1. Miscellancous
Enquete zur Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten.
Beginn der gestrigen Sitzung gab Vor¬
box 41/2
daß alleinstehende Mädchen oder Witwen nicht] man sich klar, es handle sich nur um Art und
Mittel der Bekämpfung. Prof. v. Noorden
imstande sind, aus ihren Löhnen ihren Lebens¬
habe zu viel grau in grau gemalt, denn die
unterhalt zu bestreiten. In der Wäschekonfektion
Ueberzeugung, daß der erkrankte Mensch dem
werden zum Beispiel Löhne von 7 bis 12 Kronen
Elend verfallen ist, macht Leute geisteskrank, die
gezahlt. Zahllose alleinstehende Frauen sind in¬
es sonst gewiß nicht geworden wären.
folge der tristen Lohnverhältnisse nicht imstande.
Hofschauspieler Gregori erklärte, daß das
ein eigenes Zimmer zu mieten, sondern müssen
Theater, das in so schlechtem Rufe steht, in
Bettgeherinnen werden. Vielfach haben sie nicht
bezug auf die Moral diesen Ruf durchaus nicht
einmal ein eigenes Bett, sondern es muß mit
verdient. „Wir sind,“ sagte Redner, „mit
anderen geteilt werden. Daß die niedrige Ent¬
Dichterwerken, die sich ums erotische Element
lohnung Ursache der Frauenprostitution ist, läßt
sehr lebhaft drehen, so wenig verschwägert, in
sich nicht durchaus mit exakten Daten beant¬
unserem Berufe ist täglich Geschlecht gegen Ge¬
worten, aber gewiß sei, daß ein so niedrig ent¬
schlecht gestellt, und alles, was die Zuschauer
lohntes Mädchen auf die abschüssige Bahn gerade¬
etwa sexuell erregt, berührt uns kaum mehr. Wir
zu gewiesen werde.
sind genau so gefeit gegen das Décolleté einer
Besonders traurig sind die Wohnungsverhält¬
Kollegin, wie andererseits gebildete Menschen
nisse der Schuhmacher und der Heimarbeiter der
gefeit sind, etwa beim Anblick der milonischen
Kleider= und Wäschebranche. Nicht selten kommt
es vor daß Arbeiter beiderlei Geschlechtes und
Venus geschlechtlich erregt zu werden.“
Es sprachen dann Theaterarzt Dr. Julius
sogar Kinder in demselben Zimmer wohnen. Die
Zahl der jugendlichen Gefallenen wächst, und vor
Brandl, Prof. Finger, Buchhändler
Kindern spielen sich die intimsten Geschehnisse ab.
Heller und Dr. Sadger.
Frau Popp=Dworzak schilderte die
Zum Schluß der Sitzung wurden einige
Arbeiterinnen und Dienstmädchen als Ex¬
Lohnverhältnisse verschiedener Arbeiterinnen¬
wie eine
pertinnen einvernommen, die —
kategorien.
Krawattennäherin, eine Modestickerin und eine
Das sexuelle Moment in Kunst und Literatur.
Miedernäherin — über ihre furchtbar niedrigen
Der Referent Dr. Alfred Brandweiner
Löhne, die lange Arbeitszeit und das sittliche
gelangt zu folgenden Schlüssen. Der Kampf
und physische Elend, dem viele ihrer Berufs¬
gegen das pornographische Element ist nach zwei
genossinnen anheimfallen, erzählten.
Richtungen zu führen. Er begreift einerseits
repressive, andererseits erzieherische
Maßnahmen in sich. Mit ersteren, also der
Zensur und dergleichen Einrichtungen, kann
bisweilen wenig genützt, dagegen viel geschadet
werden. Das Hauptgewicht ist also auf die Er¬
ziehung zu legen, und in dieser Hinsicht würde
sich die Einführung eines neuen Gegenstandes
in unseren Bürger= und Mittelschulen, der
Kunstgeschichte, sicher sehr empfehlen.
Regierungsrat Himmelbauer kündigte
eine Aktion des Volksbildungsvereins zur Be¬
[kämpfung der Schmutzliteratur
an, die gerade von Kindern gekauft würde.
71447 Ein Brief Arthur Schnitzlers.
Vom Schriftsteller Arthur Schnitzler lag
folgendes Schreiben vor:
1. Antwort auf die Frage, inwiefern Werke
der Literatur und Kunst sexuell zu irritieren ver¬
mögen: Ob ein Jüngling von der tizianischen
Venus fortgeht und sich eine Stunde darauf bei
einer Prostituierten oder einem anderen weib¬
lichen Wesen infiziert — oder ob er mit seiner
Geliebten oder seiner Frau unter der Nachwirkung
desselben Reizes einen neuen Shakespeare zeugt
oder seinen eigenen Mörder, das ist schließlich
nur eine Glücksfrage. Und zweifellos kann jede
dieser Möglichkeiten eintreten, auch wenn es nicht
die tizianische Venus war, der jener Jüngling
seine Erregung verdankt, sondern eine völlig
kunstfremde Aktphotographie oder irgendeine“
obszöne Darstellung. Sicher aber ist es, daß pro¬
zentual die sexuell irritierenden Bildwerke und
Druckschriften, sowohl künstlerischer als unkünst¬
lerischer Natur, den vielfachen Verlockungen des
täglichen Lebens und dem steten physiologischen
Wirken der Geschlechtlichkeit gegenüber gar nicht
in Anschlag zu bringen sind.
2. Die Frage, inwiefern die seruelle Wirkung
von Kunstwerken berechtigt sei, scheint mir
so müßig, als es die Frage wäre, ob sexuelle
Erregung durch den Anblick einer schönen, leben¬
digen Gestalt des gleichen oder des anderen Ge¬
schlechtes berechtigt ist. Die Kunst ist hin¬
sichtlich der Wirkungen, die sie erzielt, so unbe¬
kümmert wie die Natur. Und ich finde, wenn
einmal ein großes Kunstwerk geschaffen würde
von so ungeheurer sexueller Reizmacht, daß eine
Flutwelle von Sinnlichkeit sich über die ganze
Menschheit ergösse, so wäre das ebensowenig An¬
laß, die Ausstellung, Weiterverbreitung, Ver¬
Enquete zur Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten.
Beginn der gestrigen Sitzung gab Vor¬
box 41/2
daß alleinstehende Mädchen oder Witwen nicht] man sich klar, es handle sich nur um Art und
Mittel der Bekämpfung. Prof. v. Noorden
imstande sind, aus ihren Löhnen ihren Lebens¬
habe zu viel grau in grau gemalt, denn die
unterhalt zu bestreiten. In der Wäschekonfektion
Ueberzeugung, daß der erkrankte Mensch dem
werden zum Beispiel Löhne von 7 bis 12 Kronen
Elend verfallen ist, macht Leute geisteskrank, die
gezahlt. Zahllose alleinstehende Frauen sind in¬
es sonst gewiß nicht geworden wären.
folge der tristen Lohnverhältnisse nicht imstande.
Hofschauspieler Gregori erklärte, daß das
ein eigenes Zimmer zu mieten, sondern müssen
Theater, das in so schlechtem Rufe steht, in
Bettgeherinnen werden. Vielfach haben sie nicht
bezug auf die Moral diesen Ruf durchaus nicht
einmal ein eigenes Bett, sondern es muß mit
verdient. „Wir sind,“ sagte Redner, „mit
anderen geteilt werden. Daß die niedrige Ent¬
Dichterwerken, die sich ums erotische Element
lohnung Ursache der Frauenprostitution ist, läßt
sehr lebhaft drehen, so wenig verschwägert, in
sich nicht durchaus mit exakten Daten beant¬
unserem Berufe ist täglich Geschlecht gegen Ge¬
worten, aber gewiß sei, daß ein so niedrig ent¬
schlecht gestellt, und alles, was die Zuschauer
lohntes Mädchen auf die abschüssige Bahn gerade¬
etwa sexuell erregt, berührt uns kaum mehr. Wir
zu gewiesen werde.
sind genau so gefeit gegen das Décolleté einer
Besonders traurig sind die Wohnungsverhält¬
Kollegin, wie andererseits gebildete Menschen
nisse der Schuhmacher und der Heimarbeiter der
gefeit sind, etwa beim Anblick der milonischen
Kleider= und Wäschebranche. Nicht selten kommt
es vor daß Arbeiter beiderlei Geschlechtes und
Venus geschlechtlich erregt zu werden.“
Es sprachen dann Theaterarzt Dr. Julius
sogar Kinder in demselben Zimmer wohnen. Die
Zahl der jugendlichen Gefallenen wächst, und vor
Brandl, Prof. Finger, Buchhändler
Kindern spielen sich die intimsten Geschehnisse ab.
Heller und Dr. Sadger.
Frau Popp=Dworzak schilderte die
Zum Schluß der Sitzung wurden einige
Arbeiterinnen und Dienstmädchen als Ex¬
Lohnverhältnisse verschiedener Arbeiterinnen¬
wie eine
pertinnen einvernommen, die —
kategorien.
Krawattennäherin, eine Modestickerin und eine
Das sexuelle Moment in Kunst und Literatur.
Miedernäherin — über ihre furchtbar niedrigen
Der Referent Dr. Alfred Brandweiner
Löhne, die lange Arbeitszeit und das sittliche
gelangt zu folgenden Schlüssen. Der Kampf
und physische Elend, dem viele ihrer Berufs¬
gegen das pornographische Element ist nach zwei
genossinnen anheimfallen, erzählten.
Richtungen zu führen. Er begreift einerseits
repressive, andererseits erzieherische
Maßnahmen in sich. Mit ersteren, also der
Zensur und dergleichen Einrichtungen, kann
bisweilen wenig genützt, dagegen viel geschadet
werden. Das Hauptgewicht ist also auf die Er¬
ziehung zu legen, und in dieser Hinsicht würde
sich die Einführung eines neuen Gegenstandes
in unseren Bürger= und Mittelschulen, der
Kunstgeschichte, sicher sehr empfehlen.
Regierungsrat Himmelbauer kündigte
eine Aktion des Volksbildungsvereins zur Be¬
[kämpfung der Schmutzliteratur
an, die gerade von Kindern gekauft würde.
71447 Ein Brief Arthur Schnitzlers.
Vom Schriftsteller Arthur Schnitzler lag
folgendes Schreiben vor:
1. Antwort auf die Frage, inwiefern Werke
der Literatur und Kunst sexuell zu irritieren ver¬
mögen: Ob ein Jüngling von der tizianischen
Venus fortgeht und sich eine Stunde darauf bei
einer Prostituierten oder einem anderen weib¬
lichen Wesen infiziert — oder ob er mit seiner
Geliebten oder seiner Frau unter der Nachwirkung
desselben Reizes einen neuen Shakespeare zeugt
oder seinen eigenen Mörder, das ist schließlich
nur eine Glücksfrage. Und zweifellos kann jede
dieser Möglichkeiten eintreten, auch wenn es nicht
die tizianische Venus war, der jener Jüngling
seine Erregung verdankt, sondern eine völlig
kunstfremde Aktphotographie oder irgendeine“
obszöne Darstellung. Sicher aber ist es, daß pro¬
zentual die sexuell irritierenden Bildwerke und
Druckschriften, sowohl künstlerischer als unkünst¬
lerischer Natur, den vielfachen Verlockungen des
täglichen Lebens und dem steten physiologischen
Wirken der Geschlechtlichkeit gegenüber gar nicht
in Anschlag zu bringen sind.
2. Die Frage, inwiefern die seruelle Wirkung
von Kunstwerken berechtigt sei, scheint mir
so müßig, als es die Frage wäre, ob sexuelle
Erregung durch den Anblick einer schönen, leben¬
digen Gestalt des gleichen oder des anderen Ge¬
schlechtes berechtigt ist. Die Kunst ist hin¬
sichtlich der Wirkungen, die sie erzielt, so unbe¬
kümmert wie die Natur. Und ich finde, wenn
einmal ein großes Kunstwerk geschaffen würde
von so ungeheurer sexueller Reizmacht, daß eine
Flutwelle von Sinnlichkeit sich über die ganze
Menschheit ergösse, so wäre das ebensowenig An¬
laß, die Ausstellung, Weiterverbreitung, Ver¬