VII, Verschiedenes 6, Grillparzer Preis, Seite 88

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Grillnarzer-Preis
auf die Epigonen geringschätzig herabsehen und darum kein
Verhältnis zu den Bestrebungen unserer Zeit zu gewinnen
vermögen. Andererseits lassen sie sich gerne als Vertreter
der Schererschen Schule preisen. Ja, wenn die Schulbank
die Schule macht, wäre dagegen nichts einzuwenden. Vom
Geiste ihres Meisters lassen sie wohl wenig spüren. Während
zum Beispiele Wilhelm Scherer, der eine Zierde der Wiener
und Berliner Hochschule war, in seiner Literaturgeschichte
das lapidare Urteil spricht: „Was Brentano gesäet hat,
hat Heine geerntet“, fand es, Zeitungsnachrichten zufolge,
Professor Schmidt, der auch Hamerling nicht als Dichter
gelten lassen will, gelegentlich des 50. Todestages Heines
für angezeigt, zu erklären: „Eher könnte man Eichendorff
und Uhland aus der Literaturgeschichte streichen. als Heine.“
Und wenn es nach Herrn Hofrat Minor ginge, so würde die
heutige deutsch=österreichische Literatur nur durch Leute wie
Dörmann, Hirschfeld und Schnitzler vertreten sein.
Um den literarischen Ernst dieser Herren Professoren
zu illustrieren, sei eine persönliche Erinnerung aufgefrischt.
Der Schreiber dieser Zeilen hatte Gelegenheit, die Vor¬
lesungen Schmidts über das „Deutsche Drama seit Schiller“
zu hören. Das war im Jahre 1884, Mitte Dezember. Im
Burgtheater sollte Wildenbruchs Trauerspiel „Harold“
welches dem Verfasser den Schiller= und Grillparzer=Preis
eingetragen hatte, aufgeführt werden. Wildenbruch, als
nationaler Dichter, war so gar nicht nach dem Sinne der
„Neuen Freien Presse“ und ihres kritischen Nachrichters Speidel.
Doch — es soll nicht vorgegriffen werden, Schmidt sprach
am Samstag vor der Premiere über Heinrich v. Kleist in
wahrhaft begeisternder Weise und endigte seinen Vortrag
mit etwa folgenden Sätzen: „Kleist mußte sich den Lorbeer
noch mit seinem Herzblute erschreiben. Heute sind die
Lorbeeren billiger, heute werden Schiller= und Grillparzer¬
Preise geradezu vergeudet; das deutsche Drama geht in die
Brüche, und zwar in die — Wildenbrüche.“ Tosender
Beifall nach diesem fulminanten Schlusse und auch der
19jährige Jüngling, der sich damals unter den Hörern
befand, klatschte aus Leibeskräften mit,
dessen
sich der reise Mann, der diese Erinnerung mitteilt, heute
freilich schämt. Aber wie konnte der gute Studiosus ahnen,
daß ein Professor sich in seiner Wissenschaft demagogisch
betätigen könnte! Denn demagogisch war es, daß Wilden¬
bruch, ohne daß eine Begründung angedeutet worden wäre,
mit einem Wortspiele abgetan wurde. Die „Neue Freie
Presse“ jedoch schrieb am 15. Dezember 1884 in dem ersten

fnappen Berichte, dem am 22. Dezember ein ausführlicher
folgte: „Das Wildenbruchsche Trauerspiel, welches den
Noch ein Wort zur letzten Grillparzer¬
Untergang des angelsächsischen Harold und das Empor¬
Preisverteilung.
kommen des normannischen Wilhelm zum Vor¬
wande nimmt, um aus falschen Voraussetzungen
Wir ekhalten folgende Zuschrift: Sehr treffend hatlfalsche Schlüsse zu ziehen und durch gleißenoe Effekte un¬
das „Deutsche Volksblatt“ mit dem Aufsatze „Von Grill¬
schuldige Zuschauer zu betören, ist durchaus prätentiös,
parzer bis Schnitzler“ die Frivolität, die in der Zu¬
obgleich poetisch null und nichtig.“
erkennung des Griupärzer=Preises an den jüdischen Drama¬
Böse Zungen haben gemeint, daß ein Professor nicht
tiker Schnitzler gelegen ist, und das ungeheuere Mi߬
lieben könne, wo die „Neue Freie Presse“ haßt. Sollte
verhältnis beleuchtet, das schon aus der Nebeneinander¬
das auch heute nicht anders sein? Es scheint so. Nur sind
stellung der Namen, wie dies in der Ueberschrift des Auf¬
die Lorbeeren noch billiger geworden, der Grillparzer=Preis
satzes der Fall ist, in die Augen springt. Jeder wird geschändet und das deutsche Drama löst sich in
ehrlich Denkende hat auch
der in den Aus= Schnitzlereien auf, so daß die Professoren, die gegenwärtig
führungen des „Volksblattes“
enthaltenen Zurecht= die Lehrkanzeln für deutsche Literatur verwalten, über¬
weisung Auernheimers, der der samosen Dichterkrönung flüssig sind.
Schnitzlers in der „Neuen Freien Presse“ einen geschmacklosen
Epilog schrieb, vom Herzen zugestimmt. Aber freilich, wenn#
S

nicht einer aus dem Getto die Verwirrung und Versündi¬
gung der Herren Preisrichter Schmidt, Minor und Burck¬
hard verteidigte — wer sonst hätte noch den traurigen
Mut dazu?
Angesichts des an Grillparzer begangenen Frevels ist
es vielleicht angebracht, sich die satirischen Betrachtungen
vor Augen zu halten, die Ferdinand Kürnberger — ein Alt¬
liberaler, der mit Heine sympathisierte — nach Grillparzers
Tode niederschrieb und die im Sammelwerke „Literarische
Herzenssachen“ unter dem Titel „Wien im Spiegel eines
Sarges“ nachgelesen werden können. Da heißt es mit Be¬
zug auf die am Sarge Grillparzers zur Schau gestellten
Kranzschleifen: „Dem Ideal meines Lebens“, stickt eine
Baronin Todesco, als ob Grillparzer den Wiener Kurs¬
zettel gedichtet hätte, das Ideal von Todescoleben. „Dem
Meister Grillparzer sein Jünger Mosenthal“, stickt der
letztere. Grillparzer muß sich das ruhig gefallen lassen,
sein Mund ist geschlossen. Ein Dr. Heinrich Jacques stürzt,
da die Leiche noch warm ist, in ein Redaktionsbureau und
des Herrn
l. für die Ehre
hinterlegt 500
Dr. Jaques alias für ein Grillparzer=Denkmal ... Nebenbei
bemerkt, lauter gute Gesellschaft, gutes altes Blut, längst
vor Christus dagewesen ... Was bei einer solchen An¬