VII, Verschiedenes 11, 1902–1906, Seite 20

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1. Miscellanesus
Sonntag,
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25. Jannar 1903.
zeitung.
Krcher
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zum andern persönliche Gefühle, wenn nicht nehmen; Versöhnungsversuche zur unrechten Zeit! seine Internationalität. Nur die ganz Großen
dieser Welt ringen sich in der Fremde nicht
tonangebend, so doch mitschwingend. Der und von falscher Hand geleitet, haben oft gerade
wegen, sondern trotz ihrer Nationalität durch.
Kompler dieser Imponderabilien wird mit dem die entgegengesetzte Wirkung. Der Groll muß
Ihr Theatervolapük empfiehlt Sudermanns
abgegriffenen Wort unsympathisch bezeichnet. Ist erst verrauchen, ehe freundlichere Gefühle seine
ister
Werke. Darauf baut sich sein Erfolg jenseits
uns ein Mensch „unsympathisch“, so suchen wir Nachfolgerschaft antreten können. Wir können
des Kanals und des Ozeans, wo es zur Zeit an
ihn uns nach Kräften vom Leibe zu halten; wir diesen Zustand tief bedauern; zur Zeit vermögen
heimischen Bühnentalenten gebricht. Nur so
wir nicht, ihn zu ändern.
weichen ihm aus, wir wehren ihn ab. Und doch
können wir die erstaunliche Popularität eines
Alles, was wir tun können, ist: die Hilfe
hat vielleicht jeder von uns die Erfahrung ge¬
Kulissenmatadors verstehen.
der völkerverbindenden Macht Literatur anrufen.
macht, daß er, wenn es ihm gelang, die
eine
Ich sagte es schon: einem mittlern Literatur¬
Wir dürfen den Engländern mit bester Absicht
persönliche Abneigung zu überwinden, in dem
man
produkt ist die Bodenständigkeit, der Duft der
raten, sich mit deutscher Literatur etwas intimer
anfänglich Gemiedenen ungeahnte Vorzüge ent¬
Rein
heimatlichen Scholle nicht förderlich.
vertraut zu machen. Bei ihrer verhältnismäßig
deckte. Bei einem Volke urteilen wir nach den
nationale Gegenstände können kaum auf die
mangelnden Sprachkenntnis wird dies nur durch
Vertretern, die uns zu Gesichte kommen. Nun
ihm
Liebe des Auslands rechnen; im besten Fall
das Medium von Uebersetzungen zu erzielen
ist es ein Unglück, daß sich die Kenntnis so
ele¬
erwecken sie ein Kuriositätsinteresse, wie z. B.
sein. Seit Coleridge und Walter Scott unsere
vieler Deutschen vom Engländertum lediglich
nter
augenblicklich Gorki. Alles, was mit dem Ge¬
Klassiker eingebürgert — nein: einzelne ihrer
auf jene Exemplare stützt, die auf der Durch¬
eite,
schlechtsleben zusammenhängt, wird am spontansten
Werke vortrefflich umgedichtet haben, seit
reise begrifsen sind. Hundertmal ist es gesagt
der
nachempfunden — alles, sofern es in der fremden
Bayard Taylor den Engländern einen anständigen
da nicht des erlesensten
worden, daß wir
Knast
Zone ein Aequivalent findet. Liebe, Treue,
Begriff vom „Faust“ gegeben, hat nichts von
Materials ansichtig werden. Gevatter Schneider
äftig
Ehebruch (wieviel Ehebrüche hat wohl Suder¬
künstlerischem Belang bei ihnen festen Fuß ge¬
und Handschuhmacher werden leider mit der
hien
mann zeit seines Lebens behandelt?), Ver¬
faßt. Ganz sporadisch ist ein Roman wie Spiel¬
englischen Nation identifiziert. Wer ein Volk
t es
lobung, aufgehobene Verlobung: das gehört zum
hagens „Problematische Naturen“ eingedrungen.
will recht verstehen, muß in Volkes Lande gehen.
üben
eisernen Bestand des Welttheaters. Aber eine
Im allgemeinen erfreut sich die ausländische
Und es ist eine unumstößliche Tatsache, daß
und
Institution wie das „Verhältnis“ zwischen Un¬
Memoirenliteratur größerer Beliebtheit: Bis¬
jeder Deutsche, der einmal in England geweilt,
und¬
verheirateten geht den Amerikanern bereits über
marcks „Gedanken und Erinnerungen“ sind z. B.
sein Urteil in wesentlichen Punkten berichtigt
nnte
den Horizont. Ein Mädchen, das sich ohne den
sofort in die Uebersetzermühle gewandert. Aber
hat. Ich meine, das sollte uns zu denken geben.
Segen der Kirche hingiebt, ist eine (die Feder
ich habe nie Grillparzer und Hebbel, Gottfried
Von zehn Deutschen, die Paris recht gut
eine Dirne;
sträubt sich, es niederzuschreiben)
Keller und Fontane in einer englischen Ausgabe
kennen, ist kaum einer in London gewesen. Der
inm
einerlei, aus welchen Motiven sie es tut. Sie
erblickt; ich habe nie einen Engländer getroffen,
Kanal, den man in drei Stunden durchfährt,
steht mit der Geld einstreichenden Liebesdienerin
der ein Buch des Schweizers gelesen hatte.
trennt die beiden Länder, als ob er ein kleines
die
auf einer Stufe. Christine in Schnitzlers
Fehlt es den Verlegern in London an Unter¬
Weltmeer wäre. Pariser Leben, Pariser Gesell¬
„Liebelei“, wie Stine in Fontanes „Irrungen
nehmungsgeist? Nein — der Grund ist, wie
schaft, Pariser Mode, Pariser Kunst, Pariser
und Wirrungen“ sind für den Bürger der
bald dargetan werden soll, anderswo zu suchen.
Theater, Pariser Romane:: unsere Zeitungen
Vereinigten Staaten nichts mehr und nichts
Von den Zeitgenossen ist dem einzigen
sind voll davon. Der unbedeutendste Korrespon¬
und
weniger als —. Alle Erinnerung an Gretchen
Hermann Sudermann die Ehre widerfahren, in
dent, der in Paris sitzt, schreibt einen amüsanten
Pforb
und Klärchen ändert sein drakonisches Urteil
England und vielleicht mehr noch in den Ver¬
Artikel, wenn er drei französische Blätter ge¬
elcher
nicht. Shakesveare, ruft er moralpatzig aus,
einigten Staaten von Amerika gekannt zu
(esen hat. Alles, was sich in Paris ereignet,
eiden
läßt seine Julia noch rasch Hochzeit machen.
werden. Seine bleibende Bedeutung wird ver¬
wird uns tagläglich sein zubereitet serviert;
—aß
Wir sind geschlagen, vernichtet. Ein Mann wie
mutlich darauf beruhen. Im Ausland gilt er
nicht der kleinste Skandal bleibt uns erspart,
will
als „the German dramatist“. Dank seiner Schnitzler mit seiner ewigen Melodie vom Ver¬
und die großen hören gar nicht mehr auf.
wie
shältnis wäre bei den Engtändern, denen
Heimat“ genaunt „Magda“. (Als ich Ende
Neben dieser bevorzugten Schwester steht London
andte
Oktober die Kunstbarbarei New=York verließ, Tacitus' Lobspruch auf die alten Germanen zu¬
als Aschenbrödel da. Ein Ehescheidungsprozeß,
ehen.
führte Mrs. Patrick Campbell gerade allabendlich jkommt, in partibus. Daß eine verheiratete
eine empörende Gerichtsverhandlung verirrt sich
näher
Frau ihren Mann betrügt (siehe Schnitzlers
„The Joy of Living“ — gemeint ist: „Es lebe
wirklich einmal in die Spalten unserer Zeitungen.
Maß
das Leben!“ — zum Schmerz aller Moral=,Novelle „Die Toten schweigen“), das ist allge¬
Aber ein Schmöker von Pierre Louys wird
agen,
trompeter auf, die in der Presse einen Feldzug mein verständlich; daß aber ein junges Mädchen
ausführlicher behandelt als die Tagebücher Lord
ischer
gegen dieses „drama of dirt“ eröffneten mit jewie Christine anständig bleiben kann, wird hart¬
Byrons, und jahraus, jahrein wird uns von
eines
#näckig geleugnet.
einer Erbitterung, die einer bessern Sache
krassen Nichtwissern versichert, Englands zeit¬
einem
Erotische Gegenstände überwiegen ja heut¬
würdig gewesen wäre.) „Heimat“, für unser
genössische Literatur komme überhaupt für den
alles
zutage in der Literatur so sehr, daß (ich
aller Geschmack ein gezwiebeltes Theaterstückt
Kontinent nicht in Betracht. Jeder Maler wall¬
glaube) Wilhelm Scherer den Ausspruch tat, man
fahrtet nach Paris, um im Louvre und Luxem= mit einer Dynamitrolle, gilt den Völkern der
wäre
könne heute kein fünfaktiges Drama mehr
#englischen Zunge als der Gipfel des modernen;
bourg die französischen Meister aus eigener An¬
haßte
schreiben, ohne die Liebe irgendwie vorzubringen:
Realismus; der Oberstleutnant a. D. Schwartze,
schauung kennen zu lernen; aber er hat nie
den
Hauptmanns „Weber“ widerlegen die gewagte
als der bewundernswerte Vertreter stramm¬
davon gehört, welche Schätze die Tate=Gallery
die
Behauptung sofort. Immerhin, wir wissen,
preußischer Tugend. Scherz beiseite: sie sehen
oder Hampton Court birgt; die Präraphaeliten
Das
wies gemeint war und daß es ein Recht zu
in diesem „besten Drama unserer Tage“ ein
sind ihm bestenfalls ein artistisches Intermezzo.
über¬
solcher Meinung gibt. „Die Weber“, denen in
verblüffend getreues Abbild deutschen Wesens;
Die Wurzel alles Uebels ist die Unkenntnis,
Sohn
Paris zugejubelt wurde, wären in London un¬
und wenn sein Verfasser sich zu einer Amerika¬
Davon sind weder die Engländer noch die
daß
denkbar. Nur ein Thema wüßte ich namhaft
fahrt entschließen wollte, wäre ihm drüben ein
Deutschen freizusprechen. Sie kennen sich nicht
chsen.
zu machen, das auch in der englischen Welt
Empfang sicher, wie er seit Dickens und dem
und sie wollen sich nicht kennen. Vorurteil,
noch
Teilnahme finden könnte, obwohl es als spezifisch
kläglich verkrachten Mascagni keinem Sterblichen
Befangenheit spukt in den Köpfen. Statt schlank¬
Polkes
deutsche Institution empfunden wird: das Duell.
zu teil geworden.
weg einzuräumen: England ist uns terra
Darauf gründet sich z. B. der Erfolg von
gegen
Die Erklärung für so überschwenglichen
incognita, gürtet sich der Deutsche mit dem
nie
Sudermanns „Fritzchen“.
Preis liegt auf der Hand. Wer so gut wie
überlieferten, durch die Tradition geheiligten
der
Nun gibt es seit mehreren Jahren ein
nichts kennt, hält sich notgedrungen an das,
Gefasel. Statt ihren bewährten common sense
deutsches Theater in London, in das sich auch
was er kennt. Sudermann geht als Sieger
sprechen zu lassen, schleppen die Engländer ihre
Hunden
einmal ein Engländer verläuft. Die Vorstellungen
Karikaturvorstellung von Deutschland bis zum durchs Ziel, weil kein anderer mitläuft. Doch
uflein
sollen — ich kann leider nicht aus eigener An¬
In und! Grabe. In dem Augauhlick in sich die Völker dies wäre nicht möglich, wenn sich seine Werke