VII, Verschiedenes 11, 1902–1906, Seite 36

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(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
grankfurter Zeitung
30. 10 19
vom:

=Berliner Theater.] Man schreibt uns aus Verlin
vom 28. Oktbr.: Während Maurice Baucaires Komödie
„Fesseln der Liebe“ („Petdt Chaurm“) über die Bühne
des Lustspielhauses ging, dünkte einen das Stück ermüdend
und dürftig; jetzt, nachdem der Vorhang längst gefallen. übt es
eine leise Macht, und Stimmungen, die es im Augenblick vergeblich
gerufen, wachen auf. Es gibt Landschaften, die erst in der Erinne¬
rung Reiz gewinnen, und Tage, deren stille Bedeutung man nur
verspürt, nachdem sie längst entschmunden; etn as Derartiges gilt
auch von unserem Bühnenwerk. Schuld an dem Versagen der
Augenblickswirlung trug die dürftige Darstellung des Lustspiel¬
hauses, die von allem nur ein Ungefähr, und zwar ein verzerrtes
Ungefähr gab. Frl. Tetzlaff versagte günzlich in der weiblichen
Hauptrolle, Herr Spira, sonst ein sympathischer Darsteller, fand
sich weder in den Charakter, den er zu verkörpern hatte, noch
in die Stimmung hinein, Frl. Sorger hatte zwar ein
paar gute, seelisch beredie Momente, aber auch sie ver¬
mochte nicht die Eigenart ihrer Rolle wirksam hervorzukehren.

An gleicher Weise Vaucaires
Komodte selbst, denn ihr fehlt alles dram##iche Leven. Was:
Vaucaire zu sagen hatte, hat er gesagt, nicht gestaltet. Er erzählt,
und man mag zuhören; nirgends ist auch nur der Versuch gemacht,
die seelischen Vorgänge in Handlung, in deutbares Geschehnis, in
greifbare Anschaulichkeit umzusetzen. Es ist eine Komödie, die
man am besten daheim, im Lehnsessel am Kamine liest, und bei der
man auch dann noch den gänzlich stilwidrigen, dümmlichen ersten
Akt überschlagen muß. Immerhin, Vaucaire hatte etwas zu
sagen. Er kennt genau die Stimmungen, die den modernen
Großstadtmenichen überkommen, wenn es von den holden Freuden
des Junggesellendaseins Abschied nehmen heißt. Die kleine
Schauspielerin, mit der man verkehrte, ist einem unversehens
recht sehr aus Herz gewachsen, es wird ein Ende haben mit
den reizvollen Soupers im Restaurant „Madrid“ — von unten
tönen die Klänge der Zigennerkapelle leise hinauf — ein Ende
mit den Abenden voll zärtlicher Schwärmerei in Versailles. Man
wußie sich geliebt, — wird man es fürderhin sein? Es ist so schwer,
diese jungen, emanzipierten Mädchen, aus deren Reihen man irgend
eine heiraten wird, kennenzulernen. Man liebt sie nicht, — oder
liebi man sie doch?, das ist das Problem, das Baucaire umspielt,
um es schließlich lächelnd zu bejahen. Es wird Sommer, und der
Frühling ist schon geschieden, während man sich aber erst rüstet von
ihm Abschied zu nehmen. Es ist die Mischung von Hyperkuliur
und Sentimentalität (die eine wird durch die andere leidlich er¬
träglich) die den Jung=Parisern wie den Jung=Wienern in gleichem!
Maße eigen und die die Farbengebung ihrer Lyrik bestimmt. So
erscheint #s wehr als nur ein Zufall zu sein, daß der Dichter des
Anatol“ der Vaucaire'schen Komoole die Einleitung geschrieben.
Aus meinen kleinen Schmerzen mach' ich die großen Lieder ...
E.
rarr.„ „