VII, Verschiedenes 10, Antisemitismus, Seite 51

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WIEN, I., WOLLZEILE 11
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vom:
Sam:
Vor mehr als 20 Jahren hatte ich meinen
zweiten Roman geschrieben, einen Roman
aus den österreichischen Bergen. Ich halte
ihn heute nicht mehr für so besonders gut.
Aber ein schon bekannt gewordener Autor!
sprach mit S. Fischer davon; mir wurde
nahegelegt, das Manuskript einzureichen.
Eines Tages beschied der große kleine Ver¬
leger mich in die Bülowstraße, um mir per¬
sönlich zu sagen, er wolle das Buch
drucken. Ich vergesse die Stunde nicht: ich
erwartete wer weiß was Erhabenes, einen
heiligen Musentempel, einen Hohenpriester
der Literatur. S. Fischer, Verlag, welch ein
Begriff! — Ich fand ein Chefbureau, wie
andere (mit Familienphotos auf dem Schreib¬
tisch) und einen gescheiten, schon damals
nicht jungen Geschäftsmann, sehr klein, sehr
reserviert. Er fiel mir keineswegs väterlich
um den Hals. Er trug mir keineswegs, ein
edler Mäzen, eine Lebensrente an. Mit ein
paar kurzen Sätzen sagte er, was ihm an
meinem Manuskript gefiel und was nicht.
Jawohl, in dieser Stunde des Triumphes sah
der neugebackene S. Fischer-Autor plötz¬
lich, wo es an seinem Meisterwerk haperte.
Und dann sagte Sami Fischer, er hoffe sich
mehr und Besseres von mir. Er bot mir einen
Vertrag an, der vollkommen fair war und
mich nicht reich gemacht hat. Ich schied
ohne Tränen der Rührung von dem kleinen
Mann aus Bielitz. (Ich weiß nie: war er aus
Bielitz? Oder aus dem Slowakischen?) Und
ich hatte doch begriffen, wieso dieser bür¬
gerliche Geschäftsmann eigentlich große
Literatur exportierte und importierte, statt
Textilwaren. Er verstand nämlich etwas
von Literatur!
Ich habe Sami Fischer natürlich später
besser kennen gelernt und ich weiß, welche
von seinen literarischen Sünden schon die
allerschwerste gewesen war: Er hatte dem
jungen Peter Altenberg einmal geraten, doch
lieber einen Roman zu schreiben, statt so
kleiner Skizzen! Mit der Ausnahme dieses
entsetzlichen Einzelfalles hat der deutsche
Verleger S. Fischer nie, glaube ich, einem
Autor einen unweisen Rat erteilt, fast nie
ein wirkliches Talent verkannt, fast rie ein
wirkliches Untalent gefördert. Er hatte
(immer im Rahmen des Geschäftlichen) eine
echte Verehrung für echte Größe. Seine
weltberühmten Autoren sind auch seine
privaten Freunde gewesen, er lud sie in
seine Villa im Grunewald, sie gingen mit
ihm im Salzkammergut spazieren, sie
schwärmten nicht sentimental von ihrem
Sami, sondern schimpften gelegentlich, sie
wußten dennoch, was sie an ihrem Verleger
besaßen. Und um diesen kleinen jüdischen¬
Kaufmann aus den Karpathen herum wuchs
dieses stolze Gebäude empor: S. Fischer
Verlag. Nicht nur die Hauptmann und
Schnitzler und Hofmannsthal, und Beer Hof¬
mann und Thomas und Heinrich Mann, auch
Ibsen und Björnson, Shaw, Lagerlöf, alle die
großen Fremden, die in Deutschland früher
berühmt wurden, als in ihrer Heimat, sie
alle hat dieser große kleine Gärntner ge¬
pflanzt und gepflegt, und er hat dann, ja,
ihre Früchte auf den Markt gebracht und
ist selbst nicht arm daran geworden. Er
war aber mehr als ein Verleger, er hat die
große deutsche Literatur der letzten fünfzig
Jahre mitgeschaffen.
An dem Tage, da der Verlag S. Fischer
Werke.