VII, Verschiedenes 11, 1902–1906, Seite 37

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1. Miscellaes
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Und Sie wollen, daß ich Ihnen ein Vorwort

Hinter den Conassen.
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Ischreibe? ... Wahrhaftig, Ihre Komödie bedarf weder
Arthur Schnitzler, außerhalb seines eigenen eines Kommentars, noch einer Rechtfertigung. Aber
dichterischen Schaffens sonst so sparsam, fast geizig vielleicht könnte ein Vorwort doch noch etwas Drittes
mit seiner Feder, leitet die deutsche Buchausgabe von
bedeuten: den Dank, den irgend jemand im Namen
„Fesseln der Liebe“ mit einem reizenden und an¬
von vielen ausspricht. Wollen wir es so nehmen?
Da ist es vielleicht pretentiös, daß gerade ich meinen
zur Wiedergabe übermittelt wird. Da das Stück
Namen unter diese Zeilen setze. Aber Sie waren so
morgen im jungen „Lustspielhaus“ hier aufgeführt
liebenswürdig, es zu wünschen, mein lieber Herr
wird, sei der Brief Arthur Schnitzlers hier mitgeteilt: Vaucaire, und so mag ich darum auch bei anderen
Lieber Herr Bancaire!
entschuldigt sein.
Sie wollen also wirklich ein Vorwort zu der
Ihr herzlich ergebener
Arthur Schnitzler.
deutschen Buchausgabe Ihres Stückes? Ich glaube,
dieser Wunsch entspringt mehr einer Liebenswürdigkeit
Ihrerseits mir gegenüber als der Empfindung, daß
Ihre reizvolle Komödie einer Einführung beim deutschen
Publikum bedürfe.
Ein Vorwort, das ist schließlich immer eine Art!
von Erklärung oder von Entschuldigung. Und die
beste Entschuldigung für ein Werk wird immer bleiben,
daß es gelungen ist; die zweifelloseste Erklärung, ja
vielleicht die einzig erlaubte, wenn es sich selbst erklärt.
Welches Vergnügen mir die Lektüre von „Petit
chagrin“ bereitet hat, habe ich Ihnen seinerzeit nicht
verhehlt. Seither habe ich das Stück im Josefstädter
Theater gesehen, und wieder hat es mir so lebhaft ans
Herz gerührt wie damals, als ich es las. Nennen
Sie es immerhin lächelnd den „kleinen Gram“ oder
„kleine Schmerzen“ (ich weiß, daß „Petit chagrin“
hübscher klingt und eigentlich was anderes heißt —
allerdings bestimmt nicht „Fesseln der Liebe“
ich finde nun einmal, daß diese alltägliche Geschichte
von der kleinen Mimi Foy im Grunde recht
traurig ist und auch Ihnen viel trauriger vor¬
kommt, als Sie es zugestehen wollen. Daß Mimi
sich trösten, daß sie eine große Künstlerin werden, daß
sie weiterleben wird, als wäre nichts geschehen —
wie man zu sagen pflegt —, das macht die Sache
höchstens für sie selmn etwas weniger traurig, aber
nicht für uns nachdenkliche Zuschauer des Lebens und
seiner Nachbildungen. Und was mir eigentlich für
Mimi noch weher tut, als daß ihr Herz ein wenig
bricht und daß es ihr ein wenig zusammenheilt, int
dieses: daß sie alles, was ihr passieren wird, im vor¬
hinein gewußt und so auch alle Seligkeit des Anfangs
schon mit der Ahnung von dem banalen Ende ge¬
nossen und hingenommen hat. Und merkwürdigerweise
hat sie sich nicht einmäl aufgelehm, kaum einen
Augenblick, und jedenfalls nicht sehr ernstlich. Aber
sollte sie es wirklich ganz in der Ordnung finden, daß
man ein Wesen ihrer Art verläßt, um irgend ein
Fräulein aus guter Familie zu heiraten, und daß man
ohne weiteres das Recht hat, sie in ihre Welt zurück¬
zustoßen, um ein Mädchen aus einer anderen zur Frau
Nein, ich glaube, sie weiß schon
zu nehmen? ..
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heute, daß ihre Welt die bessere und hoffnungsreichere;
ist, und bald wird sie den tieseren Sinn und das Heil
ihres Erlebnisses darin spüren, daß sie nicht zu ge¬
ring für ihren Geliebten, sondern, daß er ihrer!
nicht würdig war. — Damit wili ich Ihrem Georges
nicht
etwas Böses nachsagen. Er ist
einmal
im Grunde ein guter Junge, liebenswürdig
und
alle,
hat viel Geist ... Den haben sie
Sie
Stück.
die
jungen Leute in Ihrem
haben beinahe so viel Geist als ihr Schöpser und
darum manchmal mehr, als dieser veramworten
— Besonders Herrn Daumesuil habe ich sehr!
könnte.
gern. Er könute sich mit Recht darüber aufhalten,
als Episodensigur behandelt zu werden, und ich glaube,
daß er ein wenig tiefer empfindet, und daß ihm daber
mehr Leid beschieden wird, als Sie uns verraten. Die
meisten Stücke haben ja irgend einen allerletzten Akt,
der nicht geschrieben wurde; und wenn man aus dem
Theater nach Hause geht, liebt man es, solche aller¬
letzten Akte zu dem ausgespielten Stück dazu zu
träumen. Und manche solcher vierten Akte könntej:
man sich zu „Petit chagrin“ dazudenken. Aber wer
weiß, ob es auch nur in einem von ihnen so luntig
zuginge als in Ihren dreien, die in all ihrer!
Melancholie oft sehr heiter ind immer so amüsant!
sind. — So denke ich mir einen Akt, der zwischen
Daumesuil und Mimi spielt; und mir ist, als wenn
Schatten der Vergangenheit ziemlich schwer über ihnen
beiden liegen müßten. Dann seh' ich Georges imt¬
Kreise der Famil
#enouard. und trotz allen Glückes