VII, Verschiedenes 11, 1895–1898, Seite 19

1. Miscellaneons
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Götzendienst. Wiener Gesellschaftsbild. Wien, Verlag
von Karl Konegen 1899.
Zur Zeit ist das Fach des
Wiener Romans fast gänzlich verwaist. Die neueren Dichter
wenden sich ausschließlich und mit Passion dem Theater zu,
weil es materiell und künstlerisch dankbarer ist; was aber
Talenten für einen Gesellschaftsroman etwa vorhanden wäre,
gibt sich im Feuilleton aus, das seit langem schon wie die
Stärke, so auch das Verhängniß der Wiener Literatur ist.
Es verzehrt die besten Kräfte, ohne sie jemals ganz befriedigen
zu können. Aus diesem Grunde ist mit besonderer Wärme
dieser neue Roman „Götzendienst“ von einem Anonymus zu
begrüßen, der in der Wiener Gesellschaft wohlbekannt und
auch in der Wir er Literatur kein Neuling mehr ist; denn¬
er hat schon vor mehreren Jahren ein und den anderen
Roman unter dem Psendonym „Balder“ veröffentlicht. Aber
nicht bloß wegen des seltenen Versuchs eines die gesammte
Wiener Welt zusammenfassend schildernden Romans ist der
„Götzendienst“ freundlich aufzunehmen, sondern auch um
seiner selbst willen. Zwar ist der Antor noch lange kein
Zola, auch kein Spielhagen oder Sudermann; seine ge¬
staltende Kraft ist nicht groß, seine Poesie recht dünn
und blaß. Aber es kommt hier weniger auf das Maß
von Poesie, als auf den gesunden, muthigen, charaktervollen
Geist an, in dem der „Götzendienst“ geschrieben wurde. Es
ist der Geist eines Mannes aus der guten bürgerlichen Gesell¬
schaft, der ohne Vorurtheile, aber mit offenem Auge in die
Wiener Welt, in ihre Literatur, Kunst, Politik, Wirthschaft,
Familie hineinschaut. Da so unbefangene Schriftsteller selten
sind, da politische oder literarische Parteilichkeit so oft das
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Urtheil trübten, so thut einem die Rede des über den Par¬
teien stehenden Mannes doppelt wohl. Er läßt sich bei seinem
Rundgemälde von einem Gedanken leiten, der viel Wahrheit
enthält. „Das ist eben echt wienerisch,“ sagt sein Raisonneur,
„ 1000
„so geht es bei uns in allem: in der Politik wie in der
im
Kunst, im gesellschaftlichen, wie im wirthschaftlichen Leben.
Abonnemen
Ueberall begeben wir uns mit wahrer Wollust des eigenen
Abonnenten
Urtheils und starren wie hypnotisirt ein paar Götzenbilder
an, von denen wir alles erwarten. Und trotz vielfacher,
schlimmer Erfahrungen, die wir mit unserm Götzenglauben
schon gemacht haben, g##n wir die süße Gewohnheit, vor
den selbstgemachten Götzen auf dem Bauche zu liegen, doch
nicht auf. Der Hang zur Anbetung scheint bei uns unaus¬
rottbar zu sein“... Diese Sätze erinnern uns an die viel¬
citirten Worte des Dr. Lueger vom „Barriérestock“, den er
aufstellen darf in der sicheren Erwartung, daß ihn „seine“
Wiener wählen werden, wenn er ihn empfiehlt. Der Roman
führt uns nun diese „Götzen“ treu nach der Natur gezeichnet
vor; zumeist leicht verhüllte Portraits vielbesprochener Per¬
sönlichkeiten des Wiener Lebens. Die Satiren auf Hermann Bahr,
der unter dem Namen des Dr. Rafke eingeführt ist; auf den
Direktor Witigenstein, der als Baron Frankenstein auftritt; auf
Frau Odilon, die als Frlu. Garda, vermischt mit Zügen einer
andern berühmten Schauspielerin (Sandrock) erscheint u. s. w. sind
leicht zu erkennen, ohne daß man dem Autor irgend welchen
Vorwurf daraus machen dürfte. Seine Satire wird nur
leider zuweilen zu unkünstlerisch direkter Polemik gegen einzelne
Schriftsteller, wie z. B. gegen Arthur Schnitzler, der als Dr.
Lohm im Roman sigurirt. Das munterste Kapitel ist die