VII, Verschiedenes 11, 1906–1909, Seite 17

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O l. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
2
Vertretungen
0 in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
0
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
5 Ausschnitt aus: Prager Tagblatt
E vom:
170K7.1907
1.— Die „Hagenbund =Ausstellung in Wien
enthält diesmal sehr viele Arbeiten von deutsch¬
böhmischen und tschechischen Künstlern. Von den
ersteren wird besonders Ferdinand Michl, der be¬
kanntlich jetzt in Paris lebt, gerühmt. M. Schan¬
dera nennt ihn im „Ill. Wr. Extrabl.“ den „Zweiten
Clon der Ausstellung.“ Geistreicher Witz, lustiger
Cynismus scharfer Blick für alles Typische der
ganzen und halben Welt, moderne, mondaine Ele¬
ganz.“ Und in der „Arb.=Ztg.“ heißt es über ihn:
„Michl, der in Paris lebt, ist ein eigenes Zimmer
für meist graphische Sachen, besonders Radierun¬
gen, eingeräumt, die eine äußerst sichere Hand und
zum Teil auch ein erklecklichesMaß satyrischer Kraft
erweisen, die am nächtlichen Paris erprobt wird.
Auch in einem feinen, koletteriefreien Selbstbildnis
in Oel (71) kommt es dem Künstler ersichtlich mehr
auf Zeichnung als auf malerische Qualitäten an.
Sein bestes Stück aber ist wohl das Schabkunst¬
blatt „Im Mai“ (67). Die Schwüle eines solchen
Kusses auf einer Parkbank in dunklem Gebüsch, auf
dem zitternde Lichter leise hinstreicheln, kann man
sich nicht eindrucksstärker dargestellt denken.“
In demselben Blatt lesen wir noch: „ ... Neben
dem „Duett“ hängt ein Bild, das im Katalog den
ganz unnötig affektierten Titel: „Ein Herbstsonnen¬
strahl“ (214) trägt. Es ist von Wachsmann,
einem Prager merkwürdigerweise; denn dieses duf¬
tige, in feinsten und heikelsten Tönen hingehauchte
Boudoir ist erzwienerisch, so im besten Sinne
wienerisch wie etwa Schuitzler oder — Klimt. Und
doch: es ist ein perfönliches Werk; und die Technik,
mit der das Licht gemalt ist, das die sitzende Dame
umschmeichelt und vom Schatullendeckel unterm
Spiegel so reizvoll abgewiesen wird, hat der Prager
licht von Klimt gelernt. — Viel farbenfroher gibt
sein Landsmann
ich — darin echt tschechisch —
Bacatko. Seine beiden Athletikbilder (127, 189)
ie übrigens auch vortreffliche Plätze haben, er¬
ählen in der kräftigsten Sprache, deren Oelfarben
ähig sind, von strotzendem Fleisch und warmem!
Blut und aufgehügelten Muskeln.
5s eerur
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt ausstsche Rundschau, Wien
4- 8.
vom:
Sittlichkeitseiferer.
Ueber Betreiben einzelner klerikaler Mucker
hat die Wiener Polizeisin den letzten Tagen eine
Razzia auf Kunstwerke veranstaltet. Die Nacktheit
in der Malerei war verpönt und Lukas, Cra¬
nach, Tizian wie Rubens mußten es büßen,
daß sie das Höchste in der Kunst, die Schönheit des
menschlichm Körpers, im Bilde dargestellt hatten.
Die Jndzupresse fand sich zur unwillkommenen
Verteidigung der Kunstauffassung und überschüttete
gleichzeitig mit Hohn und Spott die Fehlgriffe
der Polizei. Die Angelegenheit reizt zum Nach¬
denken. Müssen denn die guten Deutschen sich
immer wieder die Begriffe Freiheit und Sittlich¬
keit von den Preßhebraern auseinandersetzen lassen,
ist es denn notwendig, daß letztere mit ihrem
Aufwand von orientalischer Dialektik die täppischen
Anschauungen einiger Deutschen mit einem Schein
von Recht geißeln? Wäre es nicht klüger, man
sondere die Begriffe Nacktheit und Sinnlichkeit
etwas strenger, die nicht immer identisch sein
müssen. Gott hat das erste Menschenpaar ohne
Feigenblatt geschaffen und es fühlte sich im
Paradiese glücklich. Erst mit der Sünde kam die
Erkenntnis und vertrieb die Reinheit. Vor der
klassischen Nacktheit, die sich nur mit der Dar¬
stellung des Schönen an und für sich beschäftigt,
braucht weder der Jüngling noch die Jungfrau zu
erröten und es ist nicht notwendig, dort, wo kein
sinnliches Verlangen, kein gemeiner Trieb sich
außert, eine Interpretation zu geben, die erst all
diese Gefühle wachruft.
Anders aber steht es mit der berechnenden
Darstellung des Nackten, jener Afterkunst, die
direkt darauf ausgeht, die niederen Instinkte zu
wecken.
Die geputzten Varietedämchen in ihren prall¬
sitzenden, tiefausgeschnittenen Röcklein, die Erotik
moderner Salomen, die Kokotten des Pschütt und
kleinen Witzblattes, deren Linienführung immer
nur auf die Freuden der Geschlechtlichkeit hin¬
weist, wurden nicht beschlagnahmt, aber der
nackte Körper eines Tizianischen Weibes sticht der
Polizei in die Augen. Wir sollten denn doch nicht
so muckerisch sein, um der Judenpresse Anlaß zu
geben, sich über die deutsche Dummheit zu entrüsten
und mit der Verteidigung der wahren Kunst auch
die Paßfreiheit für die zeichnerischen Exzesse des
Pschütt“ und der „Karikaturen“, des „Kleinen
Witzblattes“ und der sogenannten Aktstudien, die
nur für Künstler bestimmt sind, zu erwerben und
den entarteten schriftstellerischen Werken eines
Axtur Schnitzler und seiner Kollegen Eingang
zu verschaffen.
Das Sittlichkeits= wie Freiheitsempfinden der
Söhne Israels ist weit entfernt von dem der
Deutschen. Schaffen wir unserer Freiheitsauf¬
fassung, unserer Anschauung über Kunst und
Natur mehr Geltung und wir werden uns von¬
den Juden nicht belehren lassen müssen, daß wir rück¬
schrittlich gesinnt seien und daß in der Kunst
Cranachs, Tizians und all der großen Maler und
Bildhauer nichts anstößiges enthalten ist. Wir
werden dann aber auch der niederen, spekulativen
Sinnlichkeit des Judentums ausweichen. Wenn
die Polizei Jagden auf unsittliche Bilder und
Bücher machen will, dann möge sie die porno¬
graphischen Wiener „Kunst"=Blätter und die
pikanten Ansichtskartenserien verfolgen, sie möge
im Wiener=Verlag und in den Tabak=Trafiken
all die billigen, auf schlechtem Papier gedruckten