VII, Verschiedenes 5, Bauernfeld Preis, Seite 45

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Bauernfeld-Preis
größere Harmonie wäre zwischen absoluter Gerechtigkeit
und relativer Verantwortlichkeit des Individuums herge¬
stellt, die Justiz stiege zum Volke herab, das Volk griffe
in die Justiz ein, wenn sich die Kundgebung auch auf Wien
erstrecken würde. Löbliche Absichten unserer Regierungs¬
organe vereiteln aber immer die — Rathausherren.
Herr Dr. Lueger und sein Anhang haben vor den Ge¬
richten sonst sehr wenig Respekt. In dem Momente, wo
die gelehrten Richter vor die Zwangslage gestellt sind, der
Kommune oder einem Parteihäuptling unrecht zu geben,
wird schon gegen die pflichtbewußten Organe ein Kessel¬
treiben veranstaltet. Als Illoyalität, als Beweis revolu¬
tionärer Gesinnung wird jede Sachfälligkeit der Gemeinde
Volks= und Kunstrichter.
hingestellt. Kann Gerechtigkeit in aller Klarheit und Rein¬
Herr Gregorig, der Meisterschimpfer von Wien, hat mit
heit erblühen, wenn die Autorität der Richter planmäßig
all seiner Energie gegen den Erlaß des Oberlandesgerichtes
unterwühlt wird?
hinsichtlich der Zusammensetzung der Geschworenenbank
Die Regierung und weite Kreise haben auch die öftere
protestiert. Bildung von Volksrichtern zu beanspruchen,
Befangenheit der Geschworenen, so weit politische oder
erschien dem Tribunen, der durch Körperfülle das ersetzt,
Klassenfragen zur Erörterung gelangen, mit Betrübnis be¬
was ihm an Geist gebricht, als Gipfelpunkt administrativer
merkt. Als Symptom dieser Wahrnehmung kann auch die
Unverfrorenheit. Herr Strobach, der Fettfleck auf unserer
Bestimmung des neuen Preßgesetzes gedeutet werden, daß
Kommune Ehr' versprach auch, sein moralisches Ueber¬
künftig Presse=Ehrenbeleidigungen vor dem ordentlichen Ge¬
gewicht in die Wagschale zu werfen, damit die Verfügung richte ausgetragen werden sollen. Mit der Zeitwirdmandem"
beseitigt werde. Das Oberlandesgericht erklärte demge¬
Volksgerichte zum Schaben der Demokratie und der kul¬
mäß, daß ihre Kundgebung nur für die Provinz bestimmt
turellen Entwicklung immer weitere Befugnisse entziehen,
sei. In der weisen Beschränkung erweisen sich die Herren
wenn es nicht durch eine Reorganisation sich von den
Räte und die Kommunalgewaltigen als Meister!
Schlacken befreien kann.
Die Enunziation hat aber außerordentliche Berechti¬
Die Christlich=Sozialen haben aber auch durch die
gung. Wer die letzten Listen mit Aufmerksamkeit verfolgt
Interpellation Pattai bewiesen, daß ihnen schließlich die
hat, muß zur Ueberzeugung gelangt sein, daß das Klein¬
wichtigste Voraussetzung für Ausübung des Richterberufes
bürgertum darin ein unverhältnismäßig großes Kontingent
mangelt: die Objektivität. Weil der Bauernfeld¬
stellt. Es ist auch nicht zu verwundern, daß die christlich¬
Preis dem größten österreichischen Dramatiker Arthur
soziale Partei, der auf die Geschworenenzusammensetzung
Schnitzler, der keiner Koterie angehört und einsam
durch den Bürgermeister Einfluß zusteht, die Laienvertreter
und unverdrossen seinen Weg geht, verliehen wurde, in¬
jenen Schichten entnimmt, aus denen sich ihr zuverlässigster
szenieren sie eine abgeschmackte Entrüstungskomödie.
Anhang rekrutiert. Aber der Gedanke des Volksgerichtes
Schnitzler ist Jude und das genügt für Herrn Pattai, sein
wird verfälscht, wenn speziell die Intellektuellen, auf welche
dichterisches Können zu negieren. Ja, er verlangt sogar,
die Zeittendenzen am mächtigsten eindringen, von den
daß die Jury nur „autochthonen“ Schriftstellern Prämien
Funktionen ausgeschaltet werden. Gerade das Kleinbürger¬
zuerkennen soll, damit deren Gesinnungstüchtigkeit belohnt
tum in all seinen Schattierungen ist ganz in historische
werde. Der Salon=Antisemit stellt sich eine Förderung von
Reminiszenzen eingesponnen und läßt moderne Strömun¬
Talenten ungefähr so wie die Verleihung von Notstands¬
gen nur sehr mühsam Gewalt über sich erringen. Das Ge¬
krediten an verarmte Kleinbürger vor! Nicht der literarische
schworenengericht soll aber einen Einklang zwischen kodifi¬
Wert eines Kunstwerkes soll die Entscheidung herbeiführen,
ziertem Rechte und den neuen, in flüssigem Aggregat¬
sondern die Parteikouleur des Verfassers!
zustande befindlichen, noch nicht in Gesetzesform gegossenen
Es ist erklärlich, daß der Ruf „mehr Bildung“
Rechtsanschauungen herstellen. Klassen, deren Gedanken¬
Entsetzen in den Kreisen aller Banausen heworruft. Die
gänge sich in ausgefahrenem Geleise bewegen, die den In¬
Christlich=Sozialen wollen sich noch aller Gebiete bemäch¬
dustrialismus und die von ihm geborenen Probleme nicht
tigen: der Verwaltung, des Rechtes, der Literatur, der
begreifen, können niemals als Maßstäbe für die Entwick¬
Kunst, um überall ein Denkmal von unserer Zeiten Schande
lung der Rechtsbegriffe des Volkes dienen. Viele Urteile
zu errichten. Sie leben aber trotzdem nur von der ab¬
der letzten Zeit erhärten auch, daß falsche Sentimentalität
sterbenden Dummheit, die weichen wird und
auf der einen, übertriebene Härte auf der anderen Seite die
weichen muß vor der aufstrebenden Ver¬
nüchterne Objektivität verdrängt haben. Der Erlaß des
nunft, vor der fortschreitenden — Bil¬
Oberlandesgerichtes wollte das Geschworenengericht auf
dung!
eine höhere Stufe der Vervollkommnung emporheben. Eine
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