fontane.
der Dichter der Lene Nimptsch, seine Freude ge¬“
habt hätte.
Lene Nimptsch ist die Heldin von Fontanes
„Irrungen und Wirrungen“. Ihr Geltebter, der
ei#e andere heiretet, Baron Botho, bekennt zum
Schluß dieses Meisterwerks, als er in der Zei¬
tung liest, daß Lene sich mit einem andern ver¬
lobt hat. der Gideon heißt: „Gideon ## besser
als Botho“ Solche Besenninisse fehlen bei
Schnitzler. Das unterscheidet ihn nicht nur von
Fontane, dem nverreichten Meiber der epischer
Kunst sondern auch von denen, die mit Fontam
im die Palme der großen deutschen Novellen
dichter streiten.
Malte Wagner.