VII, Verschiedenes 5, Bauernfeld Preis, Seite 24

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auch nur im geringsten Notiz zu nehmen. Die Literatur¬
geschichte wird es wohl auch übersehen, daß Ab¬
gordneter Dr. Pattai seine Meinung über die
dichterische Qualität Schnitzlers von dem Glaubens.
bekenntnis des letzteren abhängig macht. Der Fall
lehrt jedoch, daß die „Parteifanatiker, welche
Pfründen verteilen und Proskriptionslisten ver¬
künden“, nicht blos unter den Rezensenten zu finden
sind. Wer Schnitzler ist und was Schnitzler kann, das
weiß jeder Theaterbesucher, der einmal die „Liebelei“
Er ist
gesehen oder den „Schleier der Beatrice".
noch keiner von den Großen, er arbeitet allzusehr auf
Stimmungen und für Stimmungen, aber man kann
wohl von ihm sagen, was einst Cervinus von Friedrich
Hebbel gesagt, daß er wie ein Baum aus dem
Strauchwerke der sonstigen Wiener Literatur heraus¬
ragt. Ich möchte jedoch bei diesem Anlasse nicht, ohne
vorher meine Ueberzeugung festzustellen, daß Baron
Berger das rechte get### a, indem er Artur Schnitzler
für den Bauernfeld=Preis vorgeschlagen hat — die
Bemerkung aussprechen, daß in Wien zu viele Dichter¬
dreise ausgegeben werden. Wir haben einen Grill¬
oarzer=Preis, einen Bauernfeld=Preis und einen
Raimund=Preis. Jedes zweite Jahr werden hier drei
Dichter preisgekrönt. Das ist etwas viel und es ist
begreiflich, daß nicht jeder Preis seinen Dichter finden
kann. Etwas größere Oekonomie wäre in diesen Dingen
wohl am Platze. Das Geld ist da und soll verteilt
werden; man könnte aber etwas sparsamer mit dem
Ruhme, mit dem Preise sein. Man nenne diese Ver¬
leihungen einfach Ehrengaben. Das wäre jedenfalls
die richtigere Bezeichnung, in vielen Fällen die einzig
richtige.
Nun zu den Einaktern des Frl. delle Grazie. Sie
heißen „Vineta, „Donauwellen und „Sphinx: Die
gemeinsame Idee, auf die sie gestimmt sind, ist leicht
herauszufinden. Zu spät ist's, wenn zwei Seelen, die
für einander erglühen, die Liebe einander gestehen,
wenn ihre Wege sie schon weit auseinandergeführt;
zu spät ist's für ein armes Mädel, loszukommen aus
Verfall und Verderbnis, wenn sie ihr Bestes bereits
geopfert; zu spät ist's für einen alten Gelehrten, auf
Freiersfüßen zu gehen, wenn er schon nahe an die
Fün##g und die jungen Mädchen ihn nur Onkelchen
nennen können. Das sind sehr banale Wahrheiten,
die von selbst einleuchten und nicht weitläufiger
Auseinandersetzung bedürfen. Aber Frl. delle Grazie
oWiener Theater.
ist sehr gesprächig und nicht immer zum Vorteile der##

(Eigenbericht.)
Sache. In der „Vineta“ ist ein etwas hoher Ton
b. Wien, 19. März.
angeschlagen, hoch und hohl. Frau Hohenfels und
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Herr Devrient gaben der Kleinigkeit immerhin
E.
Zu spät“. Einakter= Zyklus von M.
etwas von dem Interesse ihrer eigenen Persönlichkeit.
im
delle Grazie. Zum ersten Male aufgeführt
In den „Donauwellen“ ist das von Schnitzler her
Burgtheater.
bekannte „süße Mädel“ die Hauptperson. Die Szene
Der Gedanke ist nicht neu, mehrere Einakter auf
ist recht bewegt: im Prater, nahe der Donau. Es
einen Grundton zusammen zu stimmen und unter
geht äußerlich ziemlich hoch her. Es wird musiziert,
einem Gesamttitel auf die Bühne zu bringen. Das
gesungen und wienerisch gesprochen, daß es eine Art
bekannteste Beispiel hierfür sind die drei Einakter
hat. Aber innerlich ist das Ding blaß und matt und
„Teja, „Fritzchen" und „Das ewig Weibliche von
ohne kräftigen Zug. Das Mädel wird von ihrem
Herm. Sudermann, die unter dem Titel „Mori¬
Liebhaber, einem reichen Kaufmann verlassen. Um sie
turi“ wohl auf allen deutschen Theatern zuhause sind.
zu entschädigen und dem zu erwartenden. Kinde einen
Sudermann hatte jedoch einen Vorgänger. Anfangs
Vater zu geben, soll sie einen Reisenden heiraten.
der neunziger Jahre hat der Wiener Schriftsteller
Dieser findet, daß er dabei kein gutes Geschäft
Dr. Emil Granichstädten, der gegenwättig in
machte und gibt die Sache auf. Das Mädel
Berlin lebt, vier Einakter unter dem Titel „Galante
aber stürzt sich in die Donau. Recht hübsche
Könige“ auf die Bühne gebracht. Die Analogie
Einzelscenen, im ganzen aber ohne die rechte Beize.
dieser Stücke untereinander erstreckte sich auch aufs
Frau Medelsky und Herr Zeska taten das ihrige.
Aeußerliche. Sie waren reizend im Inhalt und un¬
eine
Das letzte der drei Stücke, „Sphinx“ ist
gemein fein im Dialog; es ist schade, daß sie ver¬
Philisteriade alten Sti', dabei aber langweilig über
loren gingen. Nach Granichstädten, dem in dieser
die Maßen. Das wird, hiesige Kritik sich kaum zu
Sache zweifellos die Priorität gebührt, und
gestehen getrauen, denn Frl. delle Grazie hat einen
nach Sudermann kam Arthur Schnitzler mit
geachteten Namen, sie hat auch schon ein gutes Drama
seinen „lebendigen Stunden, für die er in diesen
„Schlagende Wetter“ geschrieben, und eine Schrift¬
Tagen den Bauernfeld=Preis erhielt. Daß diese
stellerin von edlen Intentionen, die sie unleugbar ist,
Krönung den Antisemiten Anlaß zu einer Interpellation
will man doch wohl nicht kränken. Außerhalb Wiens
an den Unterrichtsminister im Reichsrate gegeben und
aber kann man es wohl sagen, daß der heutige Abend
daß sie den Ausgangspunkt zu einer förmlichen
recht öde war und daß die Einakter des Frl. delle Grazie
Kampagne gegen Talente, die nicht als Arier zur Welt
eigentlich auch „Morituri“ heißen könnten. Mit dem
gekommen, bildet, ist für die Literatur eigentlich gleich¬
heutigen Abend dürften sie wohl für immer ausgeleb¬
gültig. Schnitzler hat ganz recht, zu sagen, er habe
keinen Anlaß, von so nebensächlichen Zwischenfällen haben.