VII, Verschiedenes 11, 1906–1909, Seite 15


„Danzer's Armee-Zeitung“.
Seite 7.
Nr. 27.
4. Juli 1907.
Donnerstag
So geben diese zwei Grundzüge das Bild eines Schrift¬
Feuilleton.
stellers von erlesener Delikatesse. Der durchaus impulsiven Art,
die im Wesen des Kavalleristen liegt und erst im Handeln ihr
Element findet, steht auf der anderen Seite die müde Verträumt¬
Alfred Söhnstorff.
heit des reflektierenden Kulturmenschen gegenüber, die in Lyrismen
(Rittmeister Artur Luzatto.)
schwelgt und über einen prächtigen Sonnenuntergang die schneidigste
Von Franz X. Kappus.
Attacke vergessen läßt. Und nur der reifen, an Maupassant er¬
Wir leben in einer Zeit der starken Persönlichkeiten. Seit
innernden Kunst Luzattos gelingt es, den Kavalleristen zum
Nietzsche ist das Schlagwort von der Individualität des Künstlers,
Vorwärtstragen der Handlung, den feinen Stimmungsmenschen zu
von der „persönlichen Note“ des Schaffenden aktueller denn je
seelischer Detailmalerei zu nützen.
geworden. Man wird einem Schriftsteller von heute eine Ent¬
Mit beinahe mathematischer Logik folgen aus dieser doppelten
gleisung nach der Seite des Absonderlichen, des Ungewöhnlichen
Grundveranlagung die Motive, die in allen Arbeiten dieses Schrift¬
und sogar Absurden hin eher verzeihen, als irgendeine — und
stellers anklingen und in immer neuen Variationen wiederkehren.
wäre es nur die leiseste— Anlehnung an die Schablone, das
Das Leben unserer Kavalleristen in den elenden Nestern Podoliens,
Althergebrachte, Traditionelle. Und wie in allen Epochen radikalen
das Leben und Träumen junger Offiziere überhaupt, ihr stürmisches
Neuerertums ist man auch heute um einen Schritt zu weit gegangen.
Wollen und liebenswürdiges Irren, ihr Hoffen, Erleben und Ver¬
Die warme, echte Persönlichkeit, das starke ursprüngliche Talent,
zichten, ihr stolzes Vorwärtsschreiten oder versauerndes Stillestehen:
dessen Art durchgebrochen und dem Publikum keine Rätsel mehr
zu lösen gibt, hört auf interessant zu sein, und das dröhnende
Söhnstorffscher Erzählungskunst. Gute, liebe Bekannte, mit denen
Tamtam grandioser Reklame verkündet den Ruhm neuer Pro¬
wir einmal irgendwo zu tun gehabt, stehen vor uns auf, scharf
pheten. Und die Menge findet Gefallen an der „modernen
gesehene Typen leben ihr eigenes, bald urdrolliges, bald sterbens¬
Richtung“ und kommt sich unendlich wichtig vor, weil sie das
trauriges Schicksal. Und über allen liegt etwas wie eine leise
Quentchen eigenen Urteiles mit jenen Aeußerungen geschäftsmäßiger
Schwermut, ein wenn auch noch so zart angedeutetes Reagieren
Spekulation identifiziert.
der Nerven auf die Sensationen des Lebens. So kommt es, daß
Indessen gehen die tiefsten und feinsten Künstler still und
der Schriftsteller, den der oberflächliche Beurteiler allzu leicht für
unberirrt ihrer Wege. Vielleicht schäumt die Woge des lauten
einen Nachfolger Torresanis hält, mit diesem durchaus anders
Erfolges einmal an den einen oder den anderen heran, vielleicht
gearteten Künstler wenig gemein hat. Denn Torresani war bei
aller bewegten Frische seiner Darstellung, bei aller kraftgenialischen
auch nicht. Im Grunde kann das an dem ernsten Wesen dieser
Entfaltung seiner prächtigen Schilderungskunst im letzten Grunde
Menschen nichts ändern. Sie stehen im Leben wie die jungen
Bäume in den Stürmen des Frühlings, arbeiten und reifen einem
doch ein konservativer Erzähler, dem zum Epigonen zünftiger
Sommer entgegen, der kommen muß. Und achten nicht der Welt,
Romanschreiber nur die prätentiös=kleinliche Wichtigtuerei dieser
die jenseits ihrer Künstlerschaft liegt und erfüllt ist vom Gekeife
Menschen fehlte. Söhnstorff dagegen ist durch und durch ein Kind
und
##gbürstender Menschen. Und sind glücklich.
der Moderne, der Wiener Moderne im besonderen. Und diese
Alfred Söhnstorff gehört zum Schlage dieser wenigen.
Moderne ist krank, grenzenlos sensitiv und eigentlich mehr nach¬
Still und ohne die aufdringliche Ungeduld des modernen Schrift¬
empfindend als direkt produktiv. Alles, was die Wiener Literatur
stellers hat er Buch um Buch geschrieben, Ernstes und Heiteres,
der letzten Jahre an charakteristischen Werken hervorgebracht hat,
Gereimtes und Ungereimtes, wie es ihm der Tag zutrug.*) Und
die ganze Skala, von den wundertiefen BüchernSchnitzlers
ebenso still und sicher ist er durch seine Entwicklung hindurch¬
angefangen bis hinunter zu dem Gestammel eines Perer
gewachsen, ist einer unserer Besten geworden.
Altenberg, ist in ihrer Gesamtheit auf denselben Ton gestimmt,
Will man zu den Werken Söhnstorffs ein kritisches Ver¬
der uns auch in den Geschichten des Rittmeisters Luzatto begegnet.
hältnis erlangen, so muß man sie in ihrer Totalität zu begreifen
Damit ist auch schon der Uebergang zu der zweiten markanten
versuchen. Muß diese Skizzen und Novellen auf sich wirken lassen
Seite im Profil des Dichters Söhnstorff gegeben. Subtile Ver¬
wie Beichten und Bekenntnisse eines unendlich feinorganisierten
feinerung des Empfindungslebens ist ein spezifisch femininer Zug,
Menschen, der mit sehenden Augen durchs Leben geht. Denn das
wie denn auch alle Kunstäußerungen des jungen Oesterreich im
Leben, das ewig abwechslungsreiche, bald unbarmherzig harte,
Zeichen des Feminismus stehen. Und nichts ist natürlicher, als
bald versöhnlich milde Leben, hat diesem Schriftsteller namenlos
daß auch Söhnstorff in die Geheimnisse der weiblichen Seele
viel zu denken gegeben, und die Konflikte und Schicksale, die er
hinabtaucht, daß er in feiner Analyse bloßlegt, was da lacht und
mit feiner Hand zeichnet, sind das letzte Ergebnis dieses intensiven
weint, vergöttert und verdammt, siegt und verblutet. Und daß er
Schauens und Erlebens, sind zu Kunstwerken kristallisierte
Frauenschicksale mit jenem tiefen Verständnis zeichnet, das den
Reflexe seiner Nerven. Jnnig verwoben sind ihm Leben und Dichten.
Schriftsteller zum Anatomen, den Dichter zum Seelenarzt
Und darin liegt wohl der Hauptreiz dieser Bücher. Darin,
werden läßt.
daß jede Zeile von einer Persönlichkeit spricht, wie man sie nicht
Die Beziehung der Geschlechter zueinander ist ihm ein
häufig findet im modernen Schrifttum. Denn scharf umrissen ist
Thema von unbegrenzter Ergiebigkeit; in immer neuen Fällen
die literarische Physiognomie Söhnstorffs, scharf umrissen sind die
und Formen weiß er von der Liebe zu sagen, von all den wunder¬
Gestalten, die er vor uns hinstellt und die alle einer großen
baren Geheimnissen und Offenbarungen ihres stillen Webens, Ver¬
Familie anzugehören scheinen; alle haben sie etwas von der leisen,
bindens und Trennens. Und dort, wo von der Liebe nicht mehr
versonnenen Nachdenklichkeit ihres Schöpfers.
die Rede ist, aber dennoch eine leise, alles verzeihende und alles
Zwei Elemente geben den Geschichten des Rittmeisters
begreifende Nachdenklichkeit geblieben ist, wird der Blick in die
Luzatto ihren seltsamen, charakteristischen Ton. Söhnstorff ist
Ferne gelenkt, Ewigkeitsperspektiven erstehen und wir wachsen mit
Reiteroffizier durch und durch, Kavallerist vom Scheitel bis zur
dem Dichter weit hinaus über Raum und Zeit. Der dämmernde
Sohle. Einer von den wenigen vielleicht, die das Handwerk um
Morgen und der sinkende Abend, der Ruf einer Unke im nahen
seiner selbst willen lieben. Er ist aber auch moderner Mensch
Weiher, das Gebell der Meute, die dem Hirschen auf der Spur
mit jeder Faser, ist Träger einer alten, etwas müden Kultur. In
ist, der rhythmische Hufschlag galoppierender Pferde auf dem
seiner Seele klingen Stimmungen längst entschwundener Zeiten
samtweichen Boden eines schnurgeraden Walddurchschlages: alles
wird unter der Hand dieses Künstlers zu Symbolen. Und wenn
wieder, das Blut in seinen Adern kreist nach den Takten weicher
Wiener Walzerweisen. Etwas wie der Hauch resignierter Dekadenz
der Herr Oberst sein Regiment inspiziert und der taufrische
Morgen die Schwadronen in breite Massen formiert auf der
schwebt über ihn hin, der feine Formensinn und der raffinierte
Kultus des Wortes derer um Hofmannsthal sind ihm eigen.
Flegelwiese findet, denkt der Rittmeister Luzatto nicht daran, daß
vielleicht irgendein Kerl im ersten Glied zu kurze Bügel, irgendein
*) Von Söhnstorff liegen sechs Bände vor: „Im bunten Rock“, 1898:
Gaul ein verschnalltes Backenstück hat; ihn quält die wehmütige
„Halali“, 1901; „Allerlei Soldatisches und Menschliches", 1903; „Kanto¬
Vorstellung, daß nach fünfzig Jahren von all der strotzenden
nierungsbilder“, 1903; „Reiterbriefe aus Oesterreich“, 1905, und als jüngstes
Jugend, von all der in blühenden Menschen= und Pferdeleibern
Werk: „Im Vorüberreiten“, 1907.