VII, Verschiedenes 6, Grillparzer Preis, Seite 16

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Grillparzer-Preis
verlogenen Moral aufgebaut ist und die wenigsten! Alles andere vergeht, es entgleitet uns leise, kaum
merklich, wenn wir es noch so fest zu halten meinen.
denken: Ich bin gut, trotz euch allen! Nein, sie den¬
„Nichts ist beständig, als der Wechsel!“ Dies Motto
ken: Ich bin schlecht — aber es macht mir ein Ver¬
setzte ein moderner Philosoph vor eines seiner
gnügen! Sié sind nicht groß, sondern leichtsinnig!“
Werke. So lehrt es die Natur um uns, in uns. Und
Aber daß man groß sein kann und fündigen — was
dem sollen wir uns in gewissen Fällen verschließen.
die Menschen Sünde zu nennen gewohnt sind, das
Wenn wir selbst in Ekstase, wenn wir selbst im
weht uns an aus allen seinen Werken wie eine
Spiel sind, dann — dann möchten wir Naturge¬
tröstliche Verheißung. In dem Einakter: Literatur
setze, die wir einst auf den Thron gehoben, umstoßen
ist die Hauptfigur eine Frau, die spielt — und ge¬
und Kulturmauern aufrichten, um dahinter Schutz
winnt. So ist das Leben.
zu suchen.
Eines der nachdenklichsten Stücke ist Para¬
Ja, so sind wir alle.
celsus. Ich möchte es kurz skizzieren. Paracelsus
Und Schnitzler, der Denker, der Dichter, stellte
ist als verbummelter Student in die Welt gezogen
eine Reihe von Problemen auf, die jeder lösen mag
und kehrt als Zauberer und Wunderdoktor wieder
nach seinem Sinn.
— von den Leuten seines kleinen Heimatortes ange¬
Und in allen seinen Dichtungen ist die füh¬
tannt. Nur Cyprian, der Waffenschmied, glaubt
rende Stimme: Resignation. Für all die dunklen
licht an ihn. Er bringt ihn in sein Haus und
Wege — für all die verschlungenen Pfade, die die
eizt ihn, seine Wunder zu zeigen. Und Paracelsus
menschliche Seele geht, hat er ein weises Verste¬
lüstert der schönen Frau Justina, des Waffen¬
hen und Verzeihen und erleuchtet sie mit seiner
chmiedes Weib, zu, sie solle eine nicht begangene,
Wunderlampe wundersam. Aber sie zeigt uns immer
ber dunkel ersehnte Schuld als begangen fühlen.
von neuem, daß hinter jedem Glück schon die Ent¬
Sie schläft ein — erwacht und gesteht. Cyprian,
täuschung lauert.
urch das Geständnis der Schuld aus seiner be¬
Für dieses merkwürdige Stück hat Schnitzler
shaglichen satten Ruhe aufgeschreckt, gerät in Angst,
den Grillparzerpreis bekommen. Hier ist der Reich=,
bis Paracelsus sie von dem Spuk befreit und sagt:
sten einer, der uns unendlich viel gab und der uns
#ter und Literatur.
„Es war ein Spiel! Was sollt es anders sein?
noch so vieles geben wird. Einer der Wenigen, die
Was ist nicht Spiel, das wir auf Erden treiben,
mit brennender Fackel in die Dunkelheit der Zu¬
Arthur Schnitzler.
Und schien es noch so groß und tief zu sein!
kunft hineinleuchten und uns die Wege zeigen, die
Mit wilden Söldnerscharen spielt der Eine.
die Entwicklung langsam — allmählich gehen wird.
Von Marie Holzer.
Ein anderer spielt mit tollen Abergläubischen,
Vielleicht mit Sonne, Sternen irgend wer, -
Schnitzler hat den Grillparzerpreis be¬
Mit Menschenseelen spiele ich. Ein Sinn
eine Siegesnachricht tragen es die
Wird nur von dem gefunden, der ihn sucht.
alle Welt. Denn er ist der Reifsten
Es fließen in einander Traum und Wachen,
unendlich viel gegeben. In jeder sei¬
Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nirgends.
n liegt ein Problem von wundersamer
Wir spielen immer, wer es weiß — ist klug.“
steht hoch darüber, auf einer hohen,
Und dann im Grünen Kakadu: „Sein
e, weit über der Parteien Haß und
spielen... kennen Sie den Unterschied so genau —
n. Ein gütiger, abgeklärter Mensch —
Chevalier?“ Ein Dichter und noch mehr ein
des Wortes höchster, siegreichster Be¬
Zweifler — ein Seher — den das Leben aus schil¬
lernden Märchenaugen anblickt und deren tiefstes
Gestalten seiner Bücher ziehen mir
Dunkel ergründen will.
Ele. Der arme, kleine Leutnant Gustl,
Im „Zwischenspiel“ wird uns die Geschichte
liches Empfinden in Widerstreit liegt
einer Ehe vorgeführt, die auf Freiheit, auf Wahr¬
henen Ehrbegriffen, dies Schwanken
haftigkeit aufgebaut ist und wo die beiden Ehe¬
sicht und Pflicht — und endlich dieser
gatten sich frei geben, in dem Moment wo der
fluß, der plötzliche Tod des Beleidigers
Mann fühlt, daß er eine andere liebt. Die Frau
Gespenster, die Räuber seiner Schein¬
ist verzweifelt — und schweigt. Und dann — nach¬
nichts als ein böser Spuk gewesen.
dem das Zwischenspiel bei ihm vorüber, will er zu
Beria Garlan. Die langsam erwachende
seiner Frau zurückkehren, die durch einen neuen
ich Glück in dem Herzen der jungen
Erfolg als Bühnenkünstlerin ihm in erne# em¬
sie ihm entgegengeht — suchend, ta¬
Lichte erstrahlt. Aber sie will nicht — sie will ihm
och unentwegt— wie die große Liebe
Freundin sein — nichts weiter, wie sies ausge¬
acht — sie emporträgt über alle klein¬
macht, sie will sich treu bleiben, „denn worin wären
en Bedenken, und dann der kurze
wir jetzt besser, als all die Anderen, die wir ver¬
Ihr kaum zum Bewußtsein kam — kaum
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ffüllte und an den sie doch unzählige,
achten?“
Und trotzdem geht er nicht. Mann und Fraus
Hoffnungen knüpfte und dann die kalte
stehen sich gegenüber, vor Welt und Menschen ge¬
sie ihm nichts bedeutet als eine kurze
hören sie einander an — trotz ihrer Kompromisses
fast allen Arbeiten Schnitzlers: Lie¬
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und trotzdem wie — wie grausam wirkt hier — die
ld, Märchen, Die griechische Tänzerin,
unden, in allen zeichnet er die deutsche
Leidenschaft.
Und dann — besteht sie auf dem Auseinander¬
Grundzug die Treue ist. Im Manne
gehen — er ist verzweifelt und geht — aber wir
enschaft und Vernunft in ewigem
ist beider Sklave und schwankt hin und
ahnen, daß er wiederkommt.
Die Frau ist die Starke. Sie hat sich durch
os — ohne den Schwerpunkt zu fin¬
Jahrtausende alle Zucht in der Gewalt, sie kann
au aber nimmt selbst eine Liebelei —
schweigen und leiden — sie kann schweigen und sich
- ein Intermezzo ernst — die ist!
hrem ganzen Herzen dabei.
sehnen.
Die ganze Kraft der Liebe liegt in der Beherr¬
einmal irgendwo eine wie mir dünkt
Charakterisierung der mitteleuropäi¬
schung!
Unsere ganze Gesellschaft und Geselligkeit ist
Die Italienerin sagt: Er hai mich ge¬
auf Höflichkeit aufgebaut, einer verfeinerten Form
mich verraten, ich werde mich rächen,
Die Spanierin: Ich werde ihn töten.
der Lüge. Warum soll oder kann es im Kleinen an¬
hin: Ich werde mich mit einem anderen
ders sein als im Großen? Ist ein Zusammenleben
Engländerin: Gut, daß er mich nicht
überhaupt möglich auf Wahrhaftigkeit gegründet,
absoluter Wahrhaftigkeit? Wenn man alles sagen
t. Und die Deutsche: Ich hab ihn ge¬
mich verraten — ich werde beten, daß würde was uns durch die Seeele zieht, immer, wäre
es nicht oft eine Entweihung — oft eine Grausam¬
verde.
Sie